© Ramona Heinlein
© Ramona Heinlein

Rosa Andraschek

Dem Verdrängten nachspüren


Hier kommt die Zukunft: An dieser Stelle präsentieren wir in jeder Ausgabe Kunstschaffende in und aus Niederösterreich, die jünger als 35 Jahre sind. Diesmal: die Künstlerin Rosa Andraschek.

Die Künstlerin Rosa Andraschek sitzt im Gastgarten eines gemütlich abgehalfterten Kaffeehauses in Wien. Dieser Tage baut sie ihre Diplomausstellung an der Universität für angewandte Kunst auf. Ihr Studio ist eine Baustelle, doch schnell wird klar: Der Hauptteil ihrer recherchebasierten Arbeit findet ohnehin anderswo statt – vor Ort, in Archiven, im Austausch mit Historikerinnen und Historikern oder der lokalen Bevölkerung. Andraschek arbeitet zum Thema Erinnerung, vor allem im Hinblick auf das NS-Regime und dessen Nachwirkungen. In ihren interdisziplinären Projekten spürt die Künstlerin, die auch Politikwissenschaft studiert hat, dem Unsichtbaren nach, bringt an die Oberfläche, was verschüttet, vergessen oder verdrängt ist.

Andraschek, geboren 1995 in Korneuburg, wuchs als Tochter des Künstlerpaars Iris Andraschek und Hubert Lobnig auf, inmitten von Ausstellungsaufbauten, Eröffnungen und Residencys. Dass Arbeit keinem Nine-to-five-Modell folgt, sondern ins ganze Leben greift, hat sie geprägt, ebenso wie der erleichterte Zugang zur Kunstwelt. Fotografie spielt in ihrer Familie eine große Rolle. Zu ihren Anliegen gehört dabei, das Dokumentarische und damit den scheinbar neutralen Realitätsbezug des Kamerablicks zu hinterfragen.

Zum Abschluss ihres Studiums zeigt sie ihre Filminstallation „Auch eine Art Schatten“. Wie so oft entstand die Arbeit aus einem Langzeitprojekt. Dafür luden sie die Historikerinnen Edith Blaschitz und die 2023 verstorbene Heidemarie Uhl ein. „Ich schließe Projekte meist nicht ganz ab“, bemerkt Andraschek. Thema und Beziehungen, die aus zahlreichen Archiv- und Ortsbesuchen entstehen, blieben zu bedeutend. Dieses Werk ist wie einige ihrer Arbeiten in Niederösterreich situiert, rund um das ehemalige Zwangsarbeitslager im Steinbruch von Roggendorf im Bezirk Horn. Es liegt nur 15 Autominuten vom Herkunftsort ihrer Mutter entfernt. Warum gerade die eigene Heimat? „Mir ist wichtig, die eigene Umgebung abzutasten. Gerade das Naheliegende wird zu oft nicht be- oder verarbeitet.“

Der Film zeigt die Ruinen des Zwangsarbeitslagers sowie atmosphärische Landschafts- und Steinbruchaufnahmen. Die Bilder begleitet die Stimme von Mira Ruth Knei Paz, die ihre Erinnerungen und einen eigenen Text teilt. Die über 80-Jährige, die Andraschek während eines Erasmus-Aufenthalts in Jerusalem kennenlernte, wurde in einem Stall nahe des Lagers geboren – ihre Mutter war bei der Deportation aus Sombor in der Vojvodina nach Österreich schwanger gewesen. In einem Wiener Krankenhaus erlebte Knei Paz das Kriegsende. Andraschek reiste mit ihr zurück an ihren Geburtsort, an diese bisherige Leerstelle in ihrem Leben. Sie stehen gemeinsam in einem Stall. Darin kam sie vielleicht auf die Welt.

Besonders aktuell ist Andrascheks Projekt „412 Namen“ zum KZ-Außenlager Hirtenberg. Das Denkmalamt fand auf dem Gelände „nicht genug“ für dessen Schutzwürdigkeit. Der Bürgermeister des benachbarten Leobersdorf verkaufte den Grund im Zuge eines Millionendeals rund um einen Gewerbepark. „Das ist symptomatisch für den österreichischen Umgang mit Geschichte, wo Privatinteressen historische Verantwortung oft überlagern“, sagt Andraschek. Die Künstlerin bleibt hartnäckig: Gerade arbeitet sie mit der lokalen Bevölkerung an einer permanenten Gedenkstätte. ● ○