© Kushania(CC BY-SA 4.0) / International Music of Youth Forum 2011, Kyjiv
© Kushania(CC BY-SA 4.0) / International Music of Youth Forum 2011, Kyjiv

Elisabeth Schimana

Radikale Ästhetik


Elisabeth Schimana, geboren 1958 in Innsbruck, macht seit den 1980er-Jahren als Pionierin der elektroakustischen Musik mit Arbeiten aufmerksam, „die sich durch einen radikalen Ansatz und eine ebensolche Ästhetik auszeichnen“, wie die Musikwissenschaftlerin Milena Meller schrieb. Im Vorjahr gastierte sie beim Gegenwartskunst-Festival Tangente in der Reihe „Orgel experimentell“ mit ihrer Serie „Virus“ im Dom in St. Pölten. Seit Jahrzehnten lebt Schimana in Niederösterreich, derzeit im Traisental, zuvor in Hainburg. Dort gründete die Komponistin, die nicht nur elektroakustische und experimentelle Musik, sondern auch Computermusik-Komposition sowie Musikwissenschaften und Ethnologie studierte, gemeinsam mit ihrer Kollegin Andrea Sodomka das Institut für Medienarchäologie, das mittlerweile nach St. Pölten übersiedelt ist. Heuer feiert es seinen 20. Geburtstag. Höchste Zeit, der vor Energie sprühenden Künstlerin ein morgen-Special zu widmen.

© Markus Rössle
© Markus Rössle

Elisabeth Schimana

Die Klangkörperkünstlerin


Elisabeth Schimana brach einst die Schule ab, heute ist sie gefeierte und vielfach ausgezeichnete Komponistin. Längst erklärt ihr kein Mann mehr, wie ihre Musik zu interpretieren sei. morgen besuchte sie in ihrem Wohnstudio im Traisental.

Wenn Elisabeth Schimana über Musik spricht, schwingt ihr ganzer Körper mit. Zum Beispiel, wenn sie die Zeitstruktur eines ihrer Werke erklärt, bei denen die Interpretinnen und Interpreten Alltagsgeräusche mit ihren Instrumenten nachspielen: Dann hackt sie mit den Händen in die Luft. Oder wenn sie über die „kritische Bandbreite“ spricht, „Frequenzbänder, bei denen sich das Ohr nicht entscheiden kann, um welche Tonhöhe es sich handelt“: Dann richtet sie die Handflächen vertikal auf und bewegt sie parallel zueinander, als schwebe die Bandbreite dazwischen.

An einem sonnigen Vormittag im September sitzt die Komponistin auf einem Sofa in ihrem Arbeitszimmer – vor einigen Jahren ist sie in ein Haus in St. Aegyd am Neuwalde gezogen – und spricht über die Bedeutung der physischen Präsenz für die elektronische und elektroakustische Musik, zu deren spannendsten Vertreterinnen sie heute zählt. In diesem Bereich, so ihre Wahrnehmung, werde das Körperliche traditionell unterschätzt. „Man hatte die Vorstellung, dass es gar nicht mehr wichtig sei“, schildert sie. „Oder man macht etwas Performatives, geht irgendwie auf der Bühne herum.“ Ihrer Auffassung nach solle der menschliche Körper bei einer Aufführung eine starke Ausstrahlung haben. „Musikerinnen müssen in jeder Millisekunde präsent sein.“ Das nehme auch das Publikum wahr, wie bei der elektroakustischen Pionierin Beatriz Ferreyra: „Wenn sie am Mischpult ist und spielt, dann ist sie wirklich anwesend“, erzählt Schimana enthusiastisch und öffnet die Arme dabei weit.

