Standpunkte
Wie wichtig sind Fehlschläge?
In jeder Ausgabe stellt morgen drei Menschen, die sich auskennen, eine Frage. Diesmal:
Lustvolles Versuch-und-Irrtum-Lernen
Monika Schneider
Wir leben in einer Perfektionsgesellschaft, wo Fehler als negativ empfunden werden. In den sozialen Medien wird uns permanent der perfekte Mensch präsentiert. Dabei sind viele im Alltag essenzielle Dinge nicht durch Perfektionismus, sondern durch Versuch und Irrtum entstanden.
Das Versuch-und-Irrtum-Lernen ist etwas Lustvolles. Die Basis dafür ist Neugier. Der Begriff des Trial-and-Error-Lernens geht auf den Psychologen Edward Thorndike zurück, der Ratten in einen Käfig sperrte, den sie öffnen konnten. Ihr erster Erfolg war ein zufälliges Ergebnis, aber dann kamen die Ratten mit jedem Versuch schneller aus dem Käfig.
Es gibt pädagogische Konzepte, die die Prinzipien des Experimentierens und Versuchens verstärkt berücksichtigen. Zum Beispiel wird in der Montessori-Pädagogik eine Lernumgebung vorbereitet, in der das Kind von Erwachsenen nur unterstützt wird. Auf Instagram gibt es Videos, in denen Eltern Kleinkindern die Jacke auf den Boden legen und es selbst hineinschlüpfen lassen. So lernen Kinder früh, sich selbständig anzuziehen. Das Versuch-und-Irrtum-Lernen braucht Zeit und Raum, um einiges ausprobieren und Erkenntnisse gewinnen zu können.
In der Schule ist die Lehrperson ein wichtiges Modell: Habe ich als Lehrerin eine gute Fehlerkultur und gehe gnädig mit mir um, wenn ich Fehler mache, spüren das die Kinder. Ich kann darüber sprechen und zeigen, dass ich etwas nochmal probiere und der Ursache für den Fehler auf den Grund gehe.
Die Pädagogin und Psychologin Monika Schneider ist Lehrende an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Niederösterreich, wo sie in den Bereichen Pädagogische und Entwicklungspsychologie sowie Lernpsychologie lehrt. Zuvor war sie im Gesundheitsbereich und als Sonderschulpädagogin tätig.

Wir werden fehlerhaft geboren
Samanta Peña
Fehlschläge werden als etwas Negatives verstanden. Uns wurde beigebracht, dass wir dumm oder minderwertig sind, wenn wir Fehler machen. Aber Fehlschläge gehören zur menschlichen Erfahrung. Wir werden fehlerhaft geboren: Nach der Geburt können wir weder essen noch sprechen. Und obwohl wir so oft hinfallen, denkt niemand, dass wir dumm sind, weil wir nach der Geburt nicht gleich gehen können.
Später, besonders im Schulsystem, verlieren wir das Talent, kontinuierlich zu scheitern, bis wir die Dinge richtig machen. Wir sollten Fehlschläge positiv umdeuten und als Erwachsene wieder lernen, Fehler zu machen. Solange wir nicht bereit sind zu scheitern, bleiben wir stecken, wo es „gut genug“ ist. Wer nicht nach Wegen sucht, die nicht funktionieren, wird nie einen Weg finden, der funktioniert. „Wie viele Fehler hast du gemacht?“ heißt: „Wie viele Wege hast du gefunden, die nicht funktionieren?“
Fehlschläge führen zu Resilienz und Kreativität. Oft entstehen Innovationen, wenn uns etwas anderes nicht gelungen ist. Netflix wurde groß, weil es, statt weiterhin DVDs zu verleihen, nicht zu experimentieren aufhörte. Start-ups, die mit nicht so großartigen Produkten begonnen und nach jedem Fehler weitergemacht haben, waren irgendwann erfolgreich. Fehler führen zu Anerkennung: Würden alle alles beim ersten Mal richtig machen, würde das niemand wertschätzen. Und wir können Empathie und Demut lernen, indem wir jene, die Fehler machen, unterstützen.
Die Spanierin Samanta Peña ist Geschäftsführerin von Cult Tech, einem in Wien ansässigen Programm, das Start-ups an der Schnittstelle von Kreativ- und Tech-Branche fördert. Sie arbeitete unter anderem in den Bereichen HR, Vertrieb und Consulting. Peña lebt in Barlecona.

Man scheitert überrascht
Markus F. Peschl
In jedem Prozess, bei dem Neues entsteht, sind Fehlschläge zentral. Meist ist ein Fehler der Ausgangspunkt für etwas Neues. Wird Lernen und Lehren als offener Prozess verstanden, bei dem ein Thema oder ein Phänomen explorativ erkundet wird, bekommen sogenannte Fehler einen anderen Wert: Dann entsteht aus ihnen die Motivation, weiterzugehen und etwas besser zu verstehen.
Die Naturwissenschaften starten etwa mit einer Hypothese, die sie testen. Trifft die Vorhersage nicht zu, muss mit dem Fehlschlag umgegangen werden. Wer aber eine demütige Haltung gegenüber dem hat, was entsteht, gewinnt eine Erkenntnis aus dem Unerwarteten und Überraschenden.
In Organisationen ist ein spöttischer Umgang mit Fehlschlägen weit verbreitet. Damit schneiden sich Unternehmen jedoch ihre eigene Zukunft ab. Denn es trägt nicht dazu bei, dass jemand etwas ausprobiert oder Ideen mitteilt. Ich finde es aber auch übertrieben zu sagen: „Macht so viele Fehler, wie ihr wollt.“ Niemand scheitert absichtlich – man scheitert überrascht.
Sowohl bei der Wissensgenerierung als auch bei Innovationen geht es darum, sich nicht als „Master of the Universe“ zu sehen, sondern sich offen der Welt zu stellen. Das ist nicht immer einfach, denn unsere Kognition funktioniert so, dass sie permanent das Eigene nach außen projiziert. Deshalb führen Kreativitätstechniken selten zu kreativen Lösungen, wenn Menschen Ideen ausschließlich aus dem eigenen Denken generieren sollen.
Der Kognitions- und Innovationsforscher Markus F. Peschl ist Professor am Institut für Philosophie der Universität Wien und Mitgründer eines Netzwerks für Kognitionswissenschaften. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Innovation, Kreativität, Organisationstheorie und Wissenschaftsphilosophie.
