Familie Hauer, ca. 1910. Ganz links:  Leopold Hauer; sitzend in der Mitte: Franz Hauer © Privatsammlung
Familie Hauer, ca. 1910. Ganz links: Leopold Hauer; sitzend in der Mitte: Franz Hauer © Privatsammlung

Familie Hauer

Krügel für Kokoschka


Die Hauers zählten drei Generationen hinweg zu den treibenden Kräften des heimischen Kunstbetriebs. Eine Spurensuche zu Franz, Leopold, Christa – und deren Cousinen, die ihr künstlerisches Potenzial nicht entfalten konnten.

Der Ausdruck des bärtigen Mannes auf dem Porträt ist aufmerksam und versonnen zugleich: Egon Schiele zeichnete seinem Gönner Franz Hauer Denkerfalten wie Wellen auf die Stirn. Horizontale Linien gruben sich dem Sammler wohl auch in jenen besonderen Momenten ein, als er die Gedanken- und Formenwelt der jungen Künstler seiner Zeit zu erfassen versuchte.

Kofferträger

Schieles „Bildnis Franz Hauer“ entstand 1914, also im Sterbejahr Hauers. Eine der später gefertigten Kaltnadelradierungen des Porträts befindet sich heute im New Yorker Museum of Modern Art. Dass die Landessammlungen Niederösterreich die originale Bleistiftzeichnung besitzen, ist der Wiener Künstlerin, Galeristin und Sammlerin Christa Hauer zu verdanken: Die Enkelin des Dargestellten vermachte ihre umfangreiche Kollektion jenem Bundesland, in dem sie von 1970 bis zu ihrem Tod 2013 auf Schloss Lengenfeld nahe Krems lebte. So gelangten auch ein Aquarell Schieles von seiner Geliebten Wally sowie das Ölbild „Hofdame“ von Albin Eg­ger­-Lienz in die Landessammlungen Niederösterreich. Die Werke stammen aus der rund tausend Werke umfassenden Sammlung, die der Gastwirt Franz Hauer hinterlassen hat. Dabei brachte der Sohn aus einer armen Wachauer Familie keinerlei Voraussetzungen für ein solches Engagement mit: Als eines von 14 Kindern lernte er Fleischhauer und schleppte später in Hotels die Koffer.

Schmerzlicher Verlust

Die entscheidende Wende nahm Hauers Leben, als er mit 27 in das Wiener Griechenbeisl seines Schwagers einstieg. Das 1897 zur Gänze übernommene Wirtshaus entwickelte sich unter seiner Ägide prächtig. Dank der unzähligen Krügel Pilsner Urquell, die dort über die Schank gingen, konnte die Familie eine Währinger Villa beziehen. In diesem Ambiente entdeckte der Gastronom, dass ihm die vielen weißen Wände besser gefielen, wenn Bilder darauf hingen. Später legte der „Kunstenthusiast originellster Art“, wie der Maler Carl Moll ihn lobte, sogar eine Privatgalerie an. Dort präsentierte er die umfangreichen Bestände von Schiele, Oskar Kokoschka, Albin Egger-Lienz, Anton Faistauer und anderen. Nach seinem Tod zerstreute sich jedoch ein Großteil seiner Sammlung; die meisten Werke daraus kamen im März 1918 im Wiener Dorotheum zum Aufruf.

Die Ausstellung „Franz Hauer. Selfmademan und Kunstsammler der Gegenwart“ in der Landesgalerie Niederösterreich zeichnete 2019 dessen Werdegang nach. Wichtige Vorarbeit hatte bereits die Schau „Künstler (Sammler) Mäzene“ in der Kunsthalle Krems geleistet, die 1996 ein erstes Porträt dreier Hauer-Generationen lieferte. Im Begleitbuch schildert Christa Hauer, wie sehr sie und ihr Vater Leopold der Verlust der vielen Werke schmerzte: „Natürlich haben wir uns immer gewundert, gekränkt und geärgert, dass diese jetzt so kostbaren Bilder von Schiele, Kokoschka und Egger-Lienz und vielen anderen in der schlechtesten Nachkriegszeit verkauft worden sind und sich das ganze Vermögen in so gut wie nichts aufgelöst hat.“

Er ist ein Kunstenthusiast originellster Art.

Clash vorprogrammiert

Auch wenn dieser Reichtum verflossen war, das Feuer der Kunstbegeisterung gab Franz Hauer an seine Nachkommen weiter. In seiner „Selbstbiografie“ schildert sein 1896 geborener Sohn Leopold, wie ihn einst in einer Sommernacht „der unbändige Wunsch, Maler zu werden“ überkam. Nach dem Kriegsdienst inskribierte er 1918 an der Akademie der bildenden Künste und verbrachte während der Studienzeit auch einen Sommer im Ötztal bei Albin Egger-Lienz. Der Tiroler Maler hatte maßgeblichen Einfluss auf Leopolds farblich gedeckte Landschaftsmalerei. Leopold reiste leidenschaftlich gern und fand viele seiner Motive im Süden; die moderne Kunst lehnte er jedoch ab. Zu den weniger bekannten Tatsachen aus seinem Leben gehört, dass Hauer drei Mal in der Großen Deutschen Kunstausstellung (GDK), die das NS-Regime alljährlich im Münchner Haus der Kunst veranstaltete, vertreten war. 1941 kaufte Adolf Hitler daraus sein Bild „Schwere Erde“ an.

