Maria Frodl
Maria Frodl

O-Töne

Vom Notenblatt ins Publikum


Ink Still Wet: So heißt der sommerliche Workshop für junge Komponistinnen und Komponisten, der seit 2011 im Rahmen des Grafenegg Festivals stattfindet. Dabei erarbeiten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter Anleitung eines Composer in Residence Werke, die vom Tonkünstler-Orchester Niederösterreich uraufgeführt werden. 2026 wird Olga Neuwirth dem musikalischen Nachwuchs Mentorin und Lehrerin sein. Was haben bisherige Absolventinnen und Absolventen des Composer-Conductor-Workshops für ihre künstlerische Arbeit mitgenommen? Und wie hat er ihre Karriere beflügelt? Wir fragten drei von ihnen.

Aufzeichnung: Theresa Steininger

„Neues Selbstverständnis als Künstlerin“

Tanja Elisa Glinsner

Der Workshop Ink Still Wet war eine meiner ersten kompositorischen und dirigentischen Erfahrungen mit einem professionellen Orchesterapparat und hat mich daher nachhaltig geprägt. In den Proben herrschte eine inspirierende Atmosphäre, gerade wegen des direkten Austauschs mit den Musikerinnen und Musikern. Ich empfand es als besonderen Luxus, mit Georg Friedrich Haas und Baldur Brönnimann arbeiten zu dürfen. Beiden bin ich sehr dankbar für ihre Unterstützung im Prozess, mein sehr persönliches Werk „Ein Baum. Entwurzelt. Der ins Leere fällt.“ zu Papier zu bringen. Ich habe aus dem Workshop ein neues Selbstverständnis als Künstlerin gewonnen. Da ich selbst als Mezzosopranistin von der Stimme komme, arbeite ich in meinen Ensemble- und Kammermusikwerken intensiv mit vokalen Techniken und experimentiere auch in meinen Orchesterstücken gerne mit der Stimme als zusätzlicher Klangebene.

Ink Still Wet gab mir die Möglichkeit, genau diesen Aspekt noch weiter auszuloten und im großen Orchesterkontext weiter zu erforschen. Die Gelegenheit, erstmals mit einem professionellen Orchester nicht nur als Komponistin und Dirigentin, sondern auch stimmlich arbeiten zu dürfen, war für mich eine prägende Erfahrung. Unmittelbar nach Ink Still Wet erhielt ich den Dr.-Helmut-Sohmen-Kompositionspreis, in dessen Rahmen ich mit meinem neuen Orchesterwerk „Scintillae oder froh, wie seine Sonnen fliegen …“ beauftragt wurde, das 2024 in Hongkong zur Uraufführung kam. Seitdem durfte ich mich unter anderem über den Voltaire Art Prize, den Theodor-Körner-Preis, den Short-Operetta-Wettbewerb-Kompositionspreis von Mozarteum, Lehár Festival, Kulturhauptstadt Bad Ischl und Ensemble Multilatérale sowie die Aufnahme in die Akademie Musiktheater heute der Deutsche Bank Stiftung freuen. In deren Rahmen entstand im vergangenen Jahr meine erste Oper „Schweig still, mein Stein …“.

Wenige Monate nach Ink Still Wet feierte ich mein kompositorisches Debüt im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins mit meinem Werk „BlurRed“, gespielt vom ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter der Leitung von Marin Alsop. Ebendort wurde schließlich im vergangenen Jahr das bei Ink Still Wet entstandene Werk als eines der ausgewählten Siegerwerke des Call for Scores „Schönberg 150“ wiederaufgeführt: beim Claudio-Abbado-Konzert, gespielt vom ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter der Leitung von Susanne Blumenthal. ● ○

„Wie Musik das erste Mal atmete“

Benjamin Perry Wenzelberg

Ich hatte die Ehre, 2016 und erneut 2018 an Ink Still Wet teilzunehmen. Woran ich mich besonders erinnere, ist das große Engagement des Orchesters: Unvergesslich bleibt dieses Gefühl, wenn das, was man gerade geschrieben hat, das Notenblatt verlässt. Wir erlebten, wie Musik buchstäblich von den Notenblättern sprang und sozusagen das erste Mal atmete. Speziell in Erinnerung habe ich, als der Komponist Christian Jost zu mir ans Podium kam und mich fragte, ob das von mir geschriebene Hornsolo nicht auch von einer Trompete mit Dämpfer gespielt werden könnte. Und in der Tat hatte ich über ein Trompetensolo nachgedacht, allerdings nicht über einen Dämpfer. Es stellte sich heraus, dass dies das Ende meines Werks maßgeblich veränderte – und dass nicht nur ich an dieser Stelle Gänsehaut bekam.

