Maria Happel
Monika Saulich
Maria Happel

Maria Happel

Nehmt euch nicht so wichtig


Maria Happel, Schauspielerin und künstlerische Leiterin der Festpiele Reichenau, sprach mit Schriftsteller Thomas Sautner über den Nutzen von Lackschuhen sowie Pölstern unterm Hintern und den Humor in humorlosen Zeiten.

Sie spielt im Burg- und im Akademietheater, in TV-Krimiserien und Spielfilmen, führt Regie, leitet das legendäre Max Reinhardt Seminar sowie künstlerisch nun auch die Festspiele Reichenau. Sie bezeichnet sich selbst als „Laufmeter“, gilt vielen als Ulknudel, findet es aber überhaupt nicht witzig, wenn ihr ob der vielen Engagements und Jobs Ämterkumulation vorgeworfen wird. Max Reinhardt habe seinerzeit neun Theater gleichzeitig geleitet, da sei also noch Luft nach oben. Sie habe auch um keine dieser Positionen gebettelt, habe bloß jahrzehntelang hart gearbeitet. Und ihre Verbindungen zu Bühnen, Fernsehen und den Festspielen setzte sie nicht für sich, sondern für ihre Schauspielschüler und -schülerinnen ein. „Synergien der Vernetzung nennt sich das wohl“, sagt sie und lacht dann doch wieder, schallend und in Mezzosopran.

morgen: Die Schuhe. Beim Rollen-unterricht im Max Reinhardt Seminar fangen Sie gerne damit an.

Maria Happel

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Stimmt, für mich gehören Schuhe zu den wichtigsten Utensilien beim Finden eines Charakters, weil sie sofort eine Haltung verändern.

Und was sagen unser beider Schuhpaare nun über uns und die Rolle, die wir heute spielen?

Ich bin ja für meine High Heels bekannt, heute habe ich aber die be-quemere Variante gewählt und bin nun sehr dankbar für diese erhöhten Ballerinas. Erstmals trug ich sie, als ich eine Anwältin spielte. Sie vermitteln Stil und sind dennoch bequem.

Sie sehen gar nicht bequem aus. Welche wären denn richtig bequem?

Turnschuhe. Aber die nehme ich nur, wenn ich laufe. Wobei – Maria Happel fällt in ihr Mezzosopran-Lachen – eigentlich laufe ich ja nie!

Und was lesen Sie an meinen Schuhen ab? Was spiele ich für eine Rolle?

Sie sind eher ein Langstreckenläufer. Mezzosopran-Salve. Nein, wirklich, Ihre Schuhe schauen sehr bequem aus. Sie haben ein gutes Profil,

Und Sie? Was haben Sie sich bei der Auswahl Ihrer Schuhe gedacht?

So ausgefuchst und strategisch also gehen Sie vor!

So ausgefuchst und strategisch kann ich vorgehen! Mezzosopran fortissimo.

Und Sie? Was haben Sie sich denn bei der Auswahl Ihrer Schuhe gedacht?

Gar nix.

Mezzosopran forte.

Ich hab’ die immer an.

Sie müssen ja keine Rolle spielen. Ich zum Beispiel müsste mir jetzt normalerweise ein Kissen unter den Hintern legen, damit ich höher sitze als Sie, das würde schon helfen, strategisch. Eigentlich bräuchte ich sehr viele Kissen. Und das permanent. Ich bin immer kleiner als alle anderen.

In unserer Gesellschaft zeigt sich das Rollen-Spielen derzeit besonders beim Reden. Man muss höllisch aufpassen, was man wie sagt, damit man nicht als politisch unkorrekt gebrandmarkt wird.

Es gibt nur noch einen schmalen Grat zwischen dem, was man sagen darf und wie man es sagen darf. Früher hatten wir das Extrem, dass bei den schlimmsten Übergriffigkeiten bloß mit der Schulter gezuckt wurde, heute aber befinden wir uns im anderen Extrem. Es gibt Sheriffs sonder Zahl, die nur drauf warten, bis jemand etwas sagt, das sie als unkorrekt interpretieren können. Entsprechend vorsichtig und angepasst und seicht und vage werden alle.

Es scheint, als zähle der gute Ton mitunter schon mehr, als das Gute zu tun.

Ja, jeder erzählt, was er sich Tol-les denkt, was er für tolle Meinungen hat, aber die wenigsten tun was.

Was kann Theater konkret Positives bewirken?

