Beachtliche Karrieren: Anton Widauer und Alina Schaller, Theatergruppe Kollektief,  im Wiener Theater Bronski & Grünberg
Beachtliche Karrieren: Anton Widauer und Alina Schaller, Theatergruppe Kollektief, im Wiener Theater Bronski & Grünberg

Kollektief

„Wir hatten Narrenfreiheit"


Einst eine Schülertheatergruppe, wurde das Ensemble Kollektief so etwas wie das Hausensemble des Festivals Hin & Weg. Alina Schaller und Anton Widauer, die mittlerweile beachtliche Karrieren hingelegt haben, erzählten morgen, wie es dazu kam.

Es muss im Jahr 2012 gewesen sein, da beschlossen vier Burschen in Wien, eine Theatergruppe zu gründen – mit dem Ziel, „abseits vorhandener Strukturen eigene Ideen für die Bühne zu entwickeln“. Oder, wie Anton Widauer es bei einem Treffen im Wiener Theater Bronski & Grünberg ausdrückt: „Das Kollektief entstand aus jugendlicher Schauspielwut. Alle waren noch in der Schule, in Jugendklubs und nutzten die Nachwuchsangebote der großen Häuser. Aber es gab keinen Raum, wo sie eigene Stücke einstudieren konnten – ohne die Aufsicht von Erwachsenen.“

Treibende Kraft waren Max Smirzitz, der sich als Dramatiker ausprobierte, Florentin Bergsmann als Musiker und Max Payer, der sich gerne Wettermann nannte. Smirzitz liebte Wortspiele, er schrieb konsequent alle Buchstaben klein, nach dem Vorbild von Elfriede Jelinek. Die ersten Produktionen spielten sie in Wien: Für „wettermann“ und „die kreuzung“ mietete sich das Kollektief im Theater Brett ein, im Off Theater folgten „das monument“ (2013), „spiegel“ (2014) und „vier bis vier“ (2016), beim Primavera Festival im Schikaneder Kino präsentierte die Gruppe das neckische „kurz sebastian sein“.

Wohnungsprobe

2014 war Widauer zur Boygroup gestoßen. Irgendwann fiel auf, dass Mädchen fehlten. Mit Alina Schaller setzte man zunächst „er / ich – ein junger mensch auf der flucht“ (2016) um: Smirzitz verarbeitete die Lebensgeschichte des Fotografen Erich Lessing, der als Jugendlicher vor den Nazis nach Palästina flüchten musste. Die Gruppe probte in elterlichen Wohnungen. „Wir haben inszeniert, diskutiert, herumgesponnen“, erinnert sich Alina Schaller. „Wir hatten Narrenfreiheit, da es niemanden gab, der uns gesagt hat, wie man was machen muss. Wir konnten daher auch gemeinsam einen Geschmack für Theater und generell für Kunst entwickeln.“

„Urviel Geld“

Investiert wurde nur, was man einspielte. „Und wir suchten um Jugendförderungen an“, sagt Widauer. „Sie sind enorm wichtig, damit Kreatives entstehen kann.“ Es handelte sich immer nur um ein paar Hundert Euro, aber für die Gruppe war das „urviel Geld“, so Schaller. „Denn damit konnten wir die Basics für die Ausstattung kaufen.“

2017 realisierte das Kollektiv, zu der nun auch Anna Marboe gehörte, im damals gerade eröffneten Bronski & Grünberg in Wien „one to one“ als immersives Stationentheater: „Es gab zehn Einzelperformances – und parallel spielten je eine Schauspielerin und ein Schauspieler für je eine Person. Wir nutzten jeden Winkel des Theaters. Es entstanden sehr intime Situationen“, erzählt Alina Schaller. Jenes Jahr war ein Wendepunkt. Max Smirzitz und andere gingen nach der Matura nach Deutschland. „Die Gruppe wurde sehr fluid. Das Kollektief entwickelte sich zu einer Plattform für junge KünstlerInnen, die einen ähnlichen Ansatz verfolgten“, sagt Schaller. Sie selbst spielte bei „Hangmen“ im Volx/Margareten, der Nebenspielstätte des Wiener Volkstheaters mit – und wurde für den Nachwuchs-Nestroy nominiert. Und Widauer, der am Max Reinhardt Seminar aufgenommen worden war, durfte bei den Stockerauer Festspielen eine wortwörtlich tragende Rolle übernehmen – als Kellner. Dort lernte er Zeno Stanek, den umtriebigen Intendanten, und Katharina Stemberger kennen, die gerade am Konzept für das Festival Hin & Weg arbeiteten. Stemberger war von „one to one“ begeistert: Ein solches Format brauche es für Litschau, wo man gern überraschende Orte nutzt. 2018 adaptierte die Gruppe ihre Produktion in der Regie von Anna Marboe für das dortige Bahnhofsgelände – wenngleich aus ökonomischen Gründen als „one to three“.

