Gesellschaftlich gemieden
Das war bei dem 2013 verstorbenen Leopold Engleitner ganz anders. Als Zeuge Jehovas verweigerte er den Kriegsdienst, wurde daher in der NS-Zeit verfolgt. Er überlebte die KZs Buchenwald, Niederhagen und Ravensbrück. Hanke porträtierte ihn 2010 in Aigen-Voglhub in Salzburg, seinem Geburtsort. Auch dieses Porträt ist Teil der Ausstellung im Haus der Geschichte in St. Pölten.
Engleitner reiste bis in die USA, um als Zeitzeuge seine Geschichte zu erzählen.
Auf der Website der deutschen Arnold-Liebster-Stiftung schildern Schüler und Schülerinnen der Northrop High School in Indiana, was er ihnen über die Nachkriegszeit erzählte: „Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Leopold als ehemaliger KZ-Insasse von der Gesellschaft gemieden und in die gleiche Kategorie wie Arbeitsscheue, Asoziale und Kriminelle eingeordnet. Einige seiner Zeitgenossen leugneten sogar, dass es jemals Konzentrationslager gegeben hatte.“
Es sind oft nur Nebensätze oder kurze Passagen aus Zeitzeugeninterviews, in denen man erfährt, wie es den einst Verfolgten nach ihrer Freilassung aus einem KZ oder der Rückkehr aus der Emigration erging. Martha Keil, Historikerin und wissenschaftliche Leiterin des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs (Injoest), meint dazu heute: „Wir haben damals zu wenig danach gefragt.“ Die Zeitgeschichte interessierte zunächst das, was die Nationalsozialisten und Nationalsozialistinnen den Menschen angetan hatten. Sie versuchten, das Grauen zu dokumentieren.
Als Baby ausgewandert
Hier und da lassen sich in Interviews dennoch kurze Aussagen aufspüren, die sich am Ende zu einem Mosaik fügen. Es zeigt: Willkommen geheißen wurden die meisten Zurückkehrenden nicht. Die Ausnahme bestätigt aber auch hier die Regel. Hans Morgenstern galt bis zu seinem Tod 2023 als „der letzte Jude St. Pöltens“. Das Injoest hielt seine Geschichte in einem langen Videointerview fest, das online abrufbar ist. Morgenstern war noch ein Baby, als er mit seinen Eltern 1939 nach Palästina auswanderte. Den Vater, der zuvor bereits erfolgreich als Rechtsanwalt in St. Pölten gearbeitet hatte, zog es jedoch nach Ende des NS-Regimes wieder zurück nach Österreich. 1947 kehrte die Familie daher nach St. Pölten zurück. Woran sich Morgenstern in dem Interview noch gut erinnern konnte: Die nun vom Vater wiedereröffnete Kanzlei lief von Beginn an gut. „Es kam auch dieselbe Angestellte wieder zu ihm.“
Walter Fantl-Brumlik (1924–2019) wuchs in Bischofstetten im Bezirk Melk auf, wurde in der NS-Zeit als Jude verfolgt und überlebte Theresienstadt sowie Auschwitz. Nach seiner Rückkehr ins Nachkriegsösterreich blieb er in Wien, suchte aber auch seinen früheren Heimatort auf. In einem für die Shoah Foundation geführten Interview erzählte er dazu: Von den Menschen im Ort sei er „mehr wie ein Wundertier angeschaut“ worden. Unterstützung habe es in keiner Art und Weise gegeben. „Mehr: ‚Jetzt bist du wieder da. Wir haben so viel mitgemacht.‘“ Es sei ihm vor allem Gleichgültigkeit entgegengeschlagen. Positiv erinnert er sich in dem Gespräch nur an einen Lehrer, der ihm ein paar Dinge, darunter seine Bar-Mizwa-Uhr, zurückgab, die ihm Fantl-Brumliks Vater zur Aufbewahrung übergeben hatte.