„Jeder Versuch eines Einzelnen, für sich zu lösen, was alle angeht, muss scheitern.“ Der Schweizer Dramatiker Friedrich Dürrenmatt lieferte in „Die Physiker“ gleichsam den Subtext zu Henrik Ibsens „Ein Volksfeind“. Beide Stücke zählen zu jenen handverlesenen Bühnentexten, die Wissenschaftler vor den Vorhang bitten – und die Gelehrten in politisch brisante Probleme verwickeln. Dürrenmatts „Physiker“ berichtet von einer Erfindung zur Vernichtung der Welt, während in Ibsens 1883 uraufgeführtem „Volksfeind“ am Beispiel eines Kurortes ein Miniaturkosmos gezeigt wird, in dem unsägliche Verquickungen von wirtschaftlichen und politischen Interessen regieren.
„Ibsen trifft mit diesem Stück noch immer den Nerv der Zeit“, sagt Anne Bader. Die 39-jährige Regisseurin inszeniert das Drama nun für das Landestheater Niederösterreich. „Was Ibsen im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Medien herausschält, erzählt auch viel über unsere Gegenwart“, analysiert Bader im Gespräch mit morgen. Was ist wahr? Wem können wir glauben? Wer wird gehört? Das seien die zentralen Fragen bei Ibsen. „Ein Volksfeind“ ist so etwas wie die ideale Folie für den erregten Kompetenzstreit, den die Gesellschaft im Zeichen von Klimawandel und Pandemiebewältigung durchmacht.