Maria Happel
Reinhard Werner / Theater Akzent
Maria Happel

Maria Happel

Energiebombe


Wenn sie in einem Theaterstück auftritt, kann kaum etwas schiefgehen: Allein, dass man einen ganzen Abend lang Maria Happel beim Schauspielen zusehen durfte, rettete schon so manche Inszenierung. Die Schauspielerin, 1962 im deutschen Spessart geboren und mit Preisen wie dem Nestroy oder der Romy geehrt, ist Ensemblemitglied des Burgtheaters und stand bereits auf vielen anderen Bühnen, darunter das Berliner Ensemble, das Schauspielhaus Graz und das Theater Akzent in Wien. Zudem dreht sie für Film und Fernsehen und unterrichtet am Max Reinhardt Seminar. Im Vorjahr wurde sie zur neuen künstlerischen Leiterin der Festspiele Reichenau ernannt. Grund genug, ihr dieses Special zu widmen. Als neue Chefin setzt sie eigene Akzente, ohne dabei die Tradition der Festspiele zu verleugnen. Der Energiebombe gelang es sogar, den legendären einstigen Burgtheater-Prinzipal Claus Peymann – für Reichenau hatte er bisher eher Schimpftiraden übrig – zu engagieren. Weiters am Plan: Inszenierungen von Anton Tschechows „Die Möwe“, Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“ sowie Carl Zuckmayers

„Des Teufels General“. Mehr dazu unter theaterreichenau.at.

Maria Happel
Monika Saulich
Maria Happel

Maria Happel

Nehmt euch nicht so wichtig


Maria Happel, Schauspielerin und künstlerische Leiterin der Festpiele Reichenau, sprach mit Schriftsteller Thomas Sautner über den Nutzen von Lackschuhen sowie Pölstern unterm Hintern und den Humor in humorlosen Zeiten.

Sie spielt im Burg- und im Akademietheater, in TV-Krimiserien und Spielfilmen, führt Regie, leitet das legendäre Max Reinhardt Seminar sowie künstlerisch nun auch die Festspiele Reichenau. Sie bezeichnet sich selbst als „Laufmeter“, gilt vielen als Ulknudel, findet es aber überhaupt nicht witzig, wenn ihr ob der vielen Engagements und Jobs Ämterkumulation vorgeworfen wird. Max Reinhardt habe seinerzeit neun Theater gleichzeitig geleitet, da sei also noch Luft nach oben. Sie habe auch um keine dieser Positionen gebettelt, habe bloß jahrzehntelang hart gearbeitet. Und ihre Verbindungen zu Bühnen, Fernsehen und den Festspielen setzte sie nicht für sich, sondern für ihre Schauspielschüler und -schülerinnen ein. „Synergien der Vernetzung nennt sich das wohl“, sagt sie und lacht dann doch wieder, schallend und in Mezzosopran.

morgen: Die Schuhe. Beim Rollen-unterricht im Max Reinhardt Seminar fangen Sie gerne damit an.

Maria Happel

:

Stimmt, für mich gehören Schuhe zu den wichtigsten Utensilien beim Finden eines Charakters, weil sie sofort eine Haltung verändern.

Und was sagen unser beider Schuhpaare nun über uns und die Rolle, die wir heute spielen?

Ich bin ja für meine High Heels bekannt, heute habe ich aber die be-quemere Variante gewählt und bin nun sehr dankbar für diese erhöhten Ballerinas. Erstmals trug ich sie, als ich eine Anwältin spielte. Sie vermitteln Stil und sind dennoch bequem.

Sie sehen gar nicht bequem aus. Welche wären denn richtig bequem?

Turnschuhe. Aber die nehme ich nur, wenn ich laufe. Wobei – Maria Happel fällt in ihr Mezzosopran-Lachen – eigentlich laufe ich ja nie!

Und was lesen Sie an meinen Schuhen ab? Was spiele ich für eine Rolle?

Sie sind eher ein Langstreckenläufer. Mezzosopran-Salve. Nein, wirklich, Ihre Schuhe schauen sehr bequem aus. Sie haben ein gutes Profil,

Und Sie? Was haben Sie sich bei der Auswahl Ihrer Schuhe gedacht?

So ausgefuchst und strategisch also gehen Sie vor!

So ausgefuchst und strategisch kann ich vorgehen! Mezzosopran fortissimo.

