© Markus Sepperer
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Musikvermittlung

Architektinnen des Hörens


Neue Musik polarisiert und fasziniert. Drei Musikvermittlerinnen erzählen, wie sie mit Gongs im Wasser, Schläuchen und Tanzeinlagen das Publikum zum Staunen bringen.

Es ist ein schönes Bild, das Veronika Grossberger für die Neue Musik findet. Wer sich mit ihr beschäftige, so sagt sie, wisse nie, „welcher Ton, welches Geräusch als Nächstes um die Ecke kommt“.

Grossberger arbeitet seit 2013 als selbstständige Musikvermittlerin, unter anderem im Salon Krenek im Minoritenkloster Krems. Davor studierte sie Musik- und Theaterwissenschaft in Wien sowie Kulturmanagement in London. In ihren Kursen arbeitet sie gerne mit Neuer Musik: „Oft haben wir durch unsere Lieblingsmusik eingeschliffene Hörgewohnheiten, das Gehör ist nicht mehr gefordert.“ Zeitgenössische Musik jedoch verlange „offene Ohren“. Man müsse „erst einmal alles loslassen und einfach nur zuhören, ohne gleich zu bewerten“.

„...croaky cherrytree...“, also „Krächzender Kirschbaum“ ist der Titel eines jener Werke, die Grossberger den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ihrer Workshops gern vorspielt; es stammt von der Komponistin Julia Purgina. Bei den Kindern wecken die Klänge unterschiedliche Assoziationen: Manche nehmen ein Blätterrauschen wahr, andere hören einen surrenden Staubsauger oder das Tosen einer Autobahn. „In meinem Verständnis von Musikvermittlung geht es um viel mehr als um Musik. Im Fokus steht der soziale Aspekt des Hörens und Zuhörens“, sagt sie. Musikvermittlung helfe dabei, „die Konzentration zu schärfen, zur Ruhe zu kommen und beim gemeinsamen Hören ein Gefühl von Gemeinschaft zu spüren.“ Auch: Stille aushalten zu können. Und sie schlägt den Bogen noch weiter, bis hin zum Verständnis von Demokratie: „Es täte uns allen gut, einander zuzuhören und nicht immer gleich zu reagieren.“

Hörgewohnheiten

In den Fifties regte der US-Komponist John Cage neue Hörgewohnheiten an. Geprägt durch das buddhistische Konzept des Anfängergeistes („beginner’s mind“) inspirierte er seine Schülerinnen und Schüler, möglichst unvoreingenommen zu sein. Sein spielerischer und lustvoller Zugang, der vom neugierigen Entdecken lebt, sollte auch die Musikvermittlung beeinflussen.

Das schlägt sich in der Arbeit von Veronika Grossberger nieder, die betont: „Jedes Geräusch soll und darf ernst genommen werden.“ Besonders stark, so fiel ihr auf, reagieren Kinder und Erwachsene auf den Sound von Wasser: etwa wenn bei einem Bühnenstück riesige Gongs ins Nass getaucht werden oder in einem Kurs die Frage erforscht wird, welche Geräusche sich damit erzeugen lassen. Sie lobt die Offenheit von Kindern: „Bei ihnen kommt gar nicht erst die Frage auf, ob das, was sie da hören oder selbst produzieren, überhaupt Musik ist.“ Ab der Pubertät werde es dann schwieriger, weil sich Hörgewohnheiten einschleifen. Ab diesem Zeitpunkt wird schneller bewertet, ob etwas dem eigenen Geschmack entspricht oder nicht.

Trotz aller Offenheit zielt Grossberger in ihren Workshops darauf ab, ein grundlegendes Verständnis für die Architektur von Musik zu wecken: „Wir erzeugen gemeinsam Geräusche und bringen im Verlauf des Workshops Strukturen hinein, etwa die ABA-Form, die einfachste Form eines Rondos.“ Die Teilnehmenden wundern sich oft darüber, „wie toll das plötzlich klingt“.

Man weiß nie, welcher Ton als nächstes um die Ecke kommt.

Regierungsauftrag Neue Musik

In Österreich hat die Musikvermittlung noch keine lange Tradition. Die Querflötistin Cordula Bösze leitet das Projekt Junge Musik bei der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik und arbeitet für Wien Modern, das österreichweit führende Festival für Neue Musik. Sie erinnert sich an neue Initiativen in der Kunstvermittlung der 1980er-Jahre. Diese inspirierten beispielsweise in England ein Projekt mit dem Namen „Soundweb“, das der Musikschriftsteller und Komponist Lothar Knessl sowie der ORF-Redakteur Christian Scheib als „Klangnetze“ übernahmen. „Die beiden waren damals von der Regierung damit beauftragt, zeitgenössische Musik in Österreich bekannter zu machen“, sagt Bösze. „Ich bin Mitte der 1990er-Jahre eingestiegen. Der wichtigste Inhalt war das selbstentdeckende Lernen: Wie kann ich Klang erzeugen? Was brauche ich, um eine Struktur hineinzubringen?“

© Sofija Palurovic
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Paradiesische Zustände

Eine Aktion sei bei den Schülerinnen und Schülern damals besonders gut angekommen: Bei den „Rohr- und Schlauchkonzerten“ wurden bis zu acht Meter lange Schläuche im Treppenhaus der Schule platziert und durch Klopfen und Streichen zum Tönen gebracht. Für solche Projekte konnten die Musikvermittlerinnen ganze 20 Schulstunden einplanen, dazu kam noch die Vorbereitung mit den Lehrkräften – paradiesische Zustände im Vergleich zu heute.