Der Dirigierlehrer Martyn Brabbins brachte mir bei, den Klängen mit einer weiter geöffneten Körperhaltung entgegenzukommen, wenn ich meine Musik leitete. Und tatsächlich wirkte die Musik beim nächsten Versuch kraftvoller und geeinter. Es war ein brillantes Training für Gehör, Gedächtnis und Ausdruck, all diese Rückmeldungen zu bekommen. Dafür werde ich immer dankbar sein. Es waren nicht nur die Ratschläge der Composer in Residence und der Dirigentenlehrer, sondern auch Gespräche mit Mitgliedern der Tonkünstler, die meinen Horizont als Komponist erweiterten und meine Instinkte für musikalische Farben, Balance, Timing und Ausdruck schärften. Außerdem lernte ich, als Komponist und Dirigent gleichermaßen zu denken, was für meinen weiteren Lebensweg sehr wichtig wurde. Dies innerhalb ein und desselben Projekts zu tun, ermöglicht mir, kompositorisches Denken direkt in die Analyse von Struktur, Klangfarbe, Textur und anderen Elementen einer Partitur einfließen zu lassen, wenn ich mich auf ein Dirigat vorbereite – also mit dem Denken eines Komponisten mit der Musik in Dialog zu treten.

Ich erinnere mich noch heute oft an die Klänge und die Atmosphäre, die ich damals live mit dem Orchester erlebt habe. Als das Tonkünstler-Orchester mein Werk im Goldenen Saal des Musikvereins aufführte, war das die größte Ehre für mich, die ich mir vorstellen konnte. Dirigent Yutaka Sado nahm es nach Japan mit. Außerdem wurde Ink Still Wet zu meinem Wegbereiter in Österreich und in Europa generell, was letztlich zu meinem Umzug in die Niederlande führte. Dort werde ich demnächst „Le nozze di Figaro“ im Concertgebouw Amsterdam und auf einer Tournee dirigieren. Gerade habe ich neue Werke fertig komponiert, die vom niederländischen Radio Filharmonisch Orkest 2026 uraufgeführt werden. Bei Ink Still Wet wurden auch die klanglichen Samen gelegt, die in meiner Oper „Nighttown“ aufgingen. 2022 uraufgeführt, gewann sie mehrere Preise. 2026 wird sie nun in Den Haag die europäische Erstaufführung erleben. ● ○

„Intellektueller Austausch war wichtig“

Shiqi Geng

Ich nahm 2022 am Workshop Ink Still Wet teil, geleitet von Georg Friedrich Haas (Komposition) und Baldur Brönnimann (Dirigieren). Haas kannte ich schon vom Studium in Graz. Seine und meine stilistische Einstellung sind unterschiedlich, denn durch meine Herkunft und Erziehung ist meine musikalische Weltanschauung seit Kindheitstagen tief in der klassischen Tradition verwurzelt – im Unterschied zu vielen meiner Altersgenossen, die sich stärker experimenteller Musik, Elektronik oder populären Genres zuwenden. Trotzdem teilen Haas und ich wesentliche Werte: eine besondere Sensibilität für Tonhöhe und ihre Bedeutung, die Priorität des Hörens und der klanglichen Vorstellung gegenüber der Notation sowie vor allem die Verehrung für das spirituelle Wesen, das der Musik zugrunde liegt. Er gehört zu den wenigen Komponisten, die mein Talent rasch erkannt und mich ermutigt haben.

Nach meinem Masterabschluss 2022 war meine Zukunft unsicher. Aufgrund der politischen Lage in meinem Heimatland hatte ich mich längst entschlossen, meine Laufbahn weiterhin in Europa fortzusetzen. Meine Introvertiertheit und meine musikalische Haltung, die vom experimentellen und avantgardistischen Mainstream der zeitgenössischen Musik etwas abwich, erschwerten jedoch meine Situation. Gerade deshalb war die Teilnahme am Workshop in Grafenegg eine unschätzbare Gelegenheit: Ich konnte meine Musik einem größeren Publikum vorstellen. Zudem gaben mir das Komponieren meines Orchesterstücks „Schneeflüstern“ sowie die Vorstellung, es selbst zu dirigieren, enorme Kraft. Nach fast zweijähriger pandemiebedingter Pause markierte dieser Workshop den Neubeginn meiner künstlerischen Laufbahn. Der intellektuelle Austausch mit Georg Friedrich Haas war dabei ebenso wichtig wie die Erfahrung, ein Orchester zu dirigieren – ein Impuls, der meine folgenden Werke entscheidend prägte.