Und Sie? Was haben Sie sich denn bei der Auswahl Ihrer Schuhe gedacht?

Gar nix.

Mezzosopran forte.

Ich hab’ die immer an.

Sie müssen ja keine Rolle spielen. Ich zum Beispiel müsste mir jetzt normalerweise ein Kissen unter den Hintern legen, damit ich höher sitze als Sie, das würde schon helfen, strategisch. Eigentlich bräuchte ich sehr viele Kissen. Und das permanent. Ich bin immer kleiner als alle anderen.

In unserer Gesellschaft zeigt sich das Rollen-Spielen derzeit besonders beim Reden. Man muss höllisch aufpassen, was man wie sagt, damit man nicht als politisch unkorrekt gebrandmarkt wird.

Es gibt nur noch einen schmalen Grat zwischen dem, was man sagen darf und wie man es sagen darf. Früher hatten wir das Extrem, dass bei den schlimmsten Übergriffigkeiten bloß mit der Schulter gezuckt wurde, heute aber befinden wir uns im anderen Extrem. Es gibt Sheriffs sonder Zahl, die nur drauf warten, bis jemand etwas sagt, das sie als unkorrekt interpretieren können. Entsprechend vorsichtig und angepasst und seicht und vage werden alle.

Es scheint, als zähle der gute Ton mitunter schon mehr, als das Gute zu tun.

Ja, jeder erzählt, was er sich Tol-les denkt, was er für tolle Meinungen hat, aber die wenigsten tun was.

Was kann Theater konkret Positives bewirken?

Theater ist immer ein Suchen nach dem Wesenskern. Es geht immer um Haltung, darum, die Gesellschaft zu spiegeln, sie zu warnen, ihr Entwicklungen aufzuzeigen. Und es geht auch darum, Lösungsvorschläge anzubieten. Nehmen Sie nur Tschechow oder Shakespeare, das ist Literatur, die über die Jahrhunderte immer anwendbar bleibt. Prospero, den ich gerade in Shakespeares „Der Sturm“ spiele, sagt im Prolog: „Ich möchte auf dieser Insel eine Gesellschaft von Versöhnten gründen. Frei und mit Behagen wollen wir dann auf dieser Insel leben. Wenn der Versuch der Besserung gelänge, wer weiß, er änderte den Lauf der Welt.“ Kunst zeigt also oft Visionäres auf. Und je schrecklicher die Wirklichkeit ist, desto mehr braucht es Visionen auf einer Bühne, die uns neue Räume eröffnen.

Wurden Sie auch deshalb Schauspielerin?

Als Jugendliche waren meine Ansprüche nicht so hoch. Bei uns in der Schule gab es einen Kalender mit Texten drauf. Einer war von Max Reinhardt: „Ein Schauspieler ist ein Mensch, dem es gelungen ist, die Kindheit in die Tasche zu stecken und sie bis an sein Lebensende darin aufzubewahren.“ Genau das wollte ich auch, nicht mehr und nicht weniger.

Und warum sind Sie heute Schauspielerin?

Es befähigt mich, wunderbare Texte zu sprechen und sie den Menschen mitzugeben. Die Kraft der Gedanken ist eine große. Friede, Humanismus, Humor. Was man spielend denkt und spricht, verändert – einen selbst und mitunter auch das Publikum.

Was Max Reinhardt seinen Schauspielschülern und -schülerinnen geraten hat, gilt wohl auch für alle anderen Menschen: „Spielen Sie nicht. Seien Sie wahr! Werden Sie wesentlich!“

Nur so zu tun, als ob, funktioniert letztendlich weder im Leben noch auf der Bühne.

Eine Schauspielschülerin erzählte mir, dass sie durch das Schlüpfen in unterschiedlichste Charaktere zu einem offeneren, liberaleren Menschen geworden sei. Ist Schauspiel ein humanistisches Mittel? So wie alle Kunst? Weil einem das, was man aufs Erste als fremd empfindet, plötzlich viel näher ist, als man dachte?

Ja, unbedingt. Oft lese ich einen Text und denke, das ist Quatsch, das ist so weit weg von mir. Und dann fange ich trotzdem an zu graben und zu schürfen und stelle mit einem Mal fest, oh, das ist ja hoch span-nend, das hat ja viel mehr mit mir zu tun, als ich glaubte, aha, noch eine Schublade in mir, von der ich nichts wusste.