Wer mit und für Elisabeth Schimana musiziert, ihre Kompositionen umsetzt und auf sie reagiert, benötigt wohl die Aufmerksamkeit und Sensibilität einer Herzchirurgin. In Zusammenhang mit ihrer Komposition „Höllenmaschine“, in der sie laut Eigenaussage eine „Dichte, eine gewaltige breitfrequente Masse von Sound“ auf den Körper losbrechen lässt, listete sie einmal jene Körperteile auf, die deren Interpretinnen und Interpreten zum Einsatz bringen müssen: „Vier Hände und zwei Füße von zwei Menschen arbeiten, Fingerarbeit, Beinarbeit, dazu Augen und Ohren, Gehirne, Hirnarbeit. Und die Herzen schlagen.“

Schule abgebrochen

Es ist schwer, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, was die 1958 geborene Musikerin schon alles gemacht, geschaffen, initiiert, kuratiert hat. In Innsbruck aufgewachsen, musizierte sie mit einer Freundin auf der Straße und brach die Schule ab. Bald verließ sie Tirol Richtung Wien, wo es für künstlerisch ambitionierte junge Frauen mehr zu holen gab, schloss sich dort einer Performance-Truppe an, begann zu musizieren, studierte zunächst am Elektroakustischen Institut (ELAK), später Musikwissenschaft und Ethnologie, wofür sie Studienberechtigungsprüfungen ablegen musste. Danach setzte sie noch ein Studium der Computermusik an der Kunstuni Graz drauf. Sie komponierte mit Kindern, im Zuge der legendären Musikvermittlungsaktion „Klangnetze“, entwickelte künstlerische Installationen im öffentlichen Raum, kuratierte eine Ausstellung mit Klangmaschinen, reanimierte einen musealen Max-Brand-Synthesizer, komponiert seit 1989 für das Ö1-Kunstradio, gründete 2005 das Institut für Medienarchäologie (IMA), heute mit Sitz in St. Pölten (siehe Beitrag ab Seite 34). Und aktuell arbeitet sie an einem Artistic-Research-Projekt an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Während all dem schuf sie über die Jahrzehnte zahllose Stücke, nur einige davon seien hier namentlich genannt: „On Tesar“, „Obduktion“, „Die große Partitur“ (mit Seppo Gründler), „Sternenstaub“, „In die Sonne“, „Weites Land“, und, seit 2011, die „Virus“-Serie. Heute ist Elisabeth Schimana eine vielfach ausgezeichnete Komponistin. Die Musikwissenschaftlerin Milena Meller beschreibt ihr Schaffen so: „Ob kaum hörbares Knistern ferner Eruptionen oder brüllendes Aufbäumen übereinander geschichteter Klangflächen: Elisabeth Schimanas Musik bewegt sich an den Rändern, in Extremen. Und ist zugleich zurückgenommen, einem großspurig-gestalterischen Gestus entsagend und Spektakulär-Eingängiges verweigernd.“

Wir haben nie etwas über Pionierinnen wie Maryanne Amacher und Beatriz Ferreyra gelernt.

Ausloten der Grenzen

In ihrem Haus im Traisental vereinen sich Wohn- und Arbeitsstätte. Das Studio, in dem das Gespräch stattfindet, öffnet sich an einer Seite zu einem kleinen Klavierzimmer; ein paar Stufen führen in einen Garten. Die Natur schaut zum Fenster herein, von nebenan grüßt ein Wäldchen, die sanft hügelige Landschaft des Traisentals lädt zum Spazieren ein. Einen angenehmen Ruhepol hat sich Elisabeth Schimana hier geschaffen, und einen solchen braucht sie auch. Ihre vielzähligen und vielfältigen Projekte erfordern oft hohen Organisationsaufwand und viel Kommunikation. Bei so viel Betriebsamkeit ist ein Rückzugsraum wichtig.

