© Markus Rössle
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Elisabeth Schimana

Die Klangkörperkünstlerin


Elisabeth Schimana brach einst die Schule ab, heute ist sie gefeierte und vielfach ausgezeichnete Komponistin. Längst erklärt ihr kein Mann mehr, wie ihre Musik zu interpretieren sei. morgen besuchte sie in ihrem Wohnstudio im Traisental.

Porträt: Nina Schedlmayer
Fotos: Markus Rössle

Wenn Elisabeth Schimana über Musik spricht, schwingt ihr ganzer Körper mit. Zum Beispiel, wenn sie die Zeitstruktur eines ihrer Werke erklärt, bei denen die Interpretinnen und Interpreten Alltagsgeräusche mit ihren Instrumenten nachspielen: Dann hackt sie mit den Händen in die Luft. Oder wenn sie über die „kritische Bandbreite“ spricht, „Frequenzbänder, bei denen sich das Ohr nicht entscheiden kann, um welche Tonhöhe es sich handelt“: Dann richtet sie die Handflächen vertikal auf und bewegt sie parallel zueinander, als schwebe die Bandbreite dazwischen.

An einem sonnigen Vormittag im September sitzt die Komponistin auf einem Sofa in ihrem Arbeitszimmer – vor einigen Jahren ist sie in ein Haus in St. Aegyd am Neuwalde gezogen – und spricht über die Bedeutung der physischen Präsenz für die elektronische und elektroakustische Musik, zu deren spannendsten Vertreterinnen sie heute zählt. In diesem Bereich, so ihre Wahrnehmung, werde das Körperliche traditionell unterschätzt. „Man hatte die Vorstellung, dass es gar nicht mehr wichtig sei“, schildert sie. „Oder man macht etwas Performatives, geht irgendwie auf der Bühne herum.“ Ihrer Auffassung nach solle der menschliche Körper bei einer Aufführung eine starke Ausstrahlung haben. „Musikerinnen müssen in jeder Millisekunde präsent sein.“ Das nehme auch das Publikum wahr, wie bei der elektroakustischen Pionierin Beatriz Ferreyra: „Wenn sie am Mischpult ist und spielt, dann ist sie wirklich anwesend“, erzählt Schimana enthusiastisch und öffnet die Arme dabei weit.

Wer mit und für Elisabeth Schimana musiziert, ihre Kompositionen umsetzt und auf sie reagiert, benötigt wohl die Aufmerksamkeit und Sensibilität einer Herzchirurgin. In Zusammenhang mit ihrer Komposition „Höllenmaschine“, in der sie laut Eigenaussage eine „Dichte, eine gewaltige breitfrequente Masse von Sound“ auf den Körper losbrechen lässt, listete sie einmal jene Körperteile auf, die deren Interpretinnen und Interpreten zum Einsatz bringen müssen: „Vier Hände und zwei Füße von zwei Menschen arbeiten, Fingerarbeit, Beinarbeit, dazu Augen und Ohren, Gehirne, Hirnarbeit. Und die Herzen schlagen.“

Schule abgebrochen

Es ist schwer, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, was die 1958 geborene Musikerin schon alles gemacht, geschaffen, initiiert, kuratiert hat. In Innsbruck aufgewachsen, musizierte sie mit einer Freundin auf der Straße und brach die Schule ab. Bald verließ sie Tirol Richtung Wien, wo es für künstlerisch ambitionierte junge Frauen mehr zu holen gab, schloss sich dort einer Performance-Truppe an, begann zu musizieren, studierte zunächst am Elektroakustischen Institut (ELAK), später Musikwissenschaft und Ethnologie, wofür sie Studienberechtigungsprüfungen ablegen musste. Danach setzte sie noch ein Studium der Computermusik an der Kunstuni Graz drauf. Sie komponierte mit Kindern, im Zuge der legendären Musikvermittlungsaktion „Klangnetze“, entwickelte künstlerische Installationen im öffentlichen Raum, kuratierte eine Ausstellung mit Klangmaschinen, reanimierte einen musealen Max-Brand-Synthesizer, komponiert seit 1989 für das Ö1-Kunstradio, gründete 2005 das Institut für Medienarchäologie (IMA), heute mit Sitz in St. Pölten (siehe Beitrag ab Seite 34). Und aktuell arbeitet sie an einem Artistic-Research-Projekt an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Während all dem schuf sie über die Jahrzehnte zahllose Stücke, nur einige davon seien hier namentlich genannt: „On Tesar“, „Obduktion“, „Die große Partitur“ (mit Seppo Gründler), „Sternenstaub“, „In die Sonne“, „Weites Land“, und, seit 2011, die „Virus“-Serie. Heute ist Elisabeth Schimana eine vielfach ausgezeichnete Komponistin. Die Musikwissenschaftlerin Milena Meller beschreibt ihr Schaffen so: „Ob kaum hörbares Knistern ferner Eruptionen oder brüllendes Aufbäumen übereinander geschichteter Klangflächen: Elisabeth Schimanas Musik bewegt sich an den Rändern, in Extremen. Und ist zugleich zurückgenommen, einem großspurig-gestalterischen Gestus entsagend und Spektakulär-Eingängiges verweigernd.“

Wir haben nie etwas über Pionierinnen wie Maryanne Amacher und Beatriz Ferreyra gelernt.

