Emotionslose Massenware
Diese Initiativen sollen aber nicht über die breite Siedlungstätigkeit der Nachkriegszeit hinwegtäuschen. Geprägt – zumeist in stark simplifizierter Form – durch das modernistische Idealbild der funktionellen Maschine, wurden Lebensbereiche säuberlich getrennt: Wohnen, Arbeit, Erholung, Konsum, zusammengehalten durch viel Verkehr. Im Alltag ländlicher Siedlungspolitik wird bis heute auf diese Weise viel emotionslose Massenware erzeugt, deren Unwirtlichkeit wir latent spüren. Die Phänomene der „Schlafdörfer“ – Einfamilienhausteppiche ohne Mitte und Infrastruktur – sowie große Einkaufszentren auf der grünen Wiese und der daraus resultierende Verkehr erschweren soziale Nähe. Über eine Million Pendelfahrten täglich in und aus Niederösterreich, davon 65 Prozent mit dem Auto, tragen dazu bei. Gegen diesen Bauwirtschaftsfunktionalismus und ein ingenieurhaftes Menschenbild regte sich schon in den 1960er-Jahren deutliche Kritik. Der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich widmete der „Unwirtlichkeit der Städte“ 1965 ein ganzes Buch. Eine Nach-Moderne bemühte sich um Stadt- und Architekturkonzepte, die sich am Menschen orientierten, wie etwa im verdichteten Flachbau, in der Wertschätzung und Sanierung von Bestand sowie durch viele gemeinschaftliche Formen des Wohnbaus, die wieder so etwas wie Nachbarschaft und „Wirtlichkeit“ erzeugen.
So auch heute zu erleben in Baugemeinschaften, die aus individuellen Bedürfnissen nach Wohn- und Arbeitsraum Mehrwert in gemeinschaftlichen Flächen generieren. Ein moderierter Planungsprozess verdichtet den Austausch zu einem baureifen Projekt. Im kommerziellen Wohnbau kaum durchsetzbare Wünsche, wie etwa großzügigere Raumhöhen oder eine besondere ökologische Bauweise, können so umgesetzt werden. Herausragende Beispiele dafür sind Baugruppenprojekte wie B. R. O. T. in Pressbaum (Planung: Nonconform) oder die „Auenweide“ in St. Andrä-Wördern (Einszueins). Letztere erhielt 2024 sogar den Bauherr:innenpreis der Zentralvereinigung der Architekt:innen Österreichs. In Pressbaum gruppierten sich 36 Wohneinheiten in sieben freistehenden Gebäuden um einen zentralen Anger. Mit einem Gemeinschaftshaus und in einer ideellen Verbundenheit entstand daraus ein kleines Dorf. Ähnlich die Anlage in St. Andrä: Eine Nachbarschaft mit gemeinsamen Interessen wuchs schon im Entstehungsprozess zusammen und stand trotzdem von Anfang an auch für das weitere Umfeld offen. Werkstätten, Veranstaltungsräume sowie gemeinschaftliche Freiflächen und Gärten bereicherten das Projekt und wurden zu lebendigen Begegnungsorten für Bewohner und Bewohnerinnen wie auch für die umliegende Nachbarschaft. Zugleich boten diese flexiblen Raumreserven Freiraum für spätere Entwicklungen.
Schönheit, Wertschätzung und menschliches Maß sind für alle lesbare Zeichen. Ein öffentlicher Brunnen, ein liebevoll gestalteter Spielplatz, ein blühender und schattenspendender Park oder auch nur eine Dorflinde mit Tisch und Bank sind solche Signale und werden rasch zwangloser Treffpunkt für Menschen, die einander sonst nie begegnen würden. Qualitätsvolle Architektur und Kunst schaffen so Identifikation in städtischen und dörflichen Quartieren.