© Philipp Horak
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Gesellschaft • Architektenfamilie Pfoser

Stadt säen


Wer durch St. Pölten schlendert, begegnet auf Schritt und Tritt den Arbeiten des Architekturbüros Pfoser. Reinhard Pfoser gründete es 1958, sein Sohn Wolfgang führte es weiter und übergab kürzlich an seinen Sprössling Paul Pfoser. morgen ließ sich von letzteren beiden durch die Stadt führen und sprach mit ihnen über das Aufwachsen in einem Architektenhaushalt, langjährige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und darüber, wie sich ein traditionsreicher Familienbetrieb für die Zukunft rüstet.

Die backsteinerne Rundung der Millenniumskirche, die prächtig sanierte ehemalige Synagoge, das Bundesreal- und -oberstufengymnasium in St. Pölten, der Kindergarten in Hadres: Die Wand an der Innenstiege des Architekturateliers Pfoser ist dicht mit Farbfotos behängt. Wer dort arbeitet, geht mehrmals täglich daran vorbei. Die Bilder zeigen die wichtigsten Projekte – und nur einen Bruchteil dessen, was drei Generationen Pfoser bis dato planten und realisierten. Von den kleinsten Interventionen bis hin zu Wohn- und Städtebau dürften es über tausend Arbeiten sein. 1958 hat Reinhard Pfoser das Büro gegründet. Seither ist es auf zwei Ebenen angewachsen; die viertelgewendelte Stiege mit der Glasbrüstung hantelt sich eine abgetreppte Schrankwand hinauf auf die Galerie. Natürlich eine Eigenplanung.

Es ist gerade eine Phase des Übergangs: Kürzlich übernahm Paul Pfoser. Sein Vater Wolfgang ist offiziell in Pension, faktisch aber oft da, um seine Projekte noch abzuschließen. Ganz anders als dessen eigener Vater Reinhard. „Der war von einem Tag auf den anderen nicht mehr präsent.“ Die zwei Pfosers mitgerechnet, hat das Atelier derzeit 13 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die meisten bleiben viele Jahre. Paul Pfoser sagt: „Einer hat sogar schon beim Opa angefangen.“

Zeichnungen aus der Kriegsgefangenschaft

Reinhard Pfoser, Jahrgang 1925 und Sohn eines Bankbeamten, musste wie viele seiner Generation in den Zweiten Weltkrieg einrücken. Nach der Invasion der Alliierten in der Normandie geriet er 1944 in Kriegsgefangenschaft. Im Lager zeichnete er „unglaublich viel“, wie sein Sohn erzählt. Einige Skizzen, die er dort machte, gibt es immer noch. Seine Nachkommen bewahren sie sorgfältig auf. 1947 gelang ihm die Flucht.

Nach dem Krieg lag Wien in Schutt und Asche, es gab viel zu tun. An der Architektur faszinierte Reinhard Pfoser laut seinem Sohn, dass man einfach ein Türblatt auf zwei Böcken querlegen müsse und schon zeichnen könne. Er schrieb sich als Werkstudent an der TU Wien ein. Dass er damals seine Karl-May-Sammlung verkauft hatte, um sich „den Neufert“ – die Bibel der Architektur, die alle Normmaße beinhaltet – zuzulegen, beeindruckt Sohn und Enkel bis heute.

Werden in Ehren gehalten: Skizzen von Bürogründer Reinhard Pfoser

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Gemeinsamer Mittagstisch

Reinhard war gebürtiger Wiener, seine Ehefrau Helene Faderl hatte eine kaufmännische Ausbildung und ein Jobangebot in St. Pölten. Bald gründete sie in der Wiener Straße das Geschäft St. Pöltner Wohnkultur und bestritt damit vorerst den Löwenanteil des Familieneinkommens. Die „Wohnkultur“ hatte Einrichtungsgegenstände, Stoffe und Design – unter anderem von Carl Auböck – im Sortiment. Gatte Reinhard entwarf Möbel und Interieurs. Nach bestandener Ziviltechnikerprüfung und ersten Wettbewerbserfolgen wurden das Geschäft sowie das Architekturbüro im neuen Stammhaus am Rathausplatz 18 etabliert. Vor Kurzem wurde die Witwe hundert, sie ist geistig topfit.

„Meinen Eltern war ein gemeinsamer Mittagstisch wichtig“, erinnert sich Wolfgang Pfoser. Dabei redeten sich die beiden die Mühen ihres Tages von der Seele. „Wenn es ganz schlimm war, ging mein Vater ans Klavier und hämmerte Motive aus den ‚Meistersingern‘ in die Tasten.“

Wolfgang wurde trotzdem Architekt. Auch er studierte an der TU Wien. Danach hätte er gern im Büro Behnisch & Partner gearbeitet, das mit seinen Membran­dächern im Olympiapark München international Furore machte.