Meilensteine meiner weiteren Arbeit, etwa „Musik für Kammerorchester“ und „De profundis“, wurden bereits während der Entstehungsphase von „Schneeflüstern“ konzipiert und binnen sechs Monaten nach dem Workshop vollendet. 2023 erhielt ich das Österreichische Staatsstipendium für Komposition, 2024 folgte das Andrzej-Dobrowolski-Stipendium. Im selben Jahr bekam ich einen Auftrag vom Klangforum Wien und meine dreißigminütige „Musik für Kammerorchester“ wurde bei Wien Modern aufgeführt. Trotz dieser Erfolge bleibt meine Position fragil. Doch ich vertraue darauf, dass die meiner Musik innewohnende Spiritualität mir weiterhin Mut geben wird, den eingeschlagenen Weg unbeirrt fortzusetzen. ● ○

„Solide Säule in meiner Karriere"

Jose Luis Valdivia Arias

„Ink Still Wet“ war, als ich 2022 teilnahm, die erste solide Säule in meiner Karriere. Heute fühlt es sich für mich an, als hätte alles dort begonnen. Nach Ende des Workshops sandte ich den Festivals in Tanglewood (USA) und Luzern die Aufnahmen. Beide wählten mich aus, Orchesterwerke zu schreiben. Seit Ink Still Wet habe ich mit dem Tokyo Philharmonic Orchestra, dem Lucern Festival Contemporary Orchestra, dem Venezuelan National Symphony Orchestra, dem Tanglewood Symphony Orchestra und weiteren gearbeitet. Ich erhielt den zweiten Preis bei den Toru Takemitsu Composition Awards und wurde beim Ibermusicas Preis ausgezeichnet. Bei den Young Composer Spanish Awards habe ich den ersten Platz erreicht und war Residenz-Komponist der Music Youth of Spain. Derzeit schreibe ich an einem Klavier-Trio, das im April 2026 in New York und Washington aufgeführt wird.

Als ich in Grafenegg war, habe ich mich sehr gut betreut gefühlt. Das Tonkünstler-Orchester und das Team in Grafenegg haben sich um jedes Detail bemüht und mich sehr inspiriert. Bis heute denke ich voller Freude daran. Die Musiker und alle, die an Ink Still Wet beteiligt waren, wissen, wie man einen Komponisten glücklich macht. Alles war sehr professionell. Was ich vor allem für mich mitgenommen habe? Dass es wichtig ist, den Workshop zu genießen und nicht Zeit damit zu vergeuden, nervös zu sein, weil man beim Abschlusskonzert ja auch sein Werk dirigieren muss – und ich hatte wirklich keine Ahnung davon, zu dirigieren. Aber mein Dirigier-Lehrer dort, Baldur Brönnimann, half mir sehr. Und so habe ich mich ganz auf meine kompositorische Arbeit konzentriert. Ich habe gelernt, den Prozess mehr als die fertige Arbeit zu schätzen. Georg Friedrich Haas, der damals Composer in Residence war, wurde mir zum Mentor. Mit ihm zu arbeiten, war entscheidend für meine Karriere. Ich habe seine Musik in Grafenegg erst richtig kennengelernt, besonders sein zweites Violinkonzert, das die Tonkünstler damals aufführten. Georg Friedrich Haas brachte mir viel über Vierteltöne bei und motivierte mich, sie in meine Musik aufzunehmen. Das ist etwas, was ich jetzt immer mehr mache. Außerdem führten wir ein langes Gespräch über das Leben, die Musik und die Beziehung zwischen beiden. Zu dem Stück, das ich in Grafenegg komponierte, schien er zuerst keine starke Verbindung zu haben, aber nach dem Konzert kam er zu mir und sagte: „Ich gestehe, ich mag deine Musik.“

„Als sehr entspannt erlebt“

Bernd Richard Deutsch
Ich war Teilnehmer des allerersten Ink Still Wet Workshops. Die ursprüngliche Idee von HK Gruber war, dass Komponisten, die nicht unbedingt besondere Vorbildung im Dirigieren haben, sich einmal als Interpreten ihrer eigenen Werke versuchen sollten. Ich habe den Workshop als sehr entspannt erlebt, es gab keine Wettbewerbssituation, Konkurrenz stand daher erfreulicherweise nicht im Vordergrund. In besonderer Erinnerung sind mir die vorbereitenden Klavierproben geblieben. Einmal hatte HK Gruber die Idee, bei meinem Stück die einzelnen Instrumentalstimmen durch die Teilnehmer singen bzw. sprechen zu lassen, ganz ohne Klavierbegleitung, während ich dirigierte. Es war eine ungewöhnliche, aber sehr interessante und effektive Methode, in eine Partitur einzutauchen. Und natürlich erinnere ich mich noch sehr lebhaft an die Proben mit dem Orchester und an die Aufführung selbst. Da ich mich selbst nicht als Bühnenmensch betrachte und seit jeher unter Lampenfieber leide, hat es mich einige Überwindung gekostet, am Workshop teilzunehmen. Für mich war es eine sehr positive Erfahrung, durch die ich mehr über die komplizierte Interaktion zwischen Dirigent und Orchester gelernt habe. Ink Still Wet war meine erste Begegnung mit dem Tonkünstler-Orchester. Sie war der Grundstein einer nun schon seit vielen Jahren andauernden intensiven Zusammenarbeit mit dem Orchester, für das ich mehrere Auftragskompositionen geschrieben habe: 2014 wurde mein Tripelkonzert für Trompete, Posaune und Tuba, 2020 mein Cellokonzert von den Tonkünstlern uraufgeführt. Derzeit arbeite ich an einem neuen Auftragswerk für das Tonkünstler-Orchester, ein Schlagzeugkonzert. Im Oktober 2025 gelangt mein Stück „Con Moto bei der Saisoneröffnung 2025/26 zur Aufführung.