Wir haben inszeniert, diskutiert, herumgesponnen.

Bitte nicht berühren

So wurde Kollektief zum Festivalensemble: „Zeno schenkte uns Vertrauen“, erinnert sich Widauer. „So trauten wir uns, immer verrücktere und größere Dinge vorzuschlagen.“ Zudem durfte sich jede und jeder in jedem Feld ausprobieren – von der Dramaturgie bis zur Regie. „Zeno öffnete uns diesen Raum an Möglichkeiten.“ Man arbeitete weiter als Kollektiv, unter anderem mit Andrea Meschik, Amelie Wimmer und Maria Sendl­hofer; federführend bei den meisten Projekten waren von nun an Schaller und Widauer. 2020, im ersten Corona-Sommer, verarbeitete Kollektief die Lockdown-Erfahrungen in dem Stück „Bitte nicht berühren“: Für zwei Wochen zogen sich die Schauspielerinnen und Schauspieler, darunter Shootingstar Felix Kammerer, in Container mit Glasfront zurück, die kreisförmig aufgestellt waren. Das Publikum konnte sie permanent beobachten bei alltäglichen Dingen und Aktionen – eine enorme Herausforderung für die Kollektief-Mitglieder, die in dieser Zeit auch auf digitale Kommunikation verzichteten.

Im Sommer darauf folgte „der traum – eines lächerlichen menschen“, ein Rundgang durch eine Wohnung voll Geschichten mit Audio- und Rauminstallationen. Daraufhin suchte die Schriftstellerin Armela Madreiter den Kontakt zur Gruppe: Sie würde sich, da die Textebene zu kurz gekommen sei, gerne einbringen. Das traf sich gut. Denn für 2022 gab Stanek ein Stück über Litschau in Auftrag – auf Basis der Stadtchronik. Madreiter ackerte sich durch das Konvolut und erstellte ein Episodendrama. Die Gruppe realisierte die „chronik der nördlichsten stadt“ an mehreren Schauplätzen rund um den dortigen Herrensee: Niemand konnte alle Szenen sehen, aber zum Schluss saß das Publikum gemeinsam an einer langen Tafel auf der Wiese und tauschte die Erlebnisse aus. Aufgrund des riesigen Erfolgs spielten Kollektief das Spektakel in Variationen auch 2023 und 2024. Dieses Jahr fehlt dem Ensemble die Zeit dafür. Schaller, geboren 1997 und aufgewachsen in Purkersdorf, war schon vor Jahren ins Filmbusiness gerutscht, sie spielte in mehreren ORF-Serien und zuletzt in „Islands“ des deutschen Regisseurs Jan-Ole Gerster mit. Ihre erste Hauptrolle hatte sie 2022 in „Breaking the Ice“ von Clara Stern. Widauer, 1995 geboren, verkörperte 2023 bei den Festspielen in Reichenau den Franz Ferdinand Trotta in „Die Kapuzinergruft“, 2024 den Anatol von Arthur Schnitzler. In der zweiten Staffel der aktuell laufenden ORF-Serie „Biester“ darf der „charming boy“ einen unguten Kerl geben: „Das hat viel Spaß gemacht“, sagt er. „Denn normalerweise werde ich nicht mit solchen Rollen besetzt.“

Aus Verbundenheit zu Zeno Stanek werden die vielbeschäftigten Mitglieder von Kollektief auch 2025 für Hin & Weg ein Stück erarbeiten. Worum es sich dreht? Das wollen sie zu Redaktionsschluss noch nicht verraten. Doch ihre bisherige Arbeit macht neugierig darauf. ● ○