© Luiza Puiu
© Luiza Puiu

Kinderkunstlabor

Das ist euer Haus


Wie stellt man eine völlig neuartige Kulturinstitution auf, für die es noch kein Vorbild gibt? Mona Jas, künstlerische Leiterin des Kinderkunstlabors, über verschlungene Wege, kindliche Kreativität und das Prinzip Trial and Error.

Mona Jas ist seit 2021 künstlerische Leiterin des Kinderkunstlabors. Sie empfängt morgen in ihren Büroräumlichkeiten, im obersten Stockwerk des Gebäudes. Entworfen vom Architekturbüro Schenker Salvi Weber, zeichnete es die Zentralvereinigung der Architekt:innen 2024 mit dem Bauherr:innenpreis aus. Wer es betritt, spürt sofort, warum: Das Haus heißt sein Publikum willkommen, umarmt es regelrecht. Schwierig ist an diesem Vormittag im November nur, sich für einen Ort zu entscheiden, an dem das Porträtfoto von Mona Jas entstehen soll. Vor dem Netz der Künstlerin Toshiko Horiuchi MacAdam? Im „Archipelago“, einer Spiellandschaft, gestaltet von ihrem Kollegen Jakub Szczęsny? Oder doch unter den Kübeln, die in der Ausstellung der brasilianischen Künstlerin Rivane Neuenschwander von der Decke hängen? So streifen die Fotografin Luiza Puiu und Mona Jas eine Dreiviertelstunde durch das Gebäude. Wie sich Kinder und Erwachsene darin zurechtfinden, darum wird es auch im Interview gehen.

Mona Jas, Sie sind seit 2021 die künstlerische Leiterin des Kinderkunstlabors für zeitgenössische Kunst. Welche Rolle spielte die Kunst in Ihrer eigenen Kindheit?

Mona Jas

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Als Kind hatte ich immer einen Stift bei mir. Bevor ich in die Schule kam, konnte ich meinen Namen spiegelverkehrt schreiben. Das tat ich oft, gern auch auf Wände. Damit löste ich nicht immer Freude aus. Das war vielleicht nicht Kunst, doch auch hier geht es um die Frage, wie wir uns in die Welt einschreiben, Spuren hinterlassen können. In der Begegnung mit Kunst hat mich als Kind die Kopie von Vermeers „Briefleserin in Blau“ nachdrücklich beeindruckt, die in unserer Wohnung hing: eine Schwangere, die einen Brief liest. Ich fand diese Frau unglaublich schön, und die Atmosphäre des abgebildeten Raums sog mich in das Bildgeschehen hinein. Ich spekulierte darüber, was in dem Brief wohl stehe. Das Bild war lange Zeit Teil meines Alltags und begleitete mich auch noch danach. Gleichzeitig hatte ich viele Fragen an das Bild. Es schien mir mysteriös, und so war ich immer wieder aufs Neue fasziniert.

Ihnen neue Welten zu eröffnen – geht es darum in der Begegnung von Kindern mit Kunst?

Wir sollten Erwachsene ermutigen und darin unterstützen, das Eigene zu teilen, in den Raum zu stellen. Das kann auch sogenannte Hochkultur sein – ob es ein Bach-Konzert ist, John Coltrane oder Meredith Monk. Ich bin überzeugt davon, dass das Kindern eine wundervolle Erfahrung öffnen kann. Vermeer hat schließlich auch nicht extra für Kinder gemalt.

Also: nicht vor einer potenziellen Überforderung zurückschrecken?

Vor Kunst braucht niemand zurückzuschrecken. Für mich war eben der Vermeer ein wichtiger Anker. Für andere kann es etwas anderes sein, zum Beispiel etwas, das ihnen im Ausstellungraum des Kinderkunstlabors begegnet.

Es ist seit Mitte Juni geöffnet, wie lautet das erste Resümee?

Was ich aus Fachstudien theoretisch wusste, erfuhr ich nun am eigenen Leib: Wie ein Raum gestaltet ist, entscheidet maßgeblich über das Leben darin. Durch unterschiedliche Perspektiven, Höhen, Nischen, Lichtquellen und Materialien brachten die Architekten eine Wertschätzung jungen Kindern gegenüber ein. Wir lernen das Gebäude nach und nach kennen, wie einen eigenen Protagonisten.