Über Hauers Tätigkeit während der NS-Zeit ist, abgesehen von der GDK-Teilnahme, wenig bekannt. Doch dass sein Kunstbegriff damals ins Bild passte, ist offensichtlich. So war der Clash vorprogrammiert, als sich seine 1925 geborene Tochter Christa bei ihren langen USA-Aufenthalten der Abstraktion zuwandte. In einem Interview schilderte die Künstlerin „ständige verbale Auseinandersetzungen“ mit ihrem Vater, aber auch seine große Unterstützung nach ihrer Rückkehr aus Amerika. 1960 ermöglichte er Christa und ihrem Mann, dem Künstler Johann Fruhmann, in den leerstehenden Räumen des Griechenbeisls eine Galerie zu gründen. Das zeigt, dass Leopold Hauer in seinem kulturellen Engagement viel fortschrittlicher war als in seinem eigenen Kunstschaffen, ebenso wie die Idee des Cineasten, im chronisch unterfinanzierten Künstlerhaus 1949 ein Kino zu gründen. In Kooperation mit dem Verleiher Jean Voulouzan wurde es zu einer Keimzelle heimischer Filmkultur. Mitte der 1960er-Jahre übersiedelte Hauer nach Droß bei Krems, in den Heimatort seiner Mutter; 1970 erwarb er für seine Tochter von den österreichischen Bundesforsten das nahegelegene Schloss Lengenfeld – Kaufpreis: ein Bild von Albin Egger-Lienz und eine Schiele-Zeichnung. Franz Hauers Erbe legte also den Grundstein für das Zentrum zeitgenössischer Kunst, in das Christa und ihr Mann das Gebäude aus dem 16. Jahrhundert verwandelten.

Egon Schiele:

„Franz Hauer“, 1914

© Landessammlungen Niederösterreich
© Landessammlungen Niederösterreich

Talentierte Cousinen

Die Sammellust von Franz Hauer schlug auch bei Leopold durch: Er pflegte eine Vorliebe für alte Holzskulpturen wie die „Sitzende Madonna“, die später in die Landessammlungen Niederösterreich einging. Seine Tochter erwarb als Galeristin Werke von heute berühmten Künstlerinnen und Künstlern wie Maria Lassnig, Christian Ludwig Attersee oder Martha Jungwirth, die seinerzeit schwer Absatz fanden, mittlerweile jedoch am Markt hohe Preise erzielen würden. Im Griechenbeisl stellte das Ehepaar Hauer mehrfach gemeinsam aus, wobei Fruhmanns Kunst mehr Anerkennung erntete. Als ein Pionier der abstrakten Malerei hierzulande, entwickelte der 1928 geborene Kärntner ein Bildvokabular farbstarker Bogenformen.

Zum Hauer-Clan zählten auch, was kaum bekannt ist, zwei künstlerisch tätige Cousinen von Christa. Ihr Schaffen zeigte die engagierte Vorkämpferin für Frauen in der Kunst in ihrer Intakt-Galerie 1986. Die tiefere persönliche Beziehung verband sie mit Jean Enez. 1920 in der Tschechoslowakei geboren und in den USA aufgewachsen, kam diese im Alter von zehn für vier Jahre nach Wien. Das talentierte und weltgewandte Mädchen faszinierte Christa und inspirierte sie, ebenfalls zu zeichnen. „Ein exotischer Vogel“, der Österreich 1936 gen Japan verließ. Später verglich Christa Hauer Enez’ mystische Bildwelten von 1951/52 mit den frühen Zeichnungen der phantastischen Realisten Ernst Fuchs und Rudolf Hausner.

Wir versuchen, etwas in der Kunstszene zu bewirken.

Jung verstorben

Vom künstlerischen Werk ihrer mit nur 24 Jahren verstorbenen Cousine Magda Hauer (1925–1949) erfuhr die Griechenbeisl-Galeristin erst in den 1960er-Jahren. Am Telefon fragte eine Fremde an, ob sie sich für Gemälde und Zeichnungen interessiere, die ein Nachbar hinterlassen hatte. Groß war die Überraschung, dass die in Mappen und Schachteln verstauten Bilder von Magda stammten. Auf eine kleine Ausstellung dieser figurativen Malereien reagierte die Kunstkritik positiv. Der Tenor: Aus der Künstlerin hätte viel werden können, wäre sie nicht so jung verstorben.

Die Hauers zählten über drei Generationen hinweg zu den treibenden Kräften des heimischen Kunstbetriebs. Wie Christa in einem Interview 1996 treffend bemerkte: „Es liegt offenbar in unserer Familie, dass wir über unsere eigene Tätigkeit hinaus versuchen, etwas in der Kulturszene zu bewirken.“ Die Hauers hätten für die Kunst gelebt, und ihr Interesse daran „sehr unspekulativ und wirklich nur aus der Begeisterung heraus betrieben“. Ein weitergereichtes Feuer, das bis heute wärmt. ● ○