© MaschekS
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Institut für Medienarchäologie

Feministische Frequenzen


Vor 20 Jahren gründete Elisabeth Schimana in Hainburg das Institut für Medienarchäologie (IMA). Es erforscht die Tiefenschichten der elektronischen Kunst, hebt weibliche Pionierinnen ans Licht und denkt über die Zukunft von Technologie und Gesellschaft nach.

Als Elisabeth Schimana 2005 von einem Postgraduate-Studium am Moskauer Theremin Center nach Hainburg an der Donau zurückkehrte, gehörte sie längst zu den Koryphäen der elektroakustischen und experimentellen Musik in Österreich. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Andrea Sodomka gründete sie damals das Institut für Medienarchäologie (IMA). In einer Zeit, in der die heute allgegenwärtige künstlerische Forschung noch in ihren Anfängen steckte, betraten sie mit einem solchen Vorhaben Neuland. Schimana erinnert sich: „In Moskau arbeitete ich mit An­drei Smirnov zusammen, der die russischen Ur-Instrumente der elektronischen Musik von Theremin bis ANS-Synthesizer sammelte.“ Sie kam mit der „noch vagen Idee von der akustischen Medienarchäologie zurück“, befasste sich mit den Ideen des deutschen Medientheoretikers Siegfried Zielinski, mit dem sie auch in Kontakt kam.

Klangzauber

So entstand die Idee, eine Einrichtung für Tiefenbohrungen in die Mediengeschichte zu betreiben. Dabei kam es gelegen, „dass man in Österreich fast alles Institut nennen kann“, wie die Musikerin und Komponistin schmunzelnd erzählt. Schwerpunkte sind bis heute, so steht es auf der IMA-Website, „Ausgrabungen von Produktionen von Frauen im Bereich der elektronischen Kunst und deren Sichtbarmachung für eine breitere Öffentlichkeit“. Für morgen blickte Elisabeth Schimana mit einigen ihrer Kolleginnen und Kollegen auf zwei Dekaden IMA zurück.

Sein erstes Büro hatte das Institut an Schimanas Wohn- und Arbeitsort in Hainburg an der Donau, ihr zufolge damals noch eine kulturelle Einöde. Danach übersiedelte das IMA in die Kulturfabrik Hainburg, eine ehemalige Tabakfabrik, 2012 in den dortigen Klosterhof, bevor es vor rund zehn Jahren in St. Pölten ankam. Bereits mit der Ausstellung „Zauberhafte Klangmaschinen“ 2008 vergrößerte sich das Kernteam, aus dem einige bis heute blieben. Beispielsweise der Medienkünstler Norbert Math, wie Andrea Sodomka Teil des Kollektivs Alien Productions. Er erzählt: „Ich kannte Elisabeth schon seit den späten 1980er-Jahren. Wir studierten gemeinsam am Institut für elektronische und elektroakustische Musik. Dadurch fanden wir eine gemeinsame künstlerische Sprache.“ Unter dem Schlagwort Medienarchäologie konnte er sich damals zunächst nichts vorstellen. Dann verstand er, „dass es um die Kultur geht, Sachen zum Vorschein zu bringen, die ansonsten wieder verschwinden – was im medialen Kontext recht schnell passiert“. Elisabeth Schimana beschreibt diesen Prozess so: „Die Geschichtsschreibung zeigt sich mit immer tiefer gehender Forschung nie linear, ganz im Gegenteil. Es ist ein gebogener, ein rekursiver Zeitstrahl.“ Also: Was zu einem bestimmten Zeitpunkt als unhinterfragte Norm beziehungsweise wer als Wegbereiterin oder Wegbereiter einer Kunstform oder Technologie gilt, ist nie endgültig gesetzt. Archive und die durch sie ermöglichten Entdeckungen können den zeitgenössischen Blick auf die Vergangenheit – und damit auch auf Gegenwart und Zukunft – drastisch verändern.

