Marc Brew ist Choreograf aus Schottland und Pionier im Bereich Mixed Abilities im Tanz.
Ich sah 2007 das Stück „Zero Degrees“ von Sidi Larbi Cherkaoui und Akram Khan in London. Damals tanzte ich bei der Candoco Dance Company, der führenden Kompanie für behinderte Tänzerinnen und Tänzer in Großbritannien. Das Stück hat mich sehr beeindruckt. Ich fühlte mich Cherkaouis tänzerischem Vokabular nahe und dachte, dass wir viel voneinander lernen könnten.
Als mich Bruno Heynderickx, der Direktor des Hessischen Staatsballetts, 2021 fragte, was ich gerne machen würde, antwortete ich: „Mein Traum ist es, mit Sidi Larbi Cherkaoui zusammenzuarbeiten.“ Also nahm er Kontakt zu ihm auf, und Larbi war fasziniert von der Idee. Wir trafen uns zunächst auf Zoom und tauschten Geschichten über unser Leben, unsere Familien, das Aufwachsen als Homosexuelle und viele andere Dinge aus. Bei einem späteren Anruf fragte er mich, ob wir über meinen Unfall mit 20 und die Zeit danach sprechen könnten. Während ich erzählte, nahm er mich mit seinem Handy auf. Mit diesem Interview begann unser Arbeitsprozess. Als erste kreative Aufgabe gab er mir vor: „Ich möchte, dass du von diesem Video lernst, wie du dich bewegst, wie du dich verhältst, wie du sprichst, welche Gesten du machst.“
Als wir uns dann persönlich trafen, war Larbi sehr neugierig herauszufinden, wie mein Körper funktioniert. Er schlug mir Bewegungen vor, um neue Dinge auszuprobieren. Dabei legte er sich zu mir auf den Boden, denn er ist fasziniert von Anatomie. Gleichzeitig vergewisserte er sich immer, dass es mir gut geht. So fühlte ich mich aufgehoben. Ursprünglich dachte ich, wir würden ein Duo wie mit Akram Khan machen. Aber als wir die Arbeit weiterentwickelten, meinte Larbi schließlich, dass sein Mitwirken die Kraft meiner Geschichte verwässern würde. Sie habe ihren eigenen Raum verdient. Das war sehr schön und großzügig von ihm.
Ich hätte nie gedacht, dass wir ein Stück über meinen Autounfall machen würden und konnte mir nicht vorstellen, dass sich die Leute für diese Geschichte interessieren würden. Doch im Leben vieler Menschen passieren unerwartete Veränderungen, mit denen sie fertig werden müssen. Mein Stück „an Accident / a Life“ lebt von der Erzählung, dem Text und den Visuals. Zuerst wollten wir einen Film machen, deshalb war vom ersten Tag an eine Kamera dabei. Mit Larbi als Mastermind ist ein vielschichtiges Theatererlebnis entstanden. Er fing meine ganze Persönlichkeit ein und zeigte, dass der menschliche Geist schwierige Zeiten überstehen kann. Das Stück beginnt mit dem Crash, aber es geht nicht nur um das Trauma, sondern auch um Widerstandsfähigkeit, Lachen und Humor. Ich konnte die Geschichten von Joanne, Simon und Toby erzählen, die bei dem Unfall gestorben sind. Das Stück hält die Erinnerung an diese wunderbaren Menschen wach. ● ○