Erkenne dich selbst. Die Worte über dem Tempel von Delphi könnten ebenso über jedem Theatereingang stehen, oder? Das Erkennen des Eigenen im Anderen.

Über jede Bühne könnte man das schreiben. Es gilt sowohl für die Schauspieler, die sich während der Proben und der Vorführungen neu entdecken, als auch für die Zuschauer.

Im Burgtheater spielen Sie auch in Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wienerwald“. Darin geht’s um die Jagd nach dem Glück. Wie geht’s Ihnen denn privat damit? Oder jagen Sie nicht?

Nach dem Glück?

Ja.

Ich bin gerne selbst Fortuna. Bin gern das Glück. Ich hab’s nicht im-mer, aber ich gebe es sehr gerne wei-ter. Ich habe viel davon in Reserve, da ich in meinem Leben unheimlich viel Glück gehabt habe.

Sie galten als schlechte Schauspielschülerin.

Ich war eine gute Schauspielschülerin, aber einige dachten, ich sei eine schlechte. Vorwiegend deshalb, weil ich Dialekt sprach und es gar nicht bemerkte. Ich dachte, ich spreche Deutsch. Ich bin ja ein Mädchen vom Land, aus dem Spessart. In meinem Heimatort gab’s kein Theater, und wenn wir den Fernseher aufdrehten, war da nur ein einziger Sender.

Claus Peymann brachte Sie von Hannover nach Wien zum Burgtheater. Der Einstieg wurde Ihnen von vielen der Etablierten nicht leicht gemacht. Warum ausgerechnet eine Deutsche, wurde gefragt. Noch dazu eine aus der Provinz, aus dem hinterwäldlerischen Spessart.

Ich hab’ mir das Burgtheater von der Ferne immer vorgestellt wie eine Festung. Und das war es dann auch. Die Burg. Nomen est omen. Uneinnehmbar.

Aber Sie spielten sich hoch, wurden zum Publikumsliebling. Auch im Fernsehen. Wie wichtig ist es Ihnen, beliebt zu sein?

Natürlich ist es mir wichtig. Ich denke, es ist ein menschliches Grundbedürfnis, geliebt und anerkannt zu werden. Wenn das ausbleibt, setzt ja auch oft Kränkung ein. Ich habe immer versucht, alles richtig zu machen, immer mein Bestes zu geben, freilich auch, um solche Verletzungen zu vermeiden.

Ich nehme an, die Kränkungen in der Hamburger Schauspielschule und in Wien haben Sie geprägt. Was würden Sie angesichts Ihrer Erfahrungen Ihren beiden Kindern raten?

Ich würde den Kindern immer sagen: Lasst euch nicht beirren. Ihr müsst das machen, was euch glücklich macht.

Und ihren Schauspielschülern?

Nehmt euch nicht so wichtig, es ist nur Theater.

„Nur Theater“ ist auch Reichenau. Die Festspiele haben das Image, gefällige Unterhaltung zu bieten, ein wenig K.-u.-k.-Flair mit Blick auf die Rax, ein harmlos heiteres Ausflugsvergnügen für die Wiener Gesellschaft. Kurzum: mehr Festspiel als ernst zu nehmendes Theater.

Ich kenne das Image. Von einem Tag auf den anderen werde ich dem Tanker keine neue Richtung geben. Und ich will auch das Stammpublikum nicht verprellen. Aber wir werden die Stücke durch Verweise auf politische und gesellschaftliche Aktualitäten bereits in dieser Spielzeit auf eine neue, höhere Ebene heben. Auch der Krieg in der Ukraine wird Eingang finden.

Ich habe mir das Burgtheater immer vorgestellt wie eine Festung.

Im November 1938 schrieb Max Reinhardt: „Ich glaube, dass alles, alles einen Sinn hat. Aber ich kann ihn nicht herauskriegen, so sehr ich darum kämpfe.“ Heute gibt es wieder einen Diktator in Europa und wieder Krieg. Haben Sie eine hilfreiche Idee dazu und hat Humor überhaupt noch Platz in solchen Zeiten?