Theater ist immer ein Suchen nach dem Wesenskern. Es geht immer um Haltung, darum, die Gesellschaft zu spiegeln, sie zu warnen, ihr Entwicklungen aufzuzeigen. Und es geht auch darum, Lösungsvorschläge anzubieten. Nehmen Sie nur Tschechow oder Shakespeare, das ist Literatur, die über die Jahrhunderte immer anwendbar bleibt. Prospero, den ich gerade in Shakespeares „Der Sturm“ spiele, sagt im Prolog: „Ich möchte auf dieser Insel eine Gesellschaft von Versöhnten gründen. Frei und mit Behagen wollen wir dann auf dieser Insel leben. Wenn der Versuch der Besserung gelänge, wer weiß, er änderte den Lauf der Welt.“ Kunst zeigt also oft Visionäres auf. Und je schrecklicher die Wirklichkeit ist, desto mehr braucht es Visionen auf einer Bühne, die uns neue Räume eröffnen.

Wurden Sie auch deshalb Schauspielerin?

Als Jugendliche waren meine Ansprüche nicht so hoch. Bei uns in der Schule gab es einen Kalender mit Texten drauf. Einer war von Max Reinhardt: „Ein Schauspieler ist ein Mensch, dem es gelungen ist, die Kindheit in die Tasche zu stecken und sie bis an sein Lebensende darin aufzubewahren.“ Genau das wollte ich auch, nicht mehr und nicht weniger.

Und warum sind Sie heute Schauspielerin?

Es befähigt mich, wunderbare Texte zu sprechen und sie den Menschen mitzugeben. Die Kraft der Gedanken ist eine große. Friede, Humanismus, Humor. Was man spielend denkt und spricht, verändert – einen selbst und mitunter auch das Publikum.

Was Max Reinhardt seinen Schauspielschülern und -schülerinnen geraten hat, gilt wohl auch für alle anderen Menschen: „Spielen Sie nicht. Seien Sie wahr! Werden Sie wesentlich!“

Nur so zu tun, als ob, funktioniert letztendlich weder im Leben noch auf der Bühne.

Eine Schauspielschülerin erzählte mir, dass sie durch das Schlüpfen in unterschiedlichste Charaktere zu einem offeneren, liberaleren Menschen geworden sei. Ist Schauspiel ein humanistisches Mittel? So wie alle Kunst? Weil einem das, was man aufs Erste als fremd empfindet, plötzlich viel näher ist, als man dachte?

Ja, unbedingt. Oft lese ich einen Text und denke, das ist Quatsch, das ist so weit weg von mir. Und dann fange ich trotzdem an zu graben und zu schürfen und stelle mit einem Mal fest, oh, das ist ja hoch span-nend, das hat ja viel mehr mit mir zu tun, als ich glaubte, aha, noch eine Schublade in mir, von der ich nichts wusste.

Erkenne dich selbst. Die Worte über dem Tempel von Delphi könnten ebenso über jedem Theatereingang stehen, oder? Das Erkennen des Eigenen im Anderen.

Über jede Bühne könnte man das schreiben. Es gilt sowohl für die Schauspieler, die sich während der Proben und der Vorführungen neu entdecken, als auch für die Zuschauer.

Im Burgtheater spielen Sie auch in Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wienerwald“. Darin geht’s um die Jagd nach dem Glück. Wie geht’s Ihnen denn privat damit? Oder jagen Sie nicht?

Nach dem Glück?

Ja.

Ich bin gerne selbst Fortuna. Bin gern das Glück. Ich hab’s nicht im-mer, aber ich gebe es sehr gerne wei-ter. Ich habe viel davon in Reserve, da ich in meinem Leben unheimlich viel Glück gehabt habe.

Sie galten als schlechte Schauspielschülerin.

Ich war eine gute Schauspielschülerin, aber einige dachten, ich sei eine schlechte. Vorwiegend deshalb, weil ich Dialekt sprach und es gar nicht bemerkte. Ich dachte, ich spreche Deutsch. Ich bin ja ein Mädchen vom Land, aus dem Spessart. In meinem Heimatort gab’s kein Theater, und wenn wir den Fernseher aufdrehten, war da nur ein einziger Sender.

Claus Peymann brachte Sie von Hannover nach Wien zum Burgtheater. Der Einstieg wurde Ihnen von vielen der Etablierten nicht leicht gemacht. Warum ausgerechnet eine Deutsche, wurde gefragt. Noch dazu eine aus der Provinz, aus dem hinterwäldlerischen Spessart.

Ich hab’ mir das Burgtheater von der Ferne immer vorgestellt wie eine Festung. Und das war es dann auch. Die Burg. Nomen est omen. Uneinnehmbar.

Aber Sie spielten sich hoch, wurden zum Publikumsliebling. Auch im Fernsehen. Wie wichtig ist es Ihnen, beliebt zu sein?

Natürlich ist es mir wichtig. Ich denke, es ist ein menschliches Grundbedürfnis, geliebt und anerkannt zu werden. Wenn das ausbleibt, setzt ja auch oft Kränkung ein. Ich habe immer versucht, alles richtig zu machen, immer mein Bestes zu geben, freilich auch, um solche Verletzungen zu vermeiden.