Sein Vater hatte dazu eine klare Haltung: „Wenn du das Büro übernehmen willst, musst du jetzt kommen.“ Er sei ein folgsamer Sohn gewesen, merkt Wolfgang Pfoser an. Später suchte er jede Gelegenheit, um mit großen Architekten zusammenzuarbeiten. Gemeinsam mit Boris Podrecca setzte er das Tor zum Landhaus in St. Pölten um. Bei der Errichtung des dortigen Landesmuseums von Hans Hollein war er ebenso dabei wie bei dessen Umbau des Rothschildschlosses in Waidhofen an der Ybbs. „Ich habe jeden Atelierbesuch genossen“, erinnert er sich.

Ihre Architektur hält der Zeit stand.

Spezialisten fürs Schwierige

Reinhard Pfoser reizte die Dinge gern aus. Was kaum jemand weiß: Er setzte auf Karl Schwanzers legendäres Wifi in St. Pölten ein weiteres Geschoß in dessen Stil auf. Ein gewisser Hang zur expressiven Geste ist ihm nicht abzusprechen. Besonders augenscheinlich tritt diese beim sogenannten Wesely-­Haus in St. Pölten zutage: Das ehemalige, zweigeschoßige Autohaus besticht mit einer auffälligen Wabenfassade und einem sehr atmosphärischen Innenraum. Allerdings: nicht barrierefrei, kaum Licht, nicht isoliert. Wärmedämmung und Sichtbeton vertragen sich nicht. Wie sich der Bau im Zentrum erhalten ließe, steht in den Sternen.

In den Fifties baute Reinhard Pfoser mit seinem Kollegen Paul Pfaffenbichler ein Foyer an die historistischen Stadtsäle an. Trotz eines späteren Umbaus ist es erhalten: Hohe Spiegel zwischen Mahagonilisenen mit Kristallmanschetten, die den langen Raum verdoppeln, verströmen die zeittypisch verhaltene Festlichkeit. Die Mahagoniverkleidung im Saal und der in Quadraten verlegte Eichenboden entfalten auch akustische Wirkung.

„Ich finde es faszinierend, dass ein Beruf sich über die Generationen hinweg in einer Familie fortsetzt“, sagt Heidrun Schlögl, Geschäftsführerin des Orte Architekturnetzwerk Niederösterreich. „Der Erste, Reinhard Pfoser, war sehr experimentell, seine Bauten vermitteln die Aufbruchsstimmung der Nachkriegszeit. Die späteren Generationen folgen keinen besonderen Moden. Ihre Architektur hält der Zeit stand.“ Genau dieser „solide Mittelbau“ aber sei der baukulturelle Nährboden einer Stadt. „Die Pfosers agieren immer in einer Dimension, die sich mit dem Umfeld verträgt.“ Am meisten schätzt Schlögl, dass sie sich Aufgaben stellen, „die schwierig zu lösen sind“. Konkret: dem Umgang mit alter Bausubstanz. Lange bevor Sanierung und Transformation von Bestand zum Leitthema der gesamten Branche wurden, befasste sich Wolfgang Pfoser damit. Die meisten Bauten des Büros haben mit Bestand zu tun und finden sich mitten in der Stadt. Einmal quer vom Atelier über den Rathausplatz, und man steht vor dem Dorotheum. Hinter der prächtigen Schaufassade zur Stadt stockten die Pfosers die Tiefgaragenzufahrt im Hof um zwei Geschoße auf. Die vorgehängte Aluminium-Glas-Fassade mit den außenliegenden Sonnenschutzlamellen ist dezidiert zeitgenössisch und fügt sich trotzdem dezent in den Bestand.