Was waren bisher Ihre eindrücklichsten Erlebnisse hier?

Im Sommer hatten wir keine Ausstellung, sondern arbeiteten mit den Räumen selbst. Wir fragten uns, ob sich eine Intervention mit Nebelmaschine, Duft und Sound wohl für die Kinder – sie hatten sich ein Kinderkunstlabor, „das gut riecht“, gewünscht – erschließt. Das Konzept ging auf. Sehr eindrucksvoll war, wie die Kinder, die bei der Eröffnung als Erste das Haus betreten konnten, dieses zur Einweihung mit wassergefüllten Ballons bewarfen. Wir sagten damit: Das ist euer Haus. Und: Es ist ihr Haus. Einmal angekommen, bleiben unsere Nutzer:innen viele Stunden bei uns, also viel länger als in anderen Kunstinstitutionen, denn sie fühlen sich bei uns sehr wohl. Nun, in der Ausstellung „Dreamlab“ der Künstlerin Rivane Neuenschwander aus São Paulo, ist es wundervoll zu beobachten, mit welcher Hingabe und Intensität Kinder und ihre Erwachsenen in den Dialog mit der Installation gehen. Bemerkenswert ist auch, dass sich Erwachsene im Gebäude verlaufen, Kinder aber sofort eine Orientierung haben.

Wir lernen das Gebäude nach und nach kennen.

Kinder waren auf allen Ebenen der Vorbereitung eingebunden, zum Beispiel bei der Entwicklung des Gebäudes, bei der Jury der Skulpturen im Außenraum, auch bei programmatischen Fragen. Das Kinderkunstlabor hat diesbezüglich kein Vorbild. Wie ist es, eine Institution zu entwickeln, die es so vorher noch nie gab?

as ist der Grund, warum ich von Berlin nach St. Pölten zog: weil ich von diesem neuen Konzept überzeugt bin. Dennoch ist es schwierig, etwas zu vermitteln, das es noch nicht gibt. Wie kann Neuenschwander, die mit Kindern zu einem so abstrakten Thema wie Traum arbeitet, daraus eine Ausstellung entwickeln? Das sind komplexe Lernprozesse. Bei der nächsten Ausstellung, „Papier, Stein, Schere. Materialien und Werkzeuge der Kunst“, werden auch Werke ausgestellt, die nicht angefasst werden können. Da werden wir die Ansprache an die Familien und Gruppen sowie das Fachpublikum wieder neu entwickeln.

Wo fanden Sie die Anregungen für das Kinderkunstlabor?

Als lehrende, vermittelnde und kuratierende Künstlerin war ich in Berlin bei der Biennale und dem KW Institute for Contemporary Art in Ausstellungskonzeptionen einbezogen, forschte und promovierte dazu. In einer Studie konnte ich belegen, wie viel Potenzial zur Inspiration und Irritation, aber auch zum Dialog zeitgenössische Kunst bietet. 2021 begann ich für das Kinderkunstlabor zu überlegen: Wie kann ich das für ein breites und junges Publikum so öffnen, dass daraus eine intrinsische Motivation entsteht, sich mit Kunst zu beschäftigen?

Das Neue hat üblicherweise mit Missverständnissen zu kämpfen. Welche gab es gegenüber dem Kinderkunstlabor?

