
Kultur • Round Table
„Wir reden kaum über Kunst“
Wie ist es, in einer Künstlerfamilie aufzuwachsen – und dann in die Fußstapfen der Eltern zu treten? Wie reagieren sie, wenn die Kinder ihnen folgen wollen? Und was bedeutet eine Kindheit zwischen Musik, Malerei und Schauspiel für die spätere Karriere? Dazu befragte morgen die Schauspielerin Marthe Lola Deutschmann, den Geiger und Kulturmanager Vahid Khadem-Missagh sowie die Künstlerin Deborah Sengl, die für das Gespräch in ihr Wiener Atelier lud.
Marthe Lola Deutschmann, Deborah Sengl, Vahid Khadem-Missagh, wie war es, in einer Künstlerfamilie aufzuwachsen?
Deborah Sengl
:Ich bin Einzelkind, der Prototyp meiner Eltern, die beide Künstler sind. Es war für mich das Normalste der Welt, dass mein Umfeld aus Kunst, Theater und dergleichen besteht.
Marthe Lola Deutschmann
:Bei mir sind auch beide Eltern Künstler, ebenso die jeweils neuen Partner. Wobei sie es auch gerne gesehen hätten, wenn wir Kinder etwas anderes machen. Sie haben uns aber schon in der Kindheit geprägt, zwei meiner Geschwister sind auch in der Kunst, ein Bruder ist Koch.
Vahid Khadem-Missagh
:Väterlicherseits gab es drei Generationen von Geigern. Daher ermutigte mich mein Vater, andere Instrumente zu probieren. Aber ich wollte unbedingt die Geige. Es war bei uns normal, zu Hause zu musizieren. Das war der Funke, der mich mein Leben lang begleitet.
Waren Ihre Häuser voll mit Kunst?
Deutschmann
:Meine Eltern haben auswärts geprobt, zu Hause fand die inhaltliche Auseinandersetzung statt. Sie haben früh mit uns über Literatur gesprochen und förderten das Kindertheater. Meine Mutter führte schon in der Grundschule Stücke mit uns auf.
Sengl
:Wohnung und Atelier waren bei uns eins. Es gibt Videos, wo mein Vater malt und ich daneben liege. Viel mitbekommen habe ich auch von Theaterstücken. Meine Eltern hatten eine enge Beziehung zum Schauspielhaus Wien; bei meiner Mutter, die nach meiner Geburt Kunst nur mehr fern der Öffentlichkeit ausübte, kam Literatur dazu. Das war ein gesamtkulturelles Angebot.
Wann kam der Wunsch, sich selbst künstlerisch auszuprobieren?
Khadem-Missagh
:Bei mir war das so früh, dass man mir noch gar kein Instrument geben konnte. Es gibt Bilder, da habe ich welche mit Stöcken imitiert. Als ich ungefähr 13 war und bereits musizierte, sagten meine Eltern: Wenn du dich der Musik verschreibst, muss es eine bewusste Lebensentscheidung sein. Gerade was die Tonkunst betrifft, wird es eine tägliche intensive Beschäftigung mit ihr. Ich hatte diesen Wunsch, sie haben ihn respektiert und mich gefördert.
Deutschmann
:Ich versuchte lange, einen anderen Weg zu gehen und habe in Genf das „année préparatoire“ für das Studium der internationalen Beziehungen gemacht. Nach ein paar Monaten stellte ich fest, dass das nicht das gleiche Gefühl auslöst wie Bühnenerfahrungen. Also bewarb ich mich am Max Reinhardt Seminar.
Sengl
:Fast alle Kinder zeichnen. Deswegen fängt mein Beruf mit meiner Geburt an. Als ich nach der Schule sagte, dass es Kunst wird, war meine Mutter nicht begeistert. Es ist ja kein einfacher, oft brotloser Beruf. Also sagte sie: Schau dir auch etwas anderes an. Nachdem ich als Kind den Zweitwunsch hatte, Insektenforscherin zu werden, inskribierte ich Biologie und Russisch. Gleichzeitig bestand ich die Aufnahmeprüfung für Kunst. Das war dann viel, und ich habe nach Kurzem gemerkt: Ich bin ein freiheitsliebender Mensch. Also wurde es die Kunst – da kann ich machen, was, wie und wann ich will.