In der Nähe dieses wunderbaren Ortes konnte sich im Vorjahr das Publikum einen Eindruck von Schimanas Schaffen machen. Im Auftrag des Gegenwartskunst-Festivals Tangente komponierte sie damals das erste Mal ein Stück für eine Orgel, nämlich jene des St. Pöltner Doms: „Virus 3.6“, für das sie mit dem Domorganisten Ludwig Lusser und, wie schon so oft, dem Black Page Orchestra zusammenarbeitete. Tangente-Geschäftsführerin Angelika Schopper, die auch das Musikprogramm mitkuratierte, hatte sie damals eingeladen. Sie schätzt an Schimanas Kunst, wie sie sagt, „dass sie Grenzen auslotet und das auch für das Publikum spürbar wird“. An den Abend im Dom erinnert sich Schopper so: „Es war eine spannungsreiche Uraufführung; das Publikum hat sich sehr in die Musik vertieft. Die Musikerinnen und Musiker waren im Raum verteilt, man sah sie teilweise gar nicht, hörte Signale aus dem Raum.“

Verwirrungen und Grauzonen

In ihrer „Virus“-Serie programmiert Schimana live Musik, im Publikum sitzend; die Ausführenden müssen diese Töne dann möglichst präzise imitieren. „Die Tonhöhen und das Material sind fixiert“, erklärt die Künstlerin ihr Vorgehen. Live erstellt sie dann die Oszillatoren. „‚Virus‘ hat ganz hohe und ganz tiefe Frequenzen. Die Musikerinnen spielen zunächst nur das Hohe oder nur das Tiefe. Mit der Zeit verbinden sie es und machen eigene Patterns.“ Eine große He­raus­forderung für die Spielenden, wie sie selbst sagt. „Dabei entstehen Verwirrungen, Grauzonen und Unschärfen.“ Genau das interessiert sie freilich. Dem geht ein, wie sie es nennt, „wechselseitiges Abtasten“ voran.
Der Name „Virus“ lädt, wie viele Titel von Schimanas Werken, zu Assoziationen ein. Nicht ungewollt. „Der akustische Klangkörper entspricht dem Bild eines Virus, denn die Musiker*innen müssen an den elektronischen Klangkörper andocken, sich an ihn anpassen, in ihn eindringen, wodurch eine Synthese der beiden Klangkörper entsteht“, schreibt die Künstlerin in einem Text. Hier ist er wieder, der menschliche Leib.

Elisabeth Schimanas Musik bewegt sich an den Rändern, in Extremen.

Elektronik und Klavier: Schimanas Musik vereint beides

© Markus Rössle
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Gegenseitige Unterstützung

In der Neuen Musik seien heute zwar mehr Frauen tätig als früher, leisteten auch Festivals wie Wien Modern gute Arbeit. Doch an vielen Orten herrsche Ignoranz gegenüber Musikerinnen. Schimana ist vernetzt mit zahlreichen Kolleginnen, mit denen sie sich immer wieder gegen die Benachteiligung von Frauen verbündet: „Auch wenn wir Konkurrentinnen sind, unterstützen wir einander gegenseitig.“

Elisabeth Schimana möchte etwas bewegen, das merkt man. Ein weiteres ihrer Anliegen: die bessere Sichtbarkeit von Neuer Musik. Der Vorwurf, sperrig zu sein, sei vielleicht nicht ganz von der Hand zu weisen, konzediert sie. Das wahre Problem liege aber in der mangelnden institutionellen Wahrnehmung. Gemeinsam mit Bernhard Günther, dem künstlerischen Leiter von Wien Modern, und Sabine Reiter, Direktorin des Musikinformationszentrums Mica – Music Austria, setzt sie sich für ein Haus für Neue Musik in Wien ein.

Ihr eigenes Werk „Virus 3.6“ im Dom von St. Pölten zog ein großes lokales Publikum an. Das Interesse für Neue Musik und ihre Komponistinnen reicht über nerdige Intellektuelle mit Insiderwissen schon lange hinaus, das beweist Elisabeth Schimana mit ihrer Musik, die bisweilen auch beim Publikum direkt in den Körper geht. ● ○

Aktuell leitet Elisabeth Schimana das internationale FWF-Projekt „Klang als Partitur“, das an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien angesiedelt ist.
Mehr dazu unter: fwf.ac.at/forschungsradar

© MaschekS
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Institut für Medienarchäologie

Feministische Frequenzen


Vor 20 Jahren gründete Elisabeth Schimana in Hainburg das Institut für Medienarchäologie (IMA). Es erforscht die Tiefenschichten der elektronischen Kunst, hebt weibliche Pionierinnen ans Licht und denkt über die Zukunft von Technologie und Gesellschaft nach.

