Manfred Deix: „Die Furcht vor Ausländern nimmt zu“, 1994
Manfred Deix / Landessammlungen NÖ
Manfred Deix: „Die Furcht vor Ausländern nimmt zu“, 1994

Karikatur

Geliebte Stereotype


Müssen Karikatur und Comic Stereotype bedienen? Und wie geht eine jüngere Generation von Zeichnerinnen und Zeichnern damit um?

Seine Zähne stehen hervor, seine Haltung ist gekrümmt, sein Hautton gelb, seine Augen sind schmal: So schildert Maryam Laura Moazedi das Äußere einer fiktiven Person im Gespräch mit morgen. Mit jedem Merkmal, das sie nennt, entspricht das innere Vorstellungsbild deutlicher einem vermeintlich typischen Asiaten. Damit führt Moazedi vor, wie Klischees entstehen.

Im knallgelben Mantel ist sie zum Interview gekommen. Auch in ihrer Arbeit geht es um die Farbe Gelb. Sie forscht zu Diversität und Stereotypen. „Yellowfacing“ ist eines ihrer Themen, die Darstellung von Personen asiatischer Abstammung mit gelben Gesichtern – von Karikaturen zur „gelben Gefahr“ bis zu Comics mit dem Schurken Fu Manchu. Für das Karikaturmuseum Krems verfasste sie Texte über dieses und andere Stereotype, mit denen sie die anlaufende Ausstellung des Trickfilm-Zeichners und Charakterdesigners Florian Satzinger kritisch begleitet („Donald made in Austria! Der Character-Designer Florian Satzinger“). Dieser wiederum entwarf neues Material zu ihren Texten. Schrift und Bild werden die Rolle des Humors bei der Verbreitung stereotypen Charakterdesigns aufgreifen.

Stereotype reduzieren Komplexität

Auch „Blackfacing“, die ethnisch stereotype Darstellung Schwarzer Menschen sowie Rassismen und Rollenbilder, die auf (De-)Sexualisierung beruhen, beschäftigen Moazedi – sie äußern sich in China Dolls, Dragon Ladys und häuslichen Schwarzen Mammys. Moazedi hat sich mit historischen und kulturellen Hintergründen dazu befasst: „Stereotype kann man nie isoliert sehen.“ Wenn Tim und Struppi oder Asterix auf affenartige Afrikaner trafen, schwang Carl von Linnés Einteilung in Menschenrassen und der Kolonialismus mit. „Jetzt so zu zeichnen, sorgt für keinen Schenkelklopfer mehr“, meint sie. Die Diskussion ist heute freilich aufgeheizter, „woke“ und „intersektional“ gehören zum gängigen Vokabular.

Doch Stereotype wirken auch ohne Lacher fort, ist doch ihre Krux, dass sie vieles scheinbar vereinfachen. Sie reduzieren die Komplexität der Welt, sorgen für Wiedererkennungswert bei Bildern. Muss ein Strichmännchen immer männlich sein? Wenn man es schwarz anmalt, ist das schon Blackfacing? Wie kann man Identität dann anders darstellen? Fragen, die etwa das spaßige Comicbüchlein „LIGHTfaden für BILDERmacher_innen“ von Imke Schmidt und Ka Schmitz behandelt. Eine feine Linie trenne Diskriminierendes von positiv Deutbarem, erklärt Moazedi. Als selbsterfüllende Prophezeiung können Stereotype Denkweisen beeinflussen. Das hätten empirische Untersuchungen ergeben, erzählt sie: „Wenn sie die Stereotype über sich kennen, schneiden Schwarze bei Tests schlechter ab, rechnen Frauen schlechter, gehen Alte langsamer.“

Nur ein Scherz?

Schon Kinder verinnerlichen Stereotype: Das thematisierte Chris-tine Nöstlinger in ihrer „Feuerroten Friedrike“, die noch bis Juli im Mittelpunkt ihrer Personale „Christine Nöstlinger und ihre Buchstabenfabrik“ im Karikaturmuseum steht. Als Mittel wählte die berühmte Autorin den Humor. Wie dieser als zweischneidige Waffe eingesetzt werden kann – befreiend ebenso wie ausgrenzend – erforscht Moazedi ebenfalls. Mit lustigen Bildern lässt sich mitteilen, was sonst nicht möglich wäre, Subversives wie Stereotypes. „Es war eh nur ein Scherz“, heiße es manchmal, meint Moazedi – und trotzdem komme die Botschaft an. In der Management-Literatur werde sogar empfohlen, eine Art Hofnarren zu engagieren, der Teamleitern und -leiterinnen humorvoll den Spiegel vorhält.