Gab es eine Phase, in der Sie gegen die Kunst oder die Eltern rebelliert haben?
Khadem-Missagh
:Es mag immer wieder Phasen geben, in denen man an seiner Entwicklung zweifelt, aber gerade im Musikalischen spielt dann der Lehrer oder die Lehrerin eine Schlüsselrolle. Da hatte ich Glück, dass es eine Balance zwischen Fordern und Ermutigen gab und ich nicht das Gefühl hatte, rebellieren zu müssen. Meine Familie hat mich nie unterrichtet. Sie erkannte früh, dass man diese Beziehungen trennen muss.
Sengl
:Ich finde es wichtig, dass jeder Mensch einmal gegen die Eltern rebelliert, aber es war schwierig bei mir. Meine Eltern sind irrsinnig coole Menschen. Streng waren sie auch nicht. Meine Rebellion war, dass ich mich für ein paar Monate dem Mainstream anpasste, mich wie alle anderen kleidete, um dann zu merken, dass ich so nicht bin.
Deutschmann
:Mir ist es auch schwer gefallen zu rebellieren. Auch gegen die Kunst.
Haben Sie Erwartungsdruck von den Eltern gespürt?
Sengl
:Es war klar, dass ich in Mindestzeit studiere, aber das hätte man mir nicht sagen müssen. Ich wollte nicht lange an der Kunstuni sein. Deren Zweck ist, zu sozialisieren. Da ich im Kunstumfeld groß geworden bin, brauchte ich das nicht. Ich hatte aber vorher keine Gleichaltrigen, mit denen ich mich über Kunst ausgetauscht hätte. Ich wurde in einer Erwachsenenwelt groß, und das prägt natürlich auch. Meine Freundinnen und die anderen in der Schule waren nicht aus Künstlerfamilien.
Deutschmann
:In meinem Umfeld waren viele Kinder aus Künstlerfamilien, aber es war nie Thema. Was klar war: Wenn ich Schauspiel wähle, dann lerne ich das Handwerk mit einer ordentlichen Ausbildung.
Khadem-Missagh
:Das Handwerkliche ist im Instrumentalen wichtig, und das muss man in der Kindheit und Jugend lernen, wenn man ein Spitzenniveau erreichen will.
Haben Sie und Ihre Geschwister einander angespornt?
Khadem-Missagh
:Meine Schwestern sind auch Musikerinnen, eine ist Pianistin, die andere Geigerin. Meine Eltern haben es geschafft, dass es nie ein Konkurrenzgefühl gab in der Familie, sondern gegenseitiges Ermutigen. Wir haben viel gemeinsam gespielt.
Deutschmann
:Bei uns ist alles später, nach der Findungsphase passiert. Ich tausche mich vor allem mit meiner Schwester aus, die auch Schauspielerin ist. Wir sprechen über vieles – etwa darüber, wie unsere Beziehung nicht darunter leidet, dass wir möglicherweise zu denselben Castings eingeladen werden. Das kam schon vor. Gemeinsam gespielt haben wir noch nicht. Aber ich hätte Lust, mal ein Familienstück zu machen.
Hatten Sie das Gefühl, dass Sie auf Ihrem künstlerischen Weg mehr leisten müssen, weil die Eltern die Latte schon hoch gelegt haben?
Sengl
:Mein Vater hat einen doch sehr bekannten Namen. Das hat es mir sicher leichter gemacht. Es war auch ein Startvorteil, dass ich wusste, wie der Hase läuft. Wobei sich Kunstmarkt und Galerienwesen verändert haben und mein Vater und ich bald miteinander verglichen wurden. Das habe ich ignoriert. Das Kompetitive kam von außen. Ich dachte mir immer: Blödsinn, was wir machen, ist individuell und nicht vergleichbar. Wenn man schnell hinschaut, kann man sagen: Sowohl bei meinem Vater als auch bei mir kommen Tiere in der Malerei vor. Aber wir haben einen anderen Zugang, ich einen sehr konzeptionellen und politischen.
Deutschmann
:Ich glaube, es hat weniger Auswirkung auf die Arbeit, als man denkt. Die muss gut sein, sonst macht man es nicht lange. Es interessiert niemanden auf der Bühne, wer mein Vater ist. Aber dass man den Namen vielleicht kennt, meine Familie gut vernetzt ist, stimmt schon.
