Es war ein kurzfristiger Entschluss. Irgendwann im Sommer 2023 lud das Grafenegg Festival spontan zu einem Konzert der Grafenegg Academy, einer Art Mentoring für den Nachwuchs. Am Programm standen Werke von Györgyi Ligeti, Mauricio Kagel und George Crumb. Ich nahm die Einladung an und erlebte einen Abend, der nachhaltig in Erinnerung blieb. Wie hier die Klänge durch den Raum reisten, welche Soundcluster das Ensemble den Instrumenten entlockte: Das rief beim Publikum, das sich frei bewegen durfte, große Begeisterung hervor.
Das heimische Musikgeschehen scheint, blättert man Programme durch, nach wie vor von Mozart und Beethoven dominiert zu sein. Komponierkunst jüngeren Datums führt nach wie vor ein Nischendasein. Vielleicht hat das einen Grund: Wer nach einem langen Arbeitstag Entspannung sucht, ist bei einem Konzert von Sofia Gubaidulina oder Rebecca Saunders vielleicht nicht unbedingt richtig. Die Neue Musik, der wir unser aktuelles morgen widmen, versetzt ins Staunen, verlangt ihrer Hörerschaft aber bisweilen einiges ab, zunächst einmal „offene Ohren“. So nennt es jedenfalls die beeindruckende Veronika Grossberger, die als Musikvermittlerin tätig ist. Nie wisse man, sagt sie in unserem Artikel von Saskia Blatakes, „welcher Ton als Nächstes um die Ecke biegt“. Auch dank des Wirkens von Menschen wie ihr hat sich über die Jahre ein kundiges Publikum für Neue Musik entwickelt, das gefühlt immer größer wird.
Bei der Arbeit an diesem Heft bekamen meine Kolleginnen und ich häufig die Frage gestellt, was genau wir unter Neuer Musik verstünden. Die Definition nach Wikipedia, wonach es sich dabei um „unterschiedliche Strömungen komponierter westlicher Kunstmusik von etwa 1910 bis zur Gegenwart“ handle, erscheint nicht besonders befriedigend. Und so wird diese Frage permanent verhandelt, aktuell etwa beim Festival Wien Modern, dessen Besuch ich Ihnen nachdrücklich ans Herz legen möchte.
Wie offen die Grenzen der Neuen Musik sind, beweist auch die künstlerische Biografie von Elisabeth Schimana, um die sich diesmal unser Special dreht. Zudem besuchte die Journalistin Daniela Tomasovsky eine Probe des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich, das immer wieder gegenwärtige Kompositionen zur Uraufführung bringt. Und Miriam Damev, eine Instanz in der heimischen Musikkritik, bat den renommierten Komponisten HK Gruber und seine Kollegin Ursula Erhart-Schwertmann zu einem Gespräch. Darin formuliert Ersterer einen Wunsch an den heimischen Kulturbetrieb. Dessen wichtigste Aufgabe, sagte er, sei „deutlich zu machen, dass wir heute leben. Wir fahren nicht mehr mit der Postkutsche, sondern mit dem Auto.“ Dem können wir uns nur anschließen. ● ○
Herzlichst
Ihre Nina Schedlmayer