Als Elisabeth Schimana 2005 von einem Postgraduate-Studium am Moskauer Theremin Center nach Hainburg an der Donau zurückkehrte, gehörte sie längst zu den Koryphäen der elektroakustischen und experimentellen Musik in Österreich. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Andrea Sodomka gründete sie damals das Institut für Medienarchäologie (IMA). In einer Zeit, in der die heute allgegenwärtige künstlerische Forschung noch in ihren Anfängen steckte, betraten sie mit einem solchen Vorhaben Neuland. Schimana erinnert sich: „In Moskau arbeitete ich mit An­drei Smirnov zusammen, der die russischen Ur-Instrumente der elektronischen Musik von Theremin bis ANS-Synthesizer sammelte.“ Sie kam mit der „noch vagen Idee von der akustischen Medienarchäologie zurück“, befasste sich mit den Ideen des deutschen Medientheoretikers Siegfried Zielinski, mit dem sie auch in Kontakt kam.

Klangzauber

So entstand die Idee, eine Einrichtung für Tiefenbohrungen in die Mediengeschichte zu betreiben. Dabei kam es gelegen, „dass man in Österreich fast alles Institut nennen kann“, wie die Musikerin und Komponistin schmunzelnd erzählt. Schwerpunkte sind bis heute, so steht es auf der IMA-Website, „Ausgrabungen von Produktionen von Frauen im Bereich der elektronischen Kunst und deren Sichtbarmachung für eine breitere Öffentlichkeit“. Für morgen blickte Elisabeth Schimana mit einigen ihrer Kolleginnen und Kollegen auf zwei Dekaden IMA zurück.

Sein erstes Büro hatte das Institut an Schimanas Wohn- und Arbeitsort in Hainburg an der Donau, ihr zufolge damals noch eine kulturelle Einöde. Danach übersiedelte das IMA in die Kulturfabrik Hainburg, eine ehemalige Tabakfabrik, 2012 in den dortigen Klosterhof, bevor es vor rund zehn Jahren in St. Pölten ankam. Bereits mit der Ausstellung „Zauberhafte Klangmaschinen“ 2008 vergrößerte sich das Kernteam, aus dem einige bis heute blieben. Beispielsweise der Medienkünstler Norbert Math, wie Andrea Sodomka Teil des Kollektivs Alien Productions. Er erzählt: „Ich kannte Elisabeth schon seit den späten 1980er-Jahren. Wir studierten gemeinsam am Institut für elektronische und elektroakustische Musik. Dadurch fanden wir eine gemeinsame künstlerische Sprache.“ Unter dem Schlagwort Medienarchäologie konnte er sich damals zunächst nichts vorstellen. Dann verstand er, „dass es um die Kultur geht, Sachen zum Vorschein zu bringen, die ansonsten wieder verschwinden – was im medialen Kontext recht schnell passiert“. Elisabeth Schimana beschreibt diesen Prozess so: „Die Geschichtsschreibung zeigt sich mit immer tiefer gehender Forschung nie linear, ganz im Gegenteil. Es ist ein gebogener, ein rekursiver Zeitstrahl.“ Also: Was zu einem bestimmten Zeitpunkt als unhinterfragte Norm beziehungsweise wer als Wegbereiterin oder Wegbereiter einer Kunstform oder Technologie gilt, ist nie endgültig gesetzt. Archive und die durch sie ermöglichten Entdeckungen können den zeitgenössischen Blick auf die Vergangenheit – und damit auch auf Gegenwart und Zukunft – drastisch verändern.