Gottfried Gusenbauer ist Comicexperte und Gründer des Next-comic-Festivals, künstlerischer Direktor des Karikaturmuseums und Kurator der Schau von Moazedi und Satzinger. Er kennt sich aus mit Humorkunst. Dass eine Karikatur übertreibt, Stereotype herausarbeitet, mit Hässlichem konfrontiert, sei Teil von ihr, holt er aus. „Es gibt kein Tabu. Jeder hat das Recht, dass er karikiert wird, wenn wir eine Gesellschaft wollen, in der jeder partizipiert.“ Wenn sie ohne Hetze auskommt, sei Humorkunst gerade in jetzigen Zeiten der Reibung und Krisen inklusiv, da sie verbindet und ernste Hintergründe lustig verpackt. Der Karikaturist Manfred Deix, einst maßgeblich an der Gründung des Kremser Museums beteiligt, habe es so geschafft, dass Stereotpye geliebt werden, sagt Gusenbauer. „Er hat niemanden und nichts ausgelassen. Durch den Zugang mit Humor ist das möglich.“ „Rotzbub“, der im Frühjahr angelaufene Deix-Animationsfilm, sei jetzt weniger wild.

Humor verändert sich. Bewegungen wie #MeToo und Black Lives Matter findet Gusenbauer „persönlich sehr gut“. Selbstverständlich wirkten diese auch auf Karikatur, Comic und Charakter design im Film zurück. Wie kann man Stereotype erkennen, kommentieren und hinterfragen? Soziale Netzwerke mit ihren Memes und ihrer schnellen und kurzatmigen Kommunikation bergen neue Herausforderungen. Die internationale Vernetzung begünstigt zudem kulturelle Missverständnisse. Disney reagiert darauf: Der Konzern versucht sich bei neuen Figuren bereits in Diversität und versieht Klassiker mit Rassismus-Hinweisen.

Gegen den Strich?

„Stereotype werden jetzt eher verwendet, um alte zu torpedieren und neue Blickwinkel zu erreichen“, fällt Gusenbauer auf. Das liege auch daran, dass nicht mehr fast ausschließlich Männer tätig sind. Viele Frauen treten auf den Plan und mischen die Humorkunst auf. Gusenbauer nennt eine Reihe von Namen: hiesige Künstlerinnen wie Stefanie Sargnagel, internationale Positionen aus dem Artist-in-Residence-Programm des Museums, Gewinnerinnen des letzten Sokol-Preises für digitale Karikatur, kritische Zeichenkunst und Satire wie Nadia Khiari, die ihre politische Meinung in Tunesien mit Bildern voll schwarzem Humor und Katzen statt mit kompromittieren-den Charakteren äußert.

Einen Trend zur Diversifizierung bei Comics beobachtet auch Comicforscherin Katharina Serles. Marginalisierte Gruppen tauchen nicht mehr nur als Stereotype auf, sondern mit eigenen Stimmen. Die Germanistin und Mitgründerin der Österreichischen Gesellschaft für Comic-Forschung und -Vermittlung, arbeitet gerade an einem Forschungsprojekt, aus dem dieses Jahr eine allgemein zugängliche Datenbank hervorgehen soll: „Visualitäten von Geschlecht in deutschsprachigen Comics“, so der Arbeitstitel, sammelt, verschlagwortet und analysiert deutschsprachige Werke. Besonders bei Comics fallen viele Frauen mit feministischen Zugängen auf, erzählt sie: etwa Katja Klengel mit „Girlsplaining“ oder Anke Feuchten-berger und Katrin de Vries mit der Trilogie rund um die „Hure H“.

Stereotype verlernen: Das geht absolut.

Sexy Lamp Test

Die bärenstarke Lady Heumarkt raucht und trinkt, neben ihr versinkt die magere Figur des akkurat gescheitelten Bürokraten in seinem grauen Anzug, die Blicke zieht das blaue Donauweibchen als kurvige Nymphe auf sich. Die „Austrian Superheroes“ nach den US-Vorbildern Marvel und DC sind ein Beispiel, wie Darstellungen diverser Stereotype aber fortgesetzt werden. Die „Austrian Superheroes“ mit ihren optischen Unzulänglichkeiten brechen mit Heldenklischees, gleichzeitig ist das Donauweibchen eine typische Sexbombe. Sexualisierung ist eines der Stereotype, die Serles im Team derzeit untersucht: „Frauen werden hypersexualisiert und brutalisiert.“Im Videogespräch erklärt sie, dass bei Tests zur Repräsentation von Frauen auch heute nach wie vor viele Comics durchfallen: wenn weibliche Figuren durch Lampen ersetzt werden können wie beim „Sexy Lamp Test“, wenn Brüste und Gesäß gleichzeitig sichtbar sind wie bei der „Broke Back Pose“. Subversion, die Stereotype aufbricht, steckt für sie bei Comics in der Selbstermächtigung, Bildfolgen querzulesen. Immerhin mache Humor „mit gewisser Leichtigkeit kritische Themen zugänglich“. Maryam Laura Moazedi ist sich jedenfalls sicher: „Stereotype verlernen, das geht absolut.“ Im Karikaturmuseum könnte sich demnächst zeigen, wie. ● ○