Standpunkte

Volkstanz – Anbetung der Asche oder Weitergabe des Feuers?


In jeder Ausgabe stellt morgen drei Menschen, die sich auskennen, eine Frage. Diesmal:

In sozialen Medien sehr inaktiv

Christina Strasser

Volkstanz oder alpenländischer Tanz ist ein überlieferter Gesellschaftstanz, der sich stets weiterentwickelt und vor 200 Jahren ganz anders aussah als heute. Es gibt auch neue Volkstänze: So wurde die „Handy Mazur“ 2004 aufgezeichnet oder „Da Aufgedrahte“ im Jahr 2009. Allein in Niederösterreich sind 225 Gruppen tätig – darunter Kindervolkstanz-, Landjugendvolkstanz-, Seniorenvolkstanz- und Schuhplattlergruppen. Die Zeit der Pandemie war herausfordernd für alle Vereine, aber mittlerweile wurden wieder neue Gruppen gegründet, wie zum Beispiel eine für Kinder in Texingtal.

Allgemein bekannt sind Volkstänze bei Erntedankfesten oder der Bandltanz beim Maibaum-Aufstellen. Weniger bekannt ist, dass zahlreiche heimische Formationen an internationalen Volkstanzfesten teilnehmen. Mein Verein ist zum Beispiel 2024 zu den Marrakech Folklore Days nach Marokko eingeladen worden. Die Volkstanzgruppen treffen einander auch abseits der öffentlichen Wahrnehmung bei den wöchentlichen Proben. Hier ist der gesellschaftliche und soziale Aspekt des Miteinanders sehr wichtig.

In den sozialen Medien sind Volkstanzgruppen sehr aktiv. Wenn man diesen folgt, sieht man, wie junge Menschen jedes Wochenende Spaß am Volkstanz haben. Deshalb beantworte ich die Frage, ob sich auch die Jugend für traditionellen Volkstanz interessiert, mit einem überzeugten Ja.

Christina Strasser lebt in St. Pölten und arbeitet seit 2015 bei der Volkskultur Nieder­österreich. Dort ist sie seit 2019 für den Fachbereich Volkstanz zuständig und organisiert gemeinsam mit Ehrenamtlichen Weiterbildungen, Lehrveranstaltungen und Vernetzungstreffen.

© Volkskultur Niederösterreich / Petra Suchy
© Volkskultur Niederösterreich / Petra Suchy

Den alten Mief ablegen

Elsbeth Wallnöfer

Der traditionelle Volkstanz wird weiterbestehen, nicht nur, weil er bereits in die Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen wurde, sondern auch, weil es wieder sehr viele junge engagierte Volkstänzer gibt, die den Geist von früher ablegen und Volkstanz als das verstehen, was er ist: das Bedürfnis, sich zu vergnügen.

Während es den nationalsozialistisch belasteten Volkstanz nach 1945 in Deutschland kaum mehr gab, war er ein kulturpolitisches Paradigma bei der Herausbildung des neuen Österreich. Durch den Generationenwechsel, der sich in der Bundesarbeitsgemeinschaft Österreichischer Volkstanz vollzogen hat, wurde der Volkstanz modernisiert und konnte den alten faschistischen Mief ablegen. Dazu hat auch die wissenschaftshistorische Forschung beigetragen. Heute steht die Basisarbeit der Volkstanzgruppen in der Regel auf einem demokratischen Fundament. Das führt dazu, dass der deutsch-österreichische Volkstanz nicht mehr als Besonderheit betrachtet wird und dass moderne Kombinationen mit anderen Tänzen entstehen. Seit etwa 15 Jahren lösen sich traditionelle Geschlechterrollen in den Vereinen zusehends auf. In Bayern hat sich sogar eine Gruppe schuhplattelnder schwuler Männer etabliert. Noch führt diese Form der Emanzipation nicht dazu, dass die „Schwuhplattler“ bei Staatsempfängen als Zeichen der perfekten Verbindung von Tradition und Moderne tanzen, aber ich bin guter Dinge, dass sich die traditio­nellen Volkstänzer auch dort hinarbeiten werden.

Die Volkskundlerin und Philosophin Elsbeth Wallnöfer ist in Südtirol geboren und lebt in Wien. Sie forscht über Brauchtum, Traditionen sowie den Begriff Heimat und ist Autorin zahlreicher Bücher, Artikel und Kommentare, etwa in Zeitungen wie Der Standard, Kurier und Falter. Ihr Buch „Tracht Macht Politik“ erschien 2020.

© Peter M. Kubelka
© Peter M. Kubelka

Neues sollte einfließen

Melanie Fahrafellner

Ich glaube, früher wuchs man mehr mit Volkstanz auf. Es gab mehr Kindervolkstanzgruppen. Heute sagen mir viele Erwachsene, sie könnten keinen Paartanz mehr. Es wird auch schwieriger, Volkstanzlehrer zu finden. Schuhplatteln wird zum Beispiel vor allem in Vereinen und nicht in Kursen weitergegeben.

Für die Hip-Hop-Plattler fand ich sehr schnell Tänzer:innen, wobei sich die Männer nicht so leicht motivieren lassen. Wir haben auch eine eigene Kids-Gruppe, die stark für Auftritte gebucht wird und sich gerade auf 20 Kinder vergrößert. Um junge Leute für Volkstanz zu begeistern, sollte etwas Neues einfließen: ein anderer Musik- oder Kleidungsstil oder neue Bewegungen. Die Ursprünge dürfen aber auf keinen Fall vergessen werden. Wir schauen sehr genau auf den traditionellen Plattler hin – und übrigens auch auf den Old-School-Hip-Hop.

Früher durften nur Männer schuhplatteln – Frauen haben sich im Dirndl um sie gedreht. Dass sich die Szene öffnet, merkt man nicht nur daran, dass jetzt auch Frauen platteln, sondern auch an den Wettbewerben, wo wir Hip-Hop-Plattler bereits in Jurys sitzen durften. Zu jedem Lied gehört traditionell ein Plattler, es gibt Livemusik, und es braucht Spielmann und Spielfrau. Nächstes Jahr werden wir in Graz erstmals an einem Bewerb teilnehmen – zusätzlich zu einem traditionellen Plattler mit unserer Kombination aus Hip-Hop und Schuhplatteln.

Die Niederösterreicherin Melanie Fahrafellner ist Tanzpädagogin und betreibt das Tanzstudio Mel Dance in Eschenau bei Lilienfeld. Neben Kursen zu Street- und Jazzdance sowie Musical leitet sie seit 2018 die Hip-Hop-Plattler, eine Tanzgruppe, die Hip-Hop und Schuhplatteln verbindet.

© Eduard Stoiber
© Eduard Stoiber