Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser!


Bei einem Symposion im März teilte Tulga Beyerle, die Direktorin des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe, eine überraschende Einsicht: Kulturelle Großevents, sagte sie, finde sie immer schwieriger zu rezipieren, weil aufgrund ihrer Dichte und Größe kein Austausch mehr möglich sei. Dieser geschehe eher in kleineren Orten.

Bei einem Symposion im März teilte Tulga Beyerle, die Direktorin des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe, eine überraschende Einsicht: Kulturelle Großevents, sagte sie, finde sie immer schwieriger zu rezipieren, weil aufgrund ihrer Dichte und Größe kein Austausch mehr möglich sei. Dieser geschehe eher in kleineren Orten. Und: Kulturmanagerinnen müssten in Zukunft viel stärker auf vor Ort vorhandene Strukturen und Netzwerke eingehen – gerade auch auf solche, die nichts mit ihren Institutionen zu tun haben.

All das trifft zu hundert Prozent auf die Festivals in Litschau zu. Die nördlichste Stadt Österreichs punktet jeden Sommer mit zwei Veranstaltungen, dem Schrammelklang und dem Theaterfestival Hin & Weg. Letzterem widmen wir unser aktuelles Special (ab Seite 24). morgen besuchte Litschau und stellte fest, dass die Kollaboration von Einheimischen und Theaterschaffenden ihresgleichen sucht: Hier wird Nachbarschaft neu definiert.

Um dieses Thema kreist unser aktuelles Heft. Einerseits beleuchten wir nachbarschaftliche Verhältnisse im kleinen räumlichen Rahmen: beispielsweise in dem Essay der Schriftstellerin Simone Hirth (ab Seite 16), die den Prozess einer langsamen Annäherung vom Ende her erzählt; oder im Beitrag von Robert Fabach, der ab Seite 42 die architektonischen Voraussetzungen guter Nachbarschaft reflektiert. Andererseits spannen wir den Bogen geografisch weiter. So amüsiert sich Zdenka Becker, die 1975 aus der damaligen Tschechoslowakei nach Österreich migrierte, über Konkurrenzen und Animositäten zwischen Nachbarländern: „Im Grunde sind wir nichts anderes als eine riesengroße Wohngemeinschaft, in der es manchmal heiß hergeht und deshalb Redebedarf besteht.“ Die Fähigkeit, „Unterschiede zu akzeptieren und Gemeinsamkeiten zu fördern“, schreibt unsere Kolumnistin über Europa, „wird entscheidend für das zukünftige Zusammenleben auf diesem reichen Kontinent sein“. Wie konkret sich die Beziehungen zu Niederösterreichs Nachbarn Tschechien und der Slowakei seit dem Fall des Eisernen Vorhangs entwickelt haben, diskutierten die Historikerin Andrea Brait, die Schriftstellerin Susanne Gregor und der Festivalveranstalter Thomas Samhaber in einem Gespräch, das sich durchaus kontroversiell entwickelte und das Sie ab Seite 10 nachlesen können. Ich wünsche Ihnen viel Freude mit dem neuen morgen und empfehle Ihnen schon jetzt, sich Tickets für das Hin & Weg zu sichern. ● ○

Herzlichst
Ihre Nina Schedlmayer