Ich beobachte oft eine paternalistische, gönnerhafte Attitüde bei privilegierten Personen, die es sich leisten können, in der Welt herumzureisen, und die andere Gesellschaften als Inspirationsquelle hernehmen, um ihr eigenes Glück voranzutreiben. Ich finde nicht, dass andere Länder dazu da sind, uns satte Europäer zu inspirieren und zu bereichern. Diese Länder brauchen keine „White Saviours“, die glauben, ihre Lage besser einschätzen zu können als sie selbst.
Dennoch halte ich es für wichtig, über den eigenen Tellerrand zu blicken und den Horizont zu erweitern. Wir können viel lernen von Menschen, die in totalitären Regimen leben, aber auch von Minderheiten, die zeit ihres Lebens diskriminiert wurden. Sie haben viel feinere Antennen für einen Repressionsapparat, der ihre Freiheit einschränkt. Wer permanent von einer Macht umgeben ist, die sich ins eigene Leben einmischt, politisiert sich und entwickelt eine Art Dissidentenmentalität.
Ich wünschte, auch in Österreich würden Autoritäten stärker infrage gestellt werden. Die Hörigkeit gegenüber Autoritäten und der extreme vorauseilende Gehorsam irritieren mich sehr. Hier wird es oft schon als mutig empfunden, wenn man sich Vorgesetzten entgegenstellt. Aber es geht um mehr als das. Es alarmiert mich zum Beispiel, wie mäßig schockiert wir Journalisten darüber sind, dass in Deutschland ein riesiges Terrornetzwerk aufgedeckt wurde, das den Staat abschaffen wollte. Was kann denn demokratiebedrohlicher sein als Politiker, Elitesoldaten und Richter, die einen Putsch versuchen?