Khadem-Missagh
:Manche Leute fragen: Spielt der Sohn besser oder ähnlich? Viele haben mir gesagt, dass ich mich doppelt beweisen müsse. Aber letztendlich steht man allein auf der Bühne, und dann muss das klingen. Insofern habe ich das Konkurrenzdenken, das manchmal von außen projiziert wird, nicht herangelassen.
Tauschen Sie sich in der Familie viel aus?
Deutschmann
:Meine Familie wohnt in Deutschland, aber ich habe regen Austausch, mit meiner Schwester pausenlos.
Khadem-Missagh
:Mit meinem Vater habe ich engen Kontakt. Das ist wertvoll, weil wir uns immer über die Essenz der Dinge, die wir machen, austauschen.
Sengl
:Lustig ist, dass wir uns oft sehen, aber kaum über Kunst reden. Eher über andere Kunstsparten, mit meiner Mutter besonders über Literatur.
Fühlen Sie sich privilegierter gegenüber anderen, die nicht das Netzwerk hatten?
Sengl
:Ich finde Menschen, die aus einem anderen Bereich kommen und die Kunst für sich erfinden, viel beeindruckender. Ich musste mir nichts erkämpfen, aber mir meinen Stil erarbeiten.
Khadem-Missagh
:Es ist schon ein Privileg, wenn man etwas mit der Muttermilch aufsaugen kann. Aber auch dann ist es ein Prozess, den eigenen Stil zu finden oder die Sicherheit, dass das, was man tut, für einen richtig ist. Wenn mein Vater und ich dasselbe Werk spielen, kommen unterschiedliche Interpretationen heraus.
Sind Ihre Eltern auch Ihre Kritiker und Kritikerinnen?
Khadem-Missagh
:Ich hatte immer das Gefühl, dass meine Mutter mein größter Fan ist, und von meinem Vater habe ich mir positives, fachliches Feedback geholt.
Deutschmann
:Es ist ein schönes Gefühl, wenn meine Familie sich Stücke von mir anschaut. Die Wertschätzung meines Vaters ist auch fachliche Kritik.
Sengl
:Wo viel Nähe ist, ist auch Reibung. Aber unsere Kunst kommentieren wir nicht. Das ist auch gut so, eine wohlwollende Distanz. Ich habe beim Malen nie Technik gelernt. Es wäre undenkbar gewesen, dass mir mein Vater erklärt, wie ich Schatten male. Er ist nicht der didaktische Typ.
Wo viel Nähe ist, ist auch viel Reibung.
Herr Khadem-Missagh, Sie haben von der Familie die Leitung des Allegro Vivo Festivals übernommen. Wie spielen Generationenfragen in die Ausrichtung hinein?
Khadem-Missagh
:Beim ersten Festival war ich ein Jahr alt, ich bin damit aufgewachsen. Ich wollte es später so fortführen, wie ich es kenne, habe aber überlegt: Was kann ich Neues beitragen, wie meine Note einbringen? So baute ich die Sommerakademie aus und schuf neue Formate, die mehr Berührung zwischen Publikum und Musik ermöglichen. Ich bin froh, dass mein Vater weiter Teil des Festivals ist. Er unterrichtet und gibt seine Erfahrung an junge Menschen weiter. Aber ab der Übergabe ließ er mir freie Hand.
Frau Deutschmann, Frau Sengl, haben Sie sich in Ihren Arbeiten auch mit dem Thema Familie auseinandergesetzt?
Deutschmann
:Die meisten Theaterstücke verhandeln Beziehungen, da ist viel Familie vertreten.
Sengl
:Mich interessiert die Gesellschaft in ihren Abgründen und Beziehungen, gerade in der Gegenwart. Da kommen auch familiäre Konstrukte vor.
Herr Khadem-Missagh, Sie haben Kinder. Machen diese Musik?
Khadem-Missagh
:Sie sind zehn und 13 und spielen beide Geige, traten schon im Kinderorchester von Allegro Vivo auf. Ich versuchte auch, passende Lehrer zu finden. Ich selbst unterrichte sie nicht, aber versuche, ihnen die Freude zu zeigen, dass Musik etwas Kostbares ist. Was sie später machen, müssen sie selbst entscheiden. ● ○