Standpunkte

Wann hat der Schmäh ein Ende?


In jeder Ausgabe stellt morgen drei Menschen, die sich auskennen, eine Frage. Diesmal:

Witze-Machen lässt sich schlecht verbieten.

Es sind nicht die schlechtesten Menschen, die von sich sagen, sie hätten keinen Humor, und jedenfalls sind sie leichter zu ertragen als jene, die nur glauben, sie hätten welchen. „Richtiger“ Humor – hier halten wir uns an die ISO-Norm – kommt nicht ohne Selbstironie aus, und je eiserner die Überzeugung, die jemand hat, desto schöner, wenn er Witze über diese zulässt, beschmunzelt, am besten selbst macht. Letzteres bedeutet: Ich – Katholik, Kommunistin, Feministin, Rapid-Fan – kenne die feinen Risse und dunklen Ecken meines Glaubens- oder Gedankengebäudes, du brauchst mich nicht darauf hinzuweisen, vielen Dank.

Treffen sich zwei Humorbegabte zum ersten Mal, können sie mit Witzen den leeren Raum zwischen sich ausloten. Mancher Witz trifft dann, mancher geht daneben. Man muss es ausprobieren. Nicht zu vergessen, dass ein Witz ein Katalysator sein kann: Ein Unbehagen besteht, ein Gefühl der Fremdheit, eine Angst, und man löst sich daraus, indem man eine Schieflage bemerkt, eine Inkongruenz, ein komisches Parti-kel im scheußlichen Ganzen. Lachen vertreibt das Grauen, zumindest für Sekunden. Man ist nun fähig, den Schrecken zu rationalisieren. Man ist nicht mehr in der Gewalt des Schreckens oder des Unbehagens.

Lachen ist ein Reflex. Darum lässt sich das Witze-Machen schlecht verbieten. Je stärker man es ächtet, desto stärker will es heraus. Dass viele Witze ein Grauen sind, ist ein anderes Thema. Was gegen die schlechten, schlimmen, schrecklichen Hervorbringungen des Humors am besten wirkt? Die besseren, frischeren, gewitzteren Witze.

Wenn du jemanden tief verletzt

Der Schmäh hat ein Ende, wenn du jemanden ernsthaft und tief verletzt. Vor allem, wenn die Verletzung auf einer systematischen Unterdrückung beruht. Wenn eine Person zum Beispiel aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Sexualität, ihres Geschlechts, ihres Alters oder Aussehens sowieso schon die ganze Zeit von der Gesellschaft getreten wird und da noch ein Schmäh oben draufkommt, ist das nicht mehr lustig. Natürlich „darfst“ du so einen Schmäh machen, aber du solltest dich fragen, warum du das willst.

Rassistische, homophobe, sexistische Witze zu machen, die man sich seit Jahrzehnten erzählt, um ein billiges Lachen zu bekommen, ist einfach bequem. Witze ohne Rassismus, Homo- und Transphobie, Sexismus und anderem zu schreiben, ist viel schwieriger. Mir ist es auch egal, ob Lisa Eckhart mit antisemitischen Jokes vielleicht der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten will. Der Punkt ist: Wenn im Publikum 90 Prozent nichtjüdische Menschen über Juden lachen, bestärkt das die Diskriminierung und Vorurteile und macht sicher keine Debatte auf.

„Jetzt darf man gar nichts mehr sagen“, höre ich vor allem von weißen heterosexuellen Cis-Männern. Ich habe das fast nie von einem schwulen Comedian, selten von Frauen und sehr selten von People of Color gehört. Vor einigen Jahren noch habe ich mir die Bühne mit einem bekannten Kabarettisten geteilt, der in seinem Programm das N-Wort verwendet hat. Ich habe das Gefühl, das würde heute nicht mehr durchgehen. Comedy ist so ein wichtiges Werkzeug, um eine Message zu vermitteln. Es liegt in unserer Verantwortung, dass wir sie für etwas Schönes verwenden.

Lachen als etwas Unangenehmes

Der Spaß hört dann auf, wenn man, wenn auch vielleicht unbeabsichtigt, mit einem Witz oder einem Lachen andere verletzt. Wir gehen immer da-von aus, dass Humor und Lachen etwas Positives sind, aber das gilt nicht für alle, denn es gibt eine Gruppe von Menschen, die Lachen eher als etwas Unangenehmes empfindet und schnell das Gefühl hat, verspottet zu werden. Wir haben über die Angst vor dem Ausgelacht-Werden eine Studie in 72 Ländern gemacht. Je nach Land sind drei bis 30 Prozent der Bevölkerung von Gelotophobie betroffen.

Diese Angst ist in den skandinavischen Ländern und der Schweiz am geringsten und auf den britischen Inseln am stärksten verbreitet. Man würde meinen, der englische Sinn für Humor steht über allem, aber die britischen Medien können brutal sein mit ihren lustigen Herabwürdigungen, indem sie jeden verschossenen Elfmeter kritisieren. So lernt man, dass Humor etwas Verletzendes sein kann. Auch in sehr hierarchischen Ländern, in denen Spott zur Korrektur von Abweichlern verwendet wird, sowie in solchen Ländern, in denen es auf Ehre und Stolz ankommt, ist die Angst vor dem Ausgelacht-Werden relativ groß.

Dabei können Missgeschicke eine Währung sein, die man gegen eine engere Beziehung eintauschen kann. Selbst beleidigende Dinge, die liebevoll gesagt werden, können Menschen näher zusammenbringen. Humor reguliert Beziehungen in Richtung näher oder weiter: Wenn ich mich über Dinge lustig mache, die Ihnen wichtig sind, vergrößert sich unsere Distanz. Aber wenn wir gemeinsam über etwas lachen kön-nen, erhöht das die Intimität.