Das Leid der Menschen in der Ukraine ist unvorstellbar. Das ein-zig Tröstliche ist der Friedensgedan-ke. Dass man zumindest im Kleinen hilft und in seinem Umfeld immer mehr Inseln des Friedens schafft. Und zum Humor: Die beiden klassischen Masken des Theaters, die weinende und die lachende, gehören auch dieser Tage zusammen, sie sind nicht voneinander zu trennen. Gerade in so furchtbaren Zeiten brauchen wir das Lachen, sonst verzweifeln wir.

Nach dem Gespräch mit Maria Happel bat die Fotografin Monika Saulich sie um Porträtaufnahmen und fragte, ob es möglich sei, fröhliche Aufnahmen zu machen. Maria Happel lieferte prompt, ging in Pose und lachte, lachte offen und scheinbar oder tatsächlich so, wie jemand nur zu lachen vermag, der pur und von Herzen lacht. Ich sagte sinngemäß und eher Richtung Monika Saulich als zu Maria Happel, dass Humor doch auch tiefgründige Seiten habe und zum Thema ebenso ein weinendes wie ein lachendes Gesicht passe. „Es sind die beiden Seiten des Menschen“, sagte Maria Happel, „Komödie, aber auch Tragödie“.

Ihre Augen wurden daraufhin traurig und trauriger. Und schließlich weinte Maria Happel. Weinte inniglich. Weinte vor der Kamera. Für mich blieb unentschieden, ob es die Schauspielerin Maria Happel war, die tieftraurig war oder zudem die Frau darunter, die von etwas Unsagbarem berührt worden war. Ich schaffte es nicht, zuzusehen.

Die weinende und unmittelbar daneben die lachende Maske, Tragödie und Komödie – seit der Antike Sinnbild des Theaters. Melpomene, die Trauernde, und Thalia, ihre lachende Schwester. Melpo mene, so heißt es, habe über die Zeitenläufe hinweg allzu viel Unglück und Leid gesehen und helfe den Menschen mittels ihres Bildes, den richtigen Weg zu finden, damit letztlich das Gute siege. Melpomene, die Trauernde, und Thalia, die Lachende. Im Grunde wünschen sie sich dasselbe. Im Grunde sind sie eins.

Nach dem Fotoshooting verließen wir den Wintergarten des Max Reinhardt Seminars und gingen ins Freie. Letzte Szene: Maria Happel zieht sich die Schuhe aus, die angeblich bequemen Schuhe der Anwältin. Sie läuft bloßfüßig über die Wiese. Und nun bin ich mir, anders als zuvor, völlig sicher: Nicht „die Happel“ läuft hier barfuß durchs Gras, nicht die Intendantin, die Regisseurin und auch nicht die Schauspielerin. Maria Happel ist es. Nur sie. Sie strahlt, über und über, aus einem plötzlich wie um Jahrzehnte verjüngten Gesicht. In diesen Momenten, so scheint es, hat das Mädchen aus dem Spessart vergessen, wer sie alles geworden ist. In diesen Momenten muss sie keine Rollen spielen, nichts leisten, um zu bestehen. In diesen Momenten ist sie einfach. Sie ist! Fortuna. ● ○

Spaß an der Darbietung: Maria Happel und Sarah Viktoria Frick in „Geschichten aus dem Wiener Wald“, Burgtheater
Matthias Horn
Spaß an der Darbietung: Maria Happel und Sarah Viktoria Frick in „Geschichten aus dem Wiener Wald“, Burgtheater

Witzige Frauen

Klischeebrecher


Wie der Schmäh Geschlechterstereotype am Theater demontiert. Und warum Maria Happel dazu Wesentliches beiträgt.

Irgendwann landet Marianne, eines der vielen „süßen Wiener Mädeln“ des österreichisch-ungarischen Dramatikers Ödön von Horváth, die keinen Platz im Leben finden, nackt als Tableau vivant in einem Varieté. Meist wird das eindeutig erotisch gedeutet. Sie zieht sich für ältere, gut betuchte Herren aus.

Der niederländische Regisseur Johan Simons und sein Ensemble legen diese berühmte Szene aus „Geschichten aus dem Wiener Wald“ im Burgtheater überraschend neu an: Maria Happel als resolute Nachtklubbesitzerin und Sarah Viktoria Frick als Marianne machen daraus eine aberwitzige expressionistische Performance und entfremden Symbole des Patriarchats ironisch. Sie cremen sich gegenseitig ein, zerbröseln eine Zigarre und kleben sie sich dann als falschen Bart ins Gesicht. Die beiden sind keine erotischen Projektionsflächen. Und sie haben sichtlich Spaß an ihrer schrägen Darbietung.