Städtebauliche Akzente

Zum Papstbesuch 1988 entwarf Pfoser mit seinem Linzer Kollegen Wolfgang Schaffer beim dafür ausgeschriebenen Wettbewerb ein Papstkreuz, das den zweiten Platz erreichte. Das blieb nicht unbemerkt: Ein Dreivierteljahr später bekam er den Auftrag, das Bildungshaus St. Hippolyt von Julius Eberhardt (1962) zum Seminarzentrum mit Hotel zu erweitern. Der geschwungene Zubau aus Sichtziegeln mit einem schrägen Blechdach setzt einen städtebaulichen Akzent. 1998 folgte die Einladung zum Wettbewerb für die Millenniumskirche im Stadtteil Stattersdorf, unweit der Autobahn. Pfoser entwarf einen leicht aus der Achse gedrehten, elliptischen Sakralraum mit Orgelempore und hinterleuchtetem Kreuz. Ein freistehender Campanile aus Sichtbeton macht sie weiträumig sicht- und unverwechselbar. „Diese Kirche bauen zu können, war mehrfach ein Glück“, sagt Pfoser. „Erstens muss man zum Wettbewerb geladen sein. Zweitens muss es ein anonymes Verfahren sein. Drittens muss man es auch gewinnen.“ Die Kirche ebnete den Weg zu einer herausfordernden Tätigkeit: Baudirektor der Diözese St. Pölten. 16 Jahre wurden daraus, auf Werksvertragsbasis.

Markant: altes Foto vom Autohaus Wesely in St. Pölten, geplant von Reinhard Pfoser

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Matador und Bildungsreisen

Paul, der Dritte und Jüngste in der Generationenkette, wuchs zunächst „unbelastet von Architektur“ auf. Natürlich war die Erziehung der seines Vaters ähnlich. Konkret: Holzspielzeug, Matador, Urlaubsreisen von einem kunstgeschichtlichen Juwel zum nächsten. „Die Tage am Meer musste man sich verdienen“, erzählt er und zeigt akkurat geführte Reiselisten. Rückblickend empfindet er diese Bildungsreisen als Privileg. Sein Bruder Maximilian wurde Jurist, seine Schwester Anna studierte Sportwissenschaft und betreibt eine Physiotherapiepraxis, ebenfalls im Haus am Rathausplatz 18. Dass Paul tatsächlich Architektur studieren wollte, hat seinen Vater zuerst erstaunt. Und dann gefreut.

Paul Pfoser wollte sich allerdings „nicht ins gemachte Nest legen“. Schon während des Studiums arbeitete er als Projektentwickler. Zuerst im Team des Architekten Norbert Steiner, das antrat, das bis dahin ziemlich verunglückte Projekt Skylink des Terminal 3 am Flughafen Schwechat zu einem glimpflichen Ende zu bringen. Später bei der Wohnbaugenossenschaft Alpenland. „Ich konnte viele spannende Projekte anstoßen, Wettbewerbe ausschreiben und viel entscheiden.“ Er kennt die Bauträgerseite und denkt wirtschaftlich. Eine gute Voraussetzung, um ein Architekturbüro erfolgreich zu führen.

Diskussionsstoff: Alltag im Architekturbüro Pfoser

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„Oft impulsiv“

Dabei legt er seine Rolle anders an als sein Vater, der als Chef „oft impulsiv“ agierte. „Es war immer noch sehr patriarchalisch strukturiert“, sagt Paul Pfoser. Er ist wesentlich teamorientierter, viele Entscheidungen werden gemeinsam getroffen, es gibt Sportevents und Ausflüge. Jeden Mittwoch um neun Uhr ist Jour fixe, oft sitzt Wolfgang dabei. Seine Erfahrung ist willkommen, operativ hat Paul das meiste übernommen. „Viele Projekte sind so digital, dass Papa nichts mehr findet,“ erzählt er. Er selbst kennt keine Berührungsängste mit neuen Technologien. „Es ist ja nicht so, dass man von der KI planen lässt.“ Für Fassadenstudien sei sie sehr nützlich, bei Baudokumentationen vertraue man auf neue Software, 3D-Programme seien bei vielen Projekten ohnehin längst Standard.

„Ich bin gern in St. Pölten. Seit der neuen Westbahnverbindung ist ein echter Aufbruch zu spüren“, so Paul Pfoser. „St. Pölten ist jetzt im Speckgürtel von Wien, es gibt viel Wohnungsneubau, die Innenstadt wurde neu gepflastert, die Synagoge restauriert.“ Vom Büro Pfoser, ganz nebenbei. Auch wenn die Stadt an der Traisen das Rennen um die Kulturhauptstadt 2024 nicht gemacht hat, brachte das Festival Tangente (siehe dazu auch morgen 2/2024) viel Publikum und frischen Wind. „Die Zeit passt, es macht wirklich Spaß, das Büro zu führen“, blickt Paul zuversichtlich in die Zukunft. Die Familiengeschichte gibt ihm recht. „Es ist schön, durch die Stadt zu fahren und denken zu können: ,Das ist vom Opa, das ist vom Papa – und da hab ich schon mitgewirkt.‘“  ● ○