„IMAfiction Portrait #6: Maryanne Amacher“, Screening im Echoraum Wien, 2024, in Kooperation mit der Veranstaltungsreihe XX Y X

© Michaela Schwentner
© Michaela Schwentner

Backlash

Insbesondere weibliches Kunstschaffen droht häufig in der Geschichtsvergessenheit zu versinken. Bei dem frühen IMA-Projekt „Maschinen Divas“, stellten Andrea Sodomka und die Künstlerin Eva Ursprung bei Veranstaltungen wie der Linzer Ars Electronica Künstlerinnen vor, die im erweiterten Theaterraum mit neuen und alten Technologien experimentierten und dies bis heute tun. Einige davon, etwa Nina Sobell, sind mittlerweile fest im Kanon verankert. Eva Ursprung erinnert sich: „Ich will nicht behaupten, dass wir sie entdeckt haben, aber durch solche Projekte erscheinen Frauen und ihre Arbeit auf der Bildfläche.“ Allerdings, so spricht sie einen gesellschaftlichen Backlash an, gehe man gerade wieder auf eine Zeit zu, in der diese Anstrengungen infrage gestellt würden. „Deshalb gilt es auch beharrlich weiter daran zu arbeiten, um genügend Menschen und eine kritische Masse zu erreichen.“

Die Geschichtsschreibung zeigt sich nie linear.

Gesellschaftliche Bruchlinien

Im Laufe der vergangenen 20 Jahre wurden die politischen Stellungnahmen im Kontext von IMA-Projekten zunehmend expliziter. Sie beziehen sich auf Themen wie reproduktive Selbstbestimmung und die Bedrohung durch digitale Diktaturen. Die Gründe dafür sieht Eva Ursprung mehrfach gelagert: „Viele Mitglieder des IMA sind sehr politisch eingestellt. Außerdem steigt die Notwendigkeit, wenn man bedenkt, wie rasant die Rechten derzeit an Macht gewinnen.“ Dem wolle man etwas entgegensetzen – und sich rüsten für das, was noch kommen könnte.

In den Gesprächen mit IMA-Vorstandsmitgliedern sind auch die Entwicklungen von Internet und künstlicher Intelligenz ständiges Thema. Oft scheinen sie lineare zu sein, aber entspricht das der Realität? Der Sound- und Medienkünstler Seppo Gründler widerspricht. In ihren Anfängen hätten Technologien zumeist noch keine wirklich gesellschaftliche Bedeutung. Dennoch sehe man schon zu diesem Zeitpunkt „deutlich, welche Bruchlinien sie in der Gesellschaft auftun könnten.“ So habe man bereits Ende der 1950er-Jahre alle Probleme, die heute die KI aufwirft, benannt. Norbert Math erinnert an die Anfänge des Internets, das einst als Befreiung gefeiert wurde, „ganz im Wissen, dass es eine Technologie ist, die vom Militär unterstützt wird und nicht als Geschenk daherkommt“.

Lentos-Ausstellung „Hidden Alliances. Elisabeth Schimana and the IMAfiction Series“, 2018

© MaschekS
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Innerhalb des Instituts für Medienarchäologie scheint das Lager, das dem Internet und der damit einhergehenden Informationskonkurrenz skeptisch bis ablehnend gegenübersteht, in der Überzahl zu sein. Das zeigt sich auch in den Aktivitäten des IMA, das keinen fixen Ort bespielt. Zwar publiziert es auf seiner Website beispielsweise die Serie „IMAfiction Portraits“ mit Schwerpunkt auf Electronic-Künstlerinnen. Aber es bietet diese auch als DVD-Serie an. Aus den zehn Porträts wurde anschließend eine Ausstellung mit Live-Performances namens „Hidden Alliances“ im Lentos Kunstmuseum Linz. Aufgrund von deren Erfolg wurde die Serie dann um zehn Pionierinnen erweitert. 2019 erschien eine zweisprachige Publikation rund um Künstlerinnen, deren Auswahl aus heutiger Sicht zwar eine deutliche Fokussierung auf weiße, westliche Frauen offenbart, deren Namen mittlerweile jedoch zum Basiswissen der elektronischen Musik gehören – darunter etwa Éliane Radigue, Electric Indigo, Moor Mother und Hildegard Westerkamp.