„IMAfiction Portrait #6: Maryanne Amacher“, Screening im Echoraum Wien, 2024, in Kooperation mit der Veranstaltungsreihe XX Y X

© Michaela Schwentner
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Backlash

Insbesondere weibliches Kunstschaffen droht häufig in der Geschichtsvergessenheit zu versinken. Bei dem frühen IMA-Projekt „Maschinen Divas“, stellten Andrea Sodomka und die Künstlerin Eva Ursprung bei Veranstaltungen wie der Linzer Ars Electronica Künstlerinnen vor, die im erweiterten Theaterraum mit neuen und alten Technologien experimentierten und dies bis heute tun. Einige davon, etwa Nina Sobell, sind mittlerweile fest im Kanon verankert. Eva Ursprung erinnert sich: „Ich will nicht behaupten, dass wir sie entdeckt haben, aber durch solche Projekte erscheinen Frauen und ihre Arbeit auf der Bildfläche.“ Allerdings, so spricht sie einen gesellschaftlichen Backlash an, gehe man gerade wieder auf eine Zeit zu, in der diese Anstrengungen infrage gestellt würden. „Deshalb gilt es auch beharrlich weiter daran zu arbeiten, um genügend Menschen und eine kritische Masse zu erreichen.“

Die Geschichtsschreibung zeigt sich nie linear.

Gesellschaftliche Bruchlinien

Im Laufe der vergangenen 20 Jahre wurden die politischen Stellungnahmen im Kontext von IMA-Projekten zunehmend expliziter. Sie beziehen sich auf Themen wie reproduktive Selbstbestimmung und die Bedrohung durch digitale Diktaturen. Die Gründe dafür sieht Eva Ursprung mehrfach gelagert: „Viele Mitglieder des IMA sind sehr politisch eingestellt. Außerdem steigt die Notwendigkeit, wenn man bedenkt, wie rasant die Rechten derzeit an Macht gewinnen.“ Dem wolle man etwas entgegensetzen – und sich rüsten für das, was noch kommen könnte.

In den Gesprächen mit IMA-Vorstandsmitgliedern sind auch die Entwicklungen von Internet und künstlicher Intelligenz ständiges Thema. Oft scheinen sie lineare zu sein, aber entspricht das der Realität? Der Sound- und Medienkünstler Seppo Gründler widerspricht. In ihren Anfängen hätten Technologien zumeist noch keine wirklich gesellschaftliche Bedeutung. Dennoch sehe man schon zu diesem Zeitpunkt „deutlich, welche Bruchlinien sie in der Gesellschaft auftun könnten.“ So habe man bereits Ende der 1950er-Jahre alle Probleme, die heute die KI aufwirft, benannt. Norbert Math erinnert an die Anfänge des Internets, das einst als Befreiung gefeiert wurde, „ganz im Wissen, dass es eine Technologie ist, die vom Militär unterstützt wird und nicht als Geschenk daherkommt“.

Lentos-Ausstellung „Hidden Alliances. Elisabeth Schimana and the IMAfiction Series“, 2018

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Innerhalb des Instituts für Medienarchäologie scheint das Lager, das dem Internet und der damit einhergehenden Informationskonkurrenz skeptisch bis ablehnend gegenübersteht, in der Überzahl zu sein. Das zeigt sich auch in den Aktivitäten des IMA, das keinen fixen Ort bespielt. Zwar publiziert es auf seiner Website beispielsweise die Serie „IMAfiction Portraits“ mit Schwerpunkt auf Electronic-Künstlerinnen. Aber es bietet diese auch als DVD-Serie an. Aus den zehn Porträts wurde anschließend eine Ausstellung mit Live-Performances namens „Hidden Alliances“ im Lentos Kunstmuseum Linz. Aufgrund von deren Erfolg wurde die Serie dann um zehn Pionierinnen erweitert. 2019 erschien eine zweisprachige Publikation rund um Künstlerinnen, deren Auswahl aus heutiger Sicht zwar eine deutliche Fokussierung auf weiße, westliche Frauen offenbart, deren Namen mittlerweile jedoch zum Basiswissen der elektronischen Musik gehören – darunter etwa Éliane Radigue, Electric Indigo, Moor Mother und Hildegard Westerkamp.

