Mitspieltheater? Vor nicht allzu langer Zeit löste dieses Wort mehr Schrecken als Begeisterung aus. Publikum und Bühne waren, zumindest im klassischen Stadttheater, strikt getrennt, die imaginäre vierte Wand zog eine sichere Grenze. Wie abschreckend es sein konnte, wenn sich Schauspielende nicht daran hielten, davon erzählt ein Theaterskandal, der als „Spiralblockaffäre“ in die Geschichte eingehen sollte.
Der Schauspieler Thomas Lawinky entriss Gerhard Stadelmaier, dem strengen Kritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, während einer Vorstellung am Schauspiel Frankfurt 2006 den Notizblock und tat, als würde er daraus vorlesen. Stadelmaier verließ daraufhin erbost den Saal – und rächte sich mit einem bitterbösen Text in der Zeitung („Angriff auf einen Kritiker“). Wehleidig gab er zu Protokoll, sich noch nie in seinem über dreißigjährigen Kritikerleben so „beschmutzt, erniedrigt, beleidigt“ gefühlt zu haben. Jahre später meinte er noch, es sei gewesen, als ob jemand in seine Wohnung eingebrochen wäre. „Ich bin nicht im Theater, um mitzuspielen. Ich muss auch nicht den Mundgeruch der Schauspieler haben“, so Stadelmaier in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung aus dem Jahr 2010.
Sind wir mittlerweile entspannter? Aus der historischen Distanz entlockt uns dieser Skandal ein müdes Schmunzeln. Er wirkt wie eine absurde Anekdote aus einem fernen Jahrzehnt, in dem sich (männliche) Kritiker wie Götter fühlten. Wehe, es war jemand verwegen genug, sich über ihre Autorität lustig zu machen. Inzwischen haben die sozialen Medien diese Einbahnstraße gelockert: Wer öffentlich Kritik übt, muss auch selbst kritisierbar sein. Journalistinnen und Journalisten sind Widerrede gewohnt, sie fühlen sich nicht mehr unfehlbar, sondern als Teil eines öffentlichen Diskurses.