Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser!


Dieses Heft beleuchtet nicht nur die aktuellen disruptiven Entwicklungen in Kunst, Kultur und Gesellschaft, sondern zeigt auch Möglichkeiten im Umgang damit auf.

Allerorten ertönen die Warnrufe: Kunst und Kultur seien in einer schweren Krise. Leere Zuschauerränge, Verlust an gesell- schaftlicher Relevanz, Finanzierungsschwierigkeiten, Macht- denken und Populismus – braucht es noch mehr Belege dafür, dass alles den Bach runtergeht?

Die Lage schönzureden, wäre falsch. Tatsächlich laborieren Theater und Kinos an Long Covid, brechen Budgets ein, ist das Kulturschaffen in weiten Teilen – perfiderweise in den oberen Rängen – noch immer eine exklusiv männliche Domäne. Ob ich es erleben werde, dass einmal eine Frau das Neujahrskonzert dirigiert? Angesichts jüngerer Aussagen von Verantwortlichen muss ich das bezweifeln. Dazu beschäftigen unsere Gesellschaft noch ganz andere Themen: Ukrainekrieg, Inflation, Pandemie- nachwirkungen, Klimakatastrophe.

Vielleicht lohnt es sich, die Sicht etwas zu verschieben. Dazu muss man nicht das abgedroschene Schlagwort von der „Krise als Chance“ strapazieren, sondern die drängenden Fragen von einer anderen Perspektive aus anschauen. „Es würde schon reichen, in die Zeit unserer Großeltern und Urgroßeltern zu blicken, und vieles, was uns heute Sorge bereitet, würde sich re- lativieren“, sagt beispielsweise Niklas Perzi, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für historische Migrationsforschung, in unseren „Standpunkten“ (Seite 38). Verena Zeiner, Pianis- tin, Komponistin und Gründerin der Musikerinnenplattform Fraufeld, meint sogar, dass die jüngste Zeit für sie Verbesserun- gen brachte (Seite 10). Diese Beobachtungen ändern natürlich nichts an der Misere vieler. Doch sie können helfen, Zuversicht zu gewinnen. Wer in Zeiten des Umbruchs erstarrt wie das Ka- ninchen vor der Schlange, bewirkt garantiert nichts.

Dieses Heft beleuchtet nicht nur die aktuellen disruptiven Entwicklungen in Kunst, Kultur und Gesellschaft, sondern zeigt auch Möglichkeiten im Umgang damit auf.

Unser Special widmen wir diesmal dem Festspielhaus St. Pölten, das sich längst einen internationalen Ruf erarbeitet hat. Auch 2023 wartet es – unter der neuen Leitung von Bettina Masuch – mit einer Reihe spannender Veranstaltungen auf. „Kunst hilft uns, mentale und emotionale Stärke zu entwickeln“, sagt Verena Zeiner. „Sie macht uns resilienter gegen Krisen.“

Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen unseres Hefts. ●○

Herzlichst
Ihre Nina Schedlmayer