Ausloten der Grenzen

In ihrem Haus im Traisental vereinen sich Wohn- und Arbeitsstätte. Das Studio, in dem das Gespräch stattfindet, öffnet sich an einer Seite zu einem kleinen Klavierzimmer; ein paar Stufen führen in einen Garten. Die Natur schaut zum Fenster herein, von nebenan grüßt ein Wäldchen, die sanft hügelige Landschaft des Traisentals lädt zum Spazieren ein. Einen angenehmen Ruhepol hat sich Elisabeth Schimana hier geschaffen, und einen solchen braucht sie auch. Ihre vielzähligen und vielfältigen Projekte erfordern oft hohen Organisationsaufwand und viel Kommunikation. Bei so viel Betriebsamkeit ist ein Rückzugsraum wichtig.

In der Nähe dieses wunderbaren Ortes konnte sich im Vorjahr das Publikum einen Eindruck von Schimanas Schaffen machen. Im Auftrag des Gegenwartskunst-Festivals Tangente komponierte sie damals das erste Mal ein Stück für eine Orgel, nämlich jene des St. Pöltner Doms: „Virus 3.6“, für das sie mit dem Domorganisten Ludwig Lusser und, wie schon so oft, dem Black Page Orchestra zusammenarbeitete. Tangente-Geschäftsführerin Angelika Schopper, die auch das Musikprogramm mitkuratierte, hatte sie damals eingeladen. Sie schätzt an Schimanas Kunst, wie sie sagt, „dass sie Grenzen auslotet und das auch für das Publikum spürbar wird“. An den Abend im Dom erinnert sich Schopper so: „Es war eine spannungsreiche Uraufführung; das Publikum hat sich sehr in die Musik vertieft. Die Musikerinnen und Musiker waren im Raum verteilt, man sah sie teilweise gar nicht, hörte Signale aus dem Raum.“

Verwirrungen und Grauzonen

In ihrer „Virus“-Serie programmiert Schimana live Musik, im Publikum sitzend; die Ausführenden müssen diese Töne dann möglichst präzise imitieren. „Die Tonhöhen und das Material sind fixiert“, erklärt die Künstlerin ihr Vorgehen. Live erstellt sie dann die Oszillatoren. „‚Virus‘ hat ganz hohe und ganz tiefe Frequenzen. Die Musikerinnen spielen zunächst nur das Hohe oder nur das Tiefe. Mit der Zeit verbinden sie es und machen eigene Patterns.“ Eine große He­raus­forderung für die Spielenden, wie sie selbst sagt. „Dabei entstehen Verwirrungen, Grauzonen und Unschärfen.“ Genau das interessiert sie freilich. Dem geht ein, wie sie es nennt, „wechselseitiges Abtasten“ voran.
Der Name „Virus“ lädt, wie viele Titel von Schimanas Werken, zu Assoziationen ein. Nicht ungewollt. „Der akustische Klangkörper entspricht dem Bild eines Virus, denn die Musiker*innen müssen an den elektronischen Klangkörper andocken, sich an ihn anpassen, in ihn eindringen, wodurch eine Synthese der beiden Klangkörper entsteht“, schreibt die Künstlerin in einem Text. Hier ist er wieder, der menschliche Leib.

Elisabeth Schimanas Musik bewegt sich an den Rändern, in Extremen.

Elektronik und Klavier: Schimanas Musik vereint beides

© Markus Rössle
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Gegenseitige Unterstützung

In der Neuen Musik seien heute zwar mehr Frauen tätig als früher, leisteten auch Festivals wie Wien Modern gute Arbeit. Doch an vielen Orten herrsche Ignoranz gegenüber Musikerinnen. Schimana ist vernetzt mit zahlreichen Kolleginnen, mit denen sie sich immer wieder gegen die Benachteiligung von Frauen verbündet: „Auch wenn wir Konkurrentinnen sind, unterstützen wir einander gegenseitig.“

Elisabeth Schimana möchte etwas bewegen, das merkt man. Ein weiteres ihrer Anliegen: die bessere Sichtbarkeit von Neuer Musik. Der Vorwurf, sperrig zu sein, sei vielleicht nicht ganz von der Hand zu weisen, konzediert sie. Das wahre Problem liege aber in der mangelnden institutionellen Wahrnehmung. Gemeinsam mit Bernhard Günther, dem künstlerischen Leiter von Wien Modern, und Sabine Reiter, Direktorin des Musikinformationszentrums Mica – Music Austria, setzt sie sich für ein Haus für Neue Musik in Wien ein.

Ihr eigenes Werk „Virus 3.6“ im Dom von St. Pölten zog ein großes lokales Publikum an. Das Interesse für Neue Musik und ihre Komponistinnen reicht über nerdige Intellektuelle mit Insiderwissen schon lange hinaus, das beweist Elisabeth Schimana mit ihrer Musik, die bisweilen auch beim Publikum direkt in den Körper geht. ● ○

Aktuell leitet Elisabeth Schimana das internationale FWF-Projekt „Klang als Partitur“, das an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien angesiedelt ist.
Mehr dazu unter: fwf.ac.at/forschungsradar