Irgendwann landet Marianne, eines der vielen „süßen Wiener Mädeln“ des österreichisch-ungarischen Dramatikers Ödön von Horváth, die keinen Platz im Leben finden, nackt als Tableau vivant in einem Varieté. Meist wird das eindeutig erotisch gedeutet. Sie zieht sich für ältere, gut betuchte Herren aus.
Der niederländische Regisseur Johan Simons und sein Ensemble legen diese berühmte Szene aus „Geschichten aus dem Wiener Wald“ im Burgtheater überraschend neu an: Maria Happel als resolute Nachtklubbesitzerin und Sarah Viktoria Frick als Marianne machen daraus eine aberwitzige expressionistische Performance und entfremden Symbole des Patriarchats ironisch. Sie cremen sich gegenseitig ein, zerbröseln eine Zigarre und kleben sie sich dann als falschen Bart ins Gesicht. Die beiden sind keine erotischen Projektionsflächen. Und sie haben sichtlich Spaß an ihrer schrägen Darbietung.
Wie zeigt man Unterdrückung, ohne sie auf der Bühne zu wiederholen? Wahrscheinlich eine der zentralen Fragen des Gegenwartstheaters. Horváth dekliniert in seinem artifiziellen Volksstück knallhart durch, wie einer jungen Frau, die der kleinbürgerlichen Welt entfliehen möchte, das Genick gebrochen wird. „Du wirst meiner Liebe nicht entkommen“, droht der Fleischer Oskar seiner Braut, als sie ihn wegen einem anderen verlässt. In den meisten Inszenierungen weiß Marianne gar nicht, wie ihr geschieht – sie torkelt eher passiv von Unheil zu Unheil. In der aktuellen Burgtheater-Fassung dagegen ist Sarah Viktoria Frick eine famos rebellische Marianne, mehr Spielemacherin als Spielball. Von Beginn an agiert sie selbstbewusst und störrisch. Und wenn Maria Happel als Chefin des Nachtklubs die Bühne betritt, dann nimmt sie den ganzen Raum ein. Ihre rauchige Stimme ist dominant, jeder weiß sofort: Besser, man legt sich nicht mit ihr an. Das könnte ungemütlich werden.