Wie zeigt man Unterdrückung, ohne sie auf der Bühne zu wiederholen? Wahrscheinlich eine der zentralen Fragen des Gegenwartstheaters. Horváth dekliniert in seinem artifiziellen Volksstück knallhart durch, wie einer jungen Frau, die der kleinbürgerlichen Welt entfliehen möchte, das Genick gebrochen wird. „Du wirst meiner Liebe nicht entkommen“, droht der Fleischer Oskar seiner Braut, als sie ihn wegen einem anderen verlässt. In den meisten Inszenierungen weiß Marianne gar nicht, wie ihr geschieht – sie torkelt eher passiv von Unheil zu Unheil. In der aktuellen Burgtheater-Fassung dagegen ist Sarah Viktoria Frick eine famos rebellische Marianne, mehr Spielemacherin als Spielball. Von Beginn an agiert sie selbstbewusst und störrisch. Und wenn Maria Happel als Chefin des Nachtklubs die Bühne betritt, dann nimmt sie den ganzen Raum ein. Ihre rauchige Stimme ist dominant, jeder weiß sofort: Besser, man legt sich nicht mit ihr an. Das könnte ungemütlich werden.

Leichte Unterhaltung?

„Geschichten aus dem Wiener Wald“ ist zwar keine Komödie, aber in dieser Inszenierung zeigt sich deutlich, dass Humor Klischees brechen kann. Marianne strippt nicht, sie macht feministische Kunst. Sie verdirbt der männlichen Kundschaft im Etablissement die Stimmung. Die Regie hat in dieser heiklen Szene bewiesen, dass ein neuer, zeitgemäßer Blick für einen alten Stoff diesen nicht verraten muss. Das ist ein großes Kunststück.

Die Tragödie ist im Theater noch immer die Königsdisziplin. Komödien haben es schwer, sie werden nicht ernst genommen und als leichte Unterhaltung abgestempelt. Dabei kann gerade ein komödiantischer Zugang durch das Überspitzen einer Situation viel besser den Finger in Wunden legen. Er kann aufklären, ohne rechthaberischen Gestus. Gute Komödien sind subtil und angriffslustig gleichzeitig. Man lässt heikle Themen leichter an sich heran, wenn sie mit Schmäh daherkommen. Über die Hintertür Humor setzt man sich womöglich mit Dingen auseinander, die man sonst verdrängt oder auf Distanz gehalten hätte.

Andererseits gibt es aber nicht nur eine Art von Humor. Das zeigt sich gerade in der Debatte um Kabarettstars wie Lisa Eckhart. Der Humor hat die vermeintliche Unschuld verloren, die er ohnehin nie hatte. Wer Witze macht, muss sich überlegen, in welche Richtung ausgeteilt wird. Ist es okay, auf Schwächere loszugehen, oder sollte Satire die Mächtigen der Welt angreifen? Tritt man nach unten oder nach oben? Oder einfach in alle Richtungen? Darf man als weiße Frau über People of Color Scherze machen? Im Kabarett fördert diese Diskussion spannende Überlegungen ans Tageslicht, die man auch auf andere Kunstsparten übertragen könnte.

Stereotype Geschlechterbilder

„Wir müssen uns fragen, auf wessen Kosten gelacht wird“, sagt Regisseurin Bérénice Hebenstreit, die sich intensiv mit Geschlechterrollen am Theater befasst. „Für mich ist einer der zentralen Diskussionspunkte im Theater: Wann stabilisiert Humor gesellschaftliche Verhältnisse? Und wann greift er sie an?“ Klassische Komödien reproduzieren oft stereotype Geschlech-terbilder: Da gibt es die keifende, betrogene Ehefrau und den Mann, der raffiniert alles daransetzt, seine Seitensprünge zu verdecken. Überhaupt werden im Theater Frauen oft über den handelnden Mann definiert, sie sind Tochter, Mutter, Ehefrau oder Geliebte. Ihr Handlungsspielraum ist sehr eingeschränkt. Ophelia geht ins Wasser, Medea tötet ihre Kinder, Antigone wird geopfert. Das steht so im Stück, trotzdem stellt sich die Frage: Wie inszeniert man es, ohne Frauen von vornherein als Verliererinnen zu zeigen? „Für mich geht es darum, dass Widerstand sichtbar gemacht wird. Und man nicht einfach die Ohnmacht von Frauenfiguren zeigt. Das ist meiner Meinung nach auch ein vereinfachtes Bild von Historie: Es gab immer alternative Geschichten, Frauen, die aufbegehrt haben. Das geht manchmal aber nur mit einem neuen Text“, betont Hebenstreit.