Grundsätzlich kann man sagen, dass Ink Still Wet für mich ein wichtiger Moment in einer Zeit des Aufbruchs war, in der ich zunehmend mit der Komposition von Orchesterwerken beschäftigt war. Seit 2014 habe ich fast ausschließlich großbesetzte Orchesterwerke mit und ohne Solisten, auch mit Chor geschrieben, etwa für das Cleveland Orchestra, das Concertgebouw Orchester, das Gewandhausorchester Leipzig oder zuletzt das Elbphilhamonie Orchester. In diese Zeit fällt auch meine Vertragsunterzeichnung mit dem Verlag Boosey&Hawkes. Außerdem begegnete ich durch den Workshop erstmalig HK Gruber persönlich. Daraus entstand eine für mich sehr wichtige Freundschaft. HK Gruber hat mich in der Folge unterstützt und immer wieder Stücke von mir dirigiert.

„Konnte Erfahrungen sehr gut verwenden“

Lisa Streich

Ich habe von „Ink Still Wet“ am stärksten in Erinnerung, was für ein Gefühl es für mich war, vor dem Orchester zu stehen und den Klang mit jeder Körperzelle zu gestalten. Ich hatte den Eindruck, dass ich wirklich mit jedem Teil von mir das, was die Musikerinnen und Musiker spielten, mitbestimmte, sowohl durch die Komposition als auch durch das Dirigieren. Der ursprüngliche Grund, warum ich an „Ink Still Wet“ teilnehmen wollte, war, dass ich choreografisches Dirigieren ausprobieren wollte. Das bedeutet, dass an manchen Stellen der Partitur einige oder alle Musiker des Orchesters nur die Noten für ihren Part kennen, aber nicht die Dynamik. Diese müssen sie vom Dirigenten ablesen, der sie mit der linken Hand vorgibt. Ziel ist es, wandernde Klänge im Orchester zu erzeugen. Ich hatte das schon in einigen meiner Partituren verwendet, aber die Reaktionen der jeweiligen Dirigenten und Dirigentinnen waren bis dahin sehr unterschiedlich. Also wollte ich mich selbst ihrer Situation aussetzen. Und ich merkte rasch, dass mich das Dirigieren an meine Grenzen brachte. Als ich erstmals die Musikerinnen und Musiker leiten sollte, merkte ich gleich, dass ich mich nicht kompetent genug fühlte. Einerseits waren manche Dinge, wie das Tempo, für mich natürlich leichter zu verstehen und zu erklären, da ja die Komposition von mir stammte. Andererseits war es eine ganz neue Situation für mich. Ich sah mich im Rahmen des Workshops auch selbst auf einem Video dirigieren und merkte, dass ich bei Forte-Stellen auf die Zehenspitzen ging und mich zu sehr nach vorne beugte – und es schien mir unmöglich, die rechte und linke Hand separat zu bewegen, was Dirigenten und Dirigentinnen natürlich können. Richtig zu stehen musste ich erst einmal lernen. Zuerst hatte ich ein eben einen Schwerpunkt auf choreografisches Dirigieren gelegt, aber ich merkte bald, dass es dann schwieriger für mich war, das Tempo zu steigern. Also reduzierte ich es wieder – und das, obwohl ich das Gefühl hatte, dass die Musikerinnen und Musiker sehr offen dafür waren. Dies in Grafenegg ausprobiert zu haben war aber jedenfalls sehr wertvoll für mich. Nach den Erfahrungen bei „Ink Still Wet“ habe ich das choreografische Dirigieren weitergeführt, aber mit einem viel stärkeren Bewusstsein dafür, was es für den Dirigenten und die Dirigentin bedeutet. 2023 habe ich ein Stück für die Berliner Philharmoniker und Kirill Petrenko geschrieben, in dem ich das choreografische Dirigieren einsetzte. Dabei konnte ich meine Erfahrungen aus Grafenegg sehr gut verwenden.