Ich bin ein Mensch, der mehr Licht als Schatten sieht, doch im Moment sehe auch ich keine gute Perspektive für Europa und die Welt. Dieser abscheuliche Krieg ist eine Tragödie, besonders für die Menschen in der Ukraine, aber auch für uns alle, denn in der ganzen Welt werden Menschen unter den Folgen wie Hunger, Gas- und Ölknappheit leiden. Dabei wurde in Russland seit dem Fall des Eisernen Vorhangs in einem Zeitfenster von rund 30 Jahren der Hauch eines europäisch-demokratischen Gedankens gelebt.
Ich deklarierte mich vom ersten Tag an gegen den Krieg – mit dem Risiko, nie wieder nach Russland eingeladen zu werden. Sanktionen sind wichtig, wenn sie dabei helfen, Krieg und Leid zu beenden. Doch das heißt nicht, dass wir auch russische Kunst und Kultur verbannen sollten. In Polen wurde ich gebeten, keine russischen Komponisten in meine Programme zu nehmen. So etwas halte ich für sehr gefährlich. Wenn wir ein ganzes Land in einen Topf werfen, bedeutet das einen großen Verlust kultureller Vielfalt.
Warum dürfen wir keinen Schostakowitsch spielen, der ein großer Kritiker Stalins war? Und was hat Tschaikowsky mit Putin zu tun? Diese genialen Künstler haben aus ihren Herzen komponiert, nicht aus einer politischen Gesinnung. Natürlich braucht es Sensibilität. So lud ich zum Herbstgold-Festival ein ukrainisches Jugendorchester ein, mit dem wir keine russischen Komponisten spielen. Prinzipiell haben wir aber russische Musik im Programm. Die russische Kultur ist so reichhaltig. Und nur in der