Darüber hinaus präsentiert das IMA seine Forschungsergebnisse gern bei zahlreichen Veranstaltungen – im Realraum, etwa bei der Veranstaltungsreihe XX Y X im Echoraum in Wien. Laut Math eine bewusste Entscheidung: „Mehrere von uns verweigern sich dem Web 2.0, also dem Teil des Internets, der von großen Firmen kontrolliert ist. Das ist ein freiwilliges Einsiedlertum und hat den Vorteil, sich den Aufmerksamkeitsmaschinen entziehen zu können.“ Vielleicht sei es besser, mit 20 Leuten intensiven Kontakt zu haben, als bei 20.000 nur kurz – „wisch und weg“ – aufzublitzen.

„IMAfiction Portrait #01: Liesl Ujvary“, Performance von Brigitta Bödenauer (Echoraum Wien, 2024, in Kooperation mit der Veranstaltungsreihe XX Y X)

© Michaela Schwentner
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„Arbeitet mit!“

Diese vertiefende Arbeitsweise hat auch im Aufbau des Vereins IMA System. Die Website listet als „Mitglieder“ rund 40 Personen auf, unter „Menschen“ gut 200 – das sind alle, die an bisherigen Projekten beteiligt waren. Um IMA-Mitglied zu werden, müssen Interessierte eine Anfrage stellen. Nach positiver Bewertung durch den Vorstand zahlen sie einen einmaligen Beitrittsbeitrag von derzeit 30 Euro. Diese Mitglieder tauchen in künstlerischen Forschungsprojekten immer wieder auf, in teils unregelmäßigen Abständen. Schimana: „Es gibt sehr lange Traditionen bei IMA. Leute arbeiten einmal viel mit uns und verschwinden, dann kommen und gehen sie wieder. Das ist ein normaler Prozess bei uns.“ Ausschlaggebend dafür seien die Themen, die das IMA gerade bearbeitet.

Für Schimana ist trotz ihrer feministischen Ausrichtung wichtig, dass sich Männer an den IMA-Projekten beteiligen. „Wir sagen ihnen: Es ist auch eure Geschichte, arbeitet mit!“ Die Diskussion um Gender Balance hat sich seit 2005 freilich weiterentwickelt. Eva Ursprung betont: „Die jüngere Generation tickt da schon ganz anders und denkt Geschlechter nicht mehr binär. In Zukunft werden wir sicher mehr darauf eingehen.“

Die jüngere Generation tickt schon ganz anders.

Am Ende noch eine letzte Frage: Warum zog das IMA aus Hainburg nicht nach Wien, sondern nach St. Pölten? Für Elisabeth Schimana eine klare Sache: „Das ist ein Ort, der noch was will. Wien will eigentlich nichts mehr. Wien ist voll, Wien ist inflationär. Außerdem bin ich von Wien in 24 Minuten in St. Pölten, schneller als in Aspern.“ Und sofern alles weiterhin gut läuft, wolle man auch dort bleiben. Schimana schaut vorsichtig in die Zukunft; man wisse nie, was in zwei oder drei Jahren sei. Vorerst wirken alle vier entschlossen, die Projekte der nächsten Jahre durchzuziehen. Damit sind sie so beschäftigt, dass zumindest heuer keine Zeit für eine 20-Jahr-Feier war. Die IMA-Tätigkeit befruchtet dabei auch die eigene Kunst, eine unglaubliche Bereicherung, wie Eva Ursprung sagt. Nachsatz: „Viel Arbeit ist es halt.“

Die viele Arbeit der vergangenen zwei Dekaden hat sich gelohnt. Jedenfalls wird niemand mehr die historischen Verdienste von Elektronik-Pionierinnen und deren jüngere Nachfolgerinnen ignorieren können.● ○