Ich nehme an, die Kränkungen in der Hamburger Schauspielschule und in Wien haben Sie geprägt. Was würden Sie angesichts Ihrer Erfahrungen Ihren beiden Kindern raten?

Ich würde den Kindern immer sagen: Lasst euch nicht beirren. Ihr müsst das machen, was euch glücklich macht.

Und ihren Schauspielschülern?

Nehmt euch nicht so wichtig, es ist nur Theater.

„Nur Theater“ ist auch Reichenau. Die Festspiele haben das Image, gefällige Unterhaltung zu bieten, ein wenig K.-u.-k.-Flair mit Blick auf die Rax, ein harmlos heiteres Ausflugsvergnügen für die Wiener Gesellschaft. Kurzum: mehr Festspiel als ernst zu nehmendes Theater.

Ich kenne das Image. Von einem Tag auf den anderen werde ich dem Tanker keine neue Richtung geben. Und ich will auch das Stammpublikum nicht verprellen. Aber wir werden die Stücke durch Verweise auf politische und gesellschaftliche Aktualitäten bereits in dieser Spielzeit auf eine neue, höhere Ebene heben. Auch der Krieg in der Ukraine wird Eingang finden.

Ich habe mir das Burgtheater immer vorgestellt wie eine Festung.

Im November 1938 schrieb Max Reinhardt: „Ich glaube, dass alles, alles einen Sinn hat. Aber ich kann ihn nicht herauskriegen, so sehr ich darum kämpfe.“ Heute gibt es wieder einen Diktator in Europa und wieder Krieg. Haben Sie eine hilfreiche Idee dazu und hat Humor überhaupt noch Platz in solchen Zeiten?

Das Leid der Menschen in der Ukraine ist unvorstellbar. Das ein-zig Tröstliche ist der Friedensgedan-ke. Dass man zumindest im Kleinen hilft und in seinem Umfeld immer mehr Inseln des Friedens schafft. Und zum Humor: Die beiden klassischen Masken des Theaters, die weinende und die lachende, gehören auch dieser Tage zusammen, sie sind nicht voneinander zu trennen. Gerade in so furchtbaren Zeiten brauchen wir das Lachen, sonst verzweifeln wir.

Nach dem Gespräch mit Maria Happel bat die Fotografin Monika Saulich sie um Porträtaufnahmen und fragte, ob es möglich sei, fröhliche Aufnahmen zu machen. Maria Happel lieferte prompt, ging in Pose und lachte, lachte offen und scheinbar oder tatsächlich so, wie jemand nur zu lachen vermag, der pur und von Herzen lacht. Ich sagte sinngemäß und eher Richtung Monika Saulich als zu Maria Happel, dass Humor doch auch tiefgründige Seiten habe und zum Thema ebenso ein weinendes wie ein lachendes Gesicht passe. „Es sind die beiden Seiten des Menschen“, sagte Maria Happel, „Komödie, aber auch Tragödie“.

Ihre Augen wurden daraufhin traurig und trauriger. Und schließlich weinte Maria Happel. Weinte inniglich. Weinte vor der Kamera. Für mich blieb unentschieden, ob es die Schauspielerin Maria Happel war, die tieftraurig war oder zudem die Frau darunter, die von etwas Unsagbarem berührt worden war. Ich schaffte es nicht, zuzusehen.

Die weinende und unmittelbar daneben die lachende Maske, Tragödie und Komödie – seit der Antike Sinnbild des Theaters. Melpomene, die Trauernde, und Thalia, ihre lachende Schwester. Melpo mene, so heißt es, habe über die Zeitenläufe hinweg allzu viel Unglück und Leid gesehen und helfe den Menschen mittels ihres Bildes, den richtigen Weg zu finden, damit letztlich das Gute siege. Melpomene, die Trauernde, und Thalia, die Lachende. Im Grunde wünschen sie sich dasselbe. Im Grunde sind sie eins.

Nach dem Fotoshooting verließen wir den Wintergarten des Max Reinhardt Seminars und gingen ins Freie. Letzte Szene: Maria Happel zieht sich die Schuhe aus, die angeblich bequemen Schuhe der Anwältin. Sie läuft bloßfüßig über die Wiese. Und nun bin ich mir, anders als zuvor, völlig sicher: Nicht „die Happel“ läuft hier barfuß durchs Gras, nicht die Intendantin, die Regisseurin und auch nicht die Schauspielerin. Maria Happel ist es. Nur sie. Sie strahlt, über und über, aus einem plötzlich wie um Jahrzehnte verjüngten Gesicht. In diesen Momenten, so scheint es, hat das Mädchen aus dem Spessart vergessen, wer sie alles geworden ist. In diesen Momenten muss sie keine Rollen spielen, nichts leisten, um zu bestehen. In diesen Momenten ist sie einfach. Sie ist! Fortuna. ● ○