Zeitgenössische Dramatikerinnen suchen nach anderen Rollen für Protagonistinnen auf der Bühne. Die Berliner Autorin Felicia Zeller etwa zeigt in ihrer Komödie „Bier für Frauen“ (2000), dass Schauspielerinnen im Theater auch betrunken und derb agieren können. Sie drängen sich ungeniert in den Vordergrund und machen peinliche Dinge. Sie erzählen schlechte Witze statt sich auslachen zu lassen. Bei den bösen Kalauern von Elfriede Jelinek bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Humor kann eine feministische Waffe sein, die gängige Verhältnisse persifliert, zeigt, was falsch läuft in unserer Gesell-schaft. Und in unserer Sprache, die man nur ein wenig verbiegen muss, um zu erkennen, wie viel Gewalt und Unterdrückung in ihr steckt.

Es gab immer alternative Geschichten, Frauen, die aufbegehrt haben.

Komödiantische Supermacht

Aber es muss nicht immer negativ sein. Auch Lebensfreude und Komik passen gut zusammen, das kann für Selbstermächtigung stehen. Viele Rollen von Maria Happel, die das Fachmagazin Bühne als „komödiantische Supermacht des Burgtheaters“, der Wiener Falter als „Königin der Komik“ bezeichnete, beweisen das. Happel spielte im komödiantischen Fach schon viele Stücke – von Elfriede Jelinek über Thomas Bernhard bis hin zu Johann Nestroy. Ihr explosives Lachen stellt automatisch Herrschaftsverhältnisse infrage. Bei der Komödie geht es oft auch darum, sich einfach Raum auf der Bühne zu nehmen, auch mal allein dazustehen und über die Welt zu reflektieren. Happel macht sich nicht unnötig klein, ordnet sich nicht unter. Wenn es die Rolle zulässt, kommuniziert sie sehr direkt mit ihrem Publikum. Über Humor stellt sie eine große Nähe her.

Die Kraft der Selbstironie

Trotzdem hat der Humor auf der Bühne auch einen Haken. Lange gab es im Theater eine Besetzung nach Typen: die naive Junge, die böse Alte, und die Lustige, die meist nach herkömmlichen Kriterien einfach nicht schön genug für die großen Rollen war. Auch Maria Happel sagt in der Bühne: „Ich war immer ein Typ. Nicht hübsch im klassischen Sinn, sondern, das, was man in Wien ‚rassig‘ nennt.“ Eine typische Happel-Pointe, die sitzt. Selbstironie, um das System mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen. Gleichzeitig sagt die Schauspielerin aber auch: „Als Typ braucht man keine Angst vor dem Alter zu haben! Damit müssen sich die Schönheiten rumplagen.“ Auch Schönheiten haben nichts zu lachen. Wieder eine Happel-Pointe.

Im Theater galten vor nicht allzu langer Zeit noch sehr altmodische Gesetze: Wer dick ist, ist automatisch lustig. Und wird auch nur so besetzt. In der Popkultur und Mode wird sogenanntes Fat-Shaming längst angeprangert, Body Positivity gefeiert. Das schwappt zum Glück auch in andere Bereiche über. Das Bild von Frauen im Theater hat sich im letzten Jahrzehnt massiv verändert. In vielen Performances wurden Laiinnen und Laien eingesetzt, auch im Stadttheater sehen die Akteurinnen und Akteure nicht mehr zwangsläufig perfekter, schöner und edler aus als wir selbst. Sie haben Ecken und Kanten wie wir. Das Theater nimmt Diskurse auf, oft ohne sie an die große Glocke zu hängen. So bleibt es lebendig und hält uns einen Spiegel vor. Wenn wir darin über uns selbst lachen können, dann ist schon viel gewonnen. ● ○