Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser!


Humor trägt dazu bei, sich von sich selbst zu distanzieren.

Kann man in Zeiten, da in Europa ein fürchterlicher Krieg herrscht, ein Heft über den Schmäh machen? Diese Frage stellte sich, als sich am 24. Februar so viele Fragen neu zu stellen begannen. Die großartige Maria Happel, als Schauspielerin abonniert auf das Fach Witz und Humor, sagt im Interview mit dem Schriftsteller Thomas Sautner ab Seite 32: „Gerade in so furchtbaren Zeiten brauchen wir das Lachen, sonst verzweifeln wir.“ Im Vorjahr übernahm sie die Leitung der Festspiele Reichenau, die nun verstärkt auf politische und gesellschaftliche Aktualitäten wie eben den Ukrainekrieg reagieren werden, wie sie ankündigte. Grund genug, dem umtriebigen Bühnenstar ein Special zu widmen. Dass gerade jetzt der Humor nötig sei: Das sagen einige der Personen, mit denen wir für dieses Heft sprachen. Der Schmäh befördert das, was man gemeinhin mit dem Begriff „Ambiguitätstoleranz“ bezeichnet. Im Moment erscheint diese als besonders wichtig. Das war bereits eine Lehre aus der Pandemie, und sie zeigt sich auch in der aktuellen Situation, die so viele überrascht hat und in der weite Teile der Kulturszene vor der Frage stehen, wie sie damit umgehen können. Humor trägt dazu bei, sich von sich selbst zu distanzieren. Die eigenen Standpunkte zu hinterfragen. Aber auch: die Mächtigen anzugreifen. In der ukrainischen Serie „Diener des Volkes“ – abrufbar in der Arte-Mediathek – agierte der nunmehrige Präsident Wolodymyr Selenskyj einst als Geschichtelehrer, der mehr oder weniger zufällig Präsident der Ukraine wird – welche Ironie der Geschichte! Es ist eine beißende und unfassbar witzige Satire, die Marionettenpolitiker und -politikerinnen ebenso aufs Korn nimmt wie finstere Mächte – sprich: Oligarchen und den russischen Präsidenten – im Hintergrund. Schon Hannah Arendt notierte, dass nichts die Autorität der Mächtigen so unterlaufe wie das Lachen über sie. Darüber schreibt die Philosophin Cornelia Mooslechner-Brüll in ihrem Essay. Das emanzipatorische Potenzial des Humors – das ist ein Thema, das sich durch dieses Heft zieht. Bei dessen Lektüre wünsche ich Ihnen viel Freude. ● ○

Herzlichst

Ihre Nina Schedlmayer