Darüber hinaus präsentiert das IMA seine Forschungsergebnisse gern bei zahlreichen Veranstaltungen – im Realraum, etwa bei der Veranstaltungsreihe XX Y X im Echoraum in Wien. Laut Math eine bewusste Entscheidung: „Mehrere von uns verweigern sich dem Web 2.0, also dem Teil des Internets, der von großen Firmen kontrolliert ist. Das ist ein freiwilliges Einsiedlertum und hat den Vorteil, sich den Aufmerksamkeitsmaschinen entziehen zu können.“ Vielleicht sei es besser, mit 20 Leuten intensiven Kontakt zu haben, als bei 20.000 nur kurz – „wisch und weg“ – aufzublitzen.

„IMAfiction Portrait #01: Liesl Ujvary“, Performance von Brigitta Bödenauer (Echoraum Wien, 2024, in Kooperation mit der Veranstaltungsreihe XX Y X)

© Michaela Schwentner
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„Arbeitet mit!“

Diese vertiefende Arbeitsweise hat auch im Aufbau des Vereins IMA System. Die Website listet als „Mitglieder“ rund 40 Personen auf, unter „Menschen“ gut 200 – das sind alle, die an bisherigen Projekten beteiligt waren. Um IMA-Mitglied zu werden, müssen Interessierte eine Anfrage stellen. Nach positiver Bewertung durch den Vorstand zahlen sie einen einmaligen Beitrittsbeitrag von derzeit 30 Euro. Diese Mitglieder tauchen in künstlerischen Forschungsprojekten immer wieder auf, in teils unregelmäßigen Abständen. Schimana: „Es gibt sehr lange Traditionen bei IMA. Leute arbeiten einmal viel mit uns und verschwinden, dann kommen und gehen sie wieder. Das ist ein normaler Prozess bei uns.“ Ausschlaggebend dafür seien die Themen, die das IMA gerade bearbeitet.

Für Schimana ist trotz ihrer feministischen Ausrichtung wichtig, dass sich Männer an den IMA-Projekten beteiligen. „Wir sagen ihnen: Es ist auch eure Geschichte, arbeitet mit!“ Die Diskussion um Gender Balance hat sich seit 2005 freilich weiterentwickelt. Eva Ursprung betont: „Die jüngere Generation tickt da schon ganz anders und denkt Geschlechter nicht mehr binär. In Zukunft werden wir sicher mehr darauf eingehen.“

Die jüngere Generation tickt schon ganz anders.

Am Ende noch eine letzte Frage: Warum zog das IMA aus Hainburg nicht nach Wien, sondern nach St. Pölten? Für Elisabeth Schimana eine klare Sache: „Das ist ein Ort, der noch was will. Wien will eigentlich nichts mehr. Wien ist voll, Wien ist inflationär. Außerdem bin ich von Wien in 24 Minuten in St. Pölten, schneller als in Aspern.“ Und sofern alles weiterhin gut läuft, wolle man auch dort bleiben. Schimana schaut vorsichtig in die Zukunft; man wisse nie, was in zwei oder drei Jahren sei. Vorerst wirken alle vier entschlossen, die Projekte der nächsten Jahre durchzuziehen. Damit sind sie so beschäftigt, dass zumindest heuer keine Zeit für eine 20-Jahr-Feier war. Die IMA-Tätigkeit befruchtet dabei auch die eigene Kunst, eine unglaubliche Bereicherung, wie Eva Ursprung sagt. Nachsatz: „Viel Arbeit ist es halt.“

Die viele Arbeit der vergangenen zwei Dekaden hat sich gelohnt. Jedenfalls wird niemand mehr die historischen Verdienste von Elektronik-Pionierinnen und deren jüngere Nachfolgerinnen ignorieren können.● ○