Erwachsene haben in einigen Fällen einen Indoorspielplatz mit Kletterwänden erwartet. Wenn sie dann hier sind, stellen sie sich etwa angesichts unserer Lehmwerk-statt Fragen. Zum Beispiel: Was soll dieser Haufen Erde? Das ist für manche gewöhnungsbedürftig. Dennoch kann ich Skeptiker:innen davon überzeugen, dass junge Kinder überall sonst bereits genug Animation erfahren. Und im Kinder-kunstlabor wollen wir mit Kunst inspirieren und nicht animieren: Es geht hier nicht in erster Linie darum, unterhalten zu werden. Ich hörte einmal von einer Lehrerin, die ihre Kinder nicht herschicken wollte – sie nahm an, hier dürften sie alles vollmalen. Doch sie lernen hier gerade im Gegenteil, sehr achtsam mit dem Raum umzugehen und malen an den Orten, die dafür speziell eingerichtet sind, wie dem einen Labor, das dazu komplett mit Papier ausgeschlagen wurde. Warum sollte es im Kinderkunstlabor genauso sein wie in der Schule oder zu Hause? Häufig kommt auch die Frage, wie wir’s mit dem Handy halten. Wir verbieten es nicht. Wenn ein Kind mit Lehm arbeitet, kann es das sowieso nicht halten, und wenn es in der interaktiven textilen Skulptur der Künstlerin Toshiko Horiuchi MacAdam herumklettert, fällt das Ding aus der Hosentasche.

Mit wie viel Trial and Error war der Prozess, diese neue Institution aufzubauen, verbunden?

Das ist im Hintergrund immer präsent, und es braucht viele Beteiligte dafür. Ein Beispiel: Rivane Neuenschwander baute Schattentheater und Figuren aus Zeichnungen der Kinder. Die Idee war, Boxen mit Licht von hinten zu installieren. Eine Gruppe von Kindern konnte Theater spielen, die andere zuschauen. Doch da war der Error: Es zeigte sich, dass Kinder Theater gestalten und selbst sehen wollen. Rivane entwickelte dann neue Vorrichtungen, mit denen die Figuren fixiert werden können, sodass die Kinder nun auch ihr eigenes Bühnenbild anschauen können.

Welche Wege würden Sie heute nicht mehr gehen?

enraum für junge Kinder gestalten, ohne von Anfang an den TÜV, den Technischen Überwachungsverein, zu Rate zu ziehen. Im „Archipelago“ sollten wir einen Fallschutz machen. Dann stellte sich heraus, er müsste größer sein, dann brauchte es an einer anderen Stelle noch eine Leiter, die ebenfalls einen Fallschutz erforderte. Da hätten wir uns viel Zeit sparen können. Und vielleicht sind wir auch andere „falsche“ Wege gegangen. Doch im Nachhinein kann ich sagen, dass das richtig war: Denn gerade aus den Irrwegen, aus den Fehlern, habe ich am meisten gelernt.

Es gibt die Vorstellung, dass jedes Kind ein Künstler, eine Künstlerin sei. Wie stehen Sie dazu?

Kinder sind so unterschiedlich! Uns ist es wichtig, dass hier viele Kinder ihren Platz finden. Ich habe ein breites Verständnis von Kreativität: Wer sich mit Mathematik und Chemie befasst, braucht sie ebenso wie Lehrer:innen in einer Schule, wo es täglich neue Herausforderungen gibt.

Wir wollen mit Kunst inspirieren, nicht animieren.

Was sagen die Künstlerinnen und Künstler über die Zusammenarbeit mit Kindern?

Auch hier gibt es unterschiedliche Positionierungen. Rivane Neuenschwander ist Konzeptkünstlerin und entwickelt spezifische Themen für den Dialog mit Kindern. Das zu übersetzen in eine Ausstellung, ist ein Prozess, bei dem sie sehr stark die Autorinnenschaft reflektiert. Andere, wie Christine und Irene Hohenbüchler, beziehen Kinder und Jugendliche oft auch in den Bau ihrer Werke ein. So entfalten sich co-kreative Prozesse auf vielfältige Weise.

Was müssen Künstlerinnen und Künstler ihrerseits mitbringen, um hier mit Kindern zu arbeiten?

Natürlich ihr eigenes Interesse, auch daran, einen künstlerischen Dialog spezifisch mit und für die Kinder zu entwickeln. Das zeigt sich aktuell auch bei Robert Gabris und Ulrike Müller, die an Ausstellungen für das Kinderkunstlabor arbeiten. Die Künstler:innen, mit denen wir bisher gearbeitet haben, verbinden großes Einfühlungsvermögen und ihr gesellschaftliches Engagement mit einem künstlerisch sehr hohen Anspruch. Sie verstehen sich als Lernende. Und das in aller Bescheidenheit – trotz ihrer Größe und Position im Kunstfeld. ● ○