Später gründete die heutige Mozarteum-Rektorin Constanze Wimmer an der Linzer Anton-Bruckner-Universität den ersten Lehrgang für Musikvermittlung. Mittlerweile haben Konzerthäuser und Festivals dafür häufig eigene Abteilungen eingerichtet.

Dass die Institutionen dem Bereich höhere Bedeutung einräumen, gefällt nicht allen in der Branche: „Manche finden, man müsse oder dürfe Musik nicht erklären. Das kann durchaus eine elitäre Sicht sein“, erläutert Bösze. Doch mittlerweile überwiege die Ansicht, dass Musikvermittlung die Wahrnehmung bereichert. Der Vergleich mit der bildenden Kunst erscheint schlüssig: „Wenn ich vor einem Kunstwerk stehe und mir jemand Hinweise gibt, sehe ich viel mehr. Es wird dadurch vielschichtiger“, sagt Bösze. „Die Vermittlung ist also wie ein Geländer, an dem ich mich festhalten kann.“

Hören gefragt: Szene bei einem Straßenkunstfest mit einer Aufführung von Cornelius Cardews „The Great Learning“, Wien Modern 2024

© Sofija Palurovic
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Schläuche in Treppenhäusern

Im Gegensatz zu früher, als sie noch Treppenhäuser mit Schläuchen auslegte, führt der Musikunterricht in den Schulen meist nur mehr ein Schattendasein. Bösze: „Oft kommt es mir so vor, als diente Musik nur noch dazu, die Schulfeste aufzuhübschen. Ansonsten kommt das Fach viel zu kurz – und das in einem Musikland wie Österreich!“

Das findet auch ihre Kollegin Esther Planton, die an der Gustav-Mahler-Privatuniversität in Klagenfurt lehrt und die vergangenen zwei Jahre lang im Vorstand der IG Musikvermittlung war, um für bessere Rahmenbedingungen für sich und ihre Kolleginnen und Kollegen zu kämpfen. Die größten Probleme in der freien Szene? „Die schlechte Bezahlung und die schwierige Probensituation.“ Letzteres spielt bei der Vermittlung Neuer Musik eine besonders große Rolle: Wer sich mit einer Beethoven-Symphonie befasse, könne in der Vorbereitung mit bereits Vorhandenem arbeiten. „Bei zeitgenössischen Stücken, vor allem bei Uraufführungen, gibt es oft bis zur Fertigstellung des Werkes keine Aufnahmen“, sagt Planton. Eine musikalische Wundertüte, die für die Vorbereitung von Programmen aber „inhaltlich und konzeptionell sehr fordernd“ sei. Dazu komme, dass sie aus organisatorischen Gründen oft nicht so lange bei Proben zugegen sein kann, wie sie es sich wünschen würde.

Dafür schätzt sie etwas anderes an der Neuen Musik besonders: dass die Komponistin oder der Komponist oft selbst anwesend ist. „Wenn dann die ersten Töne erklingen, spürt man eine Spannung und Vorfreude im Raum, eine besondere Energie“, schwärmt Planton. „Das ist ein intimer, sensibler Moment zwischen den Künstlerinnen und Künstlern. Oft sind die Komponistinnen und Komponisten sehr gerührt.“ Auch wenn sie selbst als studierte Musikerin Partituren lesen kann, sei es ein besonderes Erlebnis, ein Stück erstmals live zu hören: wie ein Feuerwerk im Kopf.

Veronika Grossberger (sitzend in der Mitte) hält laufend Workshops für Kinder und Erwachsene ab. Mehr darüber unter: musikalischewunderkammer.com

© Skokanitsch Fotografie
© Skokanitsch Fotografie

Vorstellungskraft gefragt

Zuletzt stand Esther Planton, die auch Tänzerin ist, bei einem Familientag im Auditorium in Grafenegg auf der Bühne: in der Rolle einer „personifizierten Idee“ bei einem Konzert, das die Vermittlungsabteilung der Tonkünstler mit der Musikvermittlerin Lilian Genn und dem Komponisten Helmut Schmidinger entwickelt hatte – und zwar basierend auf kurzen Musikstücken von Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen zehn und 19 Jahren. „Als Tänzerin war es für mich besonders fordernd, die passenden Bewegungen für die einzelnen Szenen zu finden. Weil es eine Uraufführung war, standen dafür vorher nur die Partitur und die Klavieraufnahme einer Probe zur Verfügung. Da war große Vorstellungskraft notwendig.“

Die Vermittlung ist wie ein Geländer, an dem ich mich festhalten kann.

Projekte mit Neuer Musik und einem klassischen Symphonieorchester seien eine besondere Herausforderung, der Planton aber auch ihren Reiz abgewinnen kann. „Der Diskurs ist generell bei Neuer Musik viel aktiver und kontroverser als bei klassischen Musikstücken.“ Noch immer lehnen manche Musikerinnen und Musiker zeitgenössische Musik ab. Manchmal sei ihnen auch unklar, wie sie die Noten spielen müssten, erzählt Planton: „In solchen Situationen sind wir als Musikvermittlerinnen besonders gefragt.“

Damit bekommt der Beruf eine neue Dimension – und umfasst nicht nur die Vermittlung zwischen Kunst und Publikum, sondern auch die zwischen Komposition und Orchester. ● ○

Cordula Bösze arbeitet als Dramaturgin, Flötistin, Pädagogin und Musikvermittlerin sowie als Veranstalterin. Mehr über ihr Schaffen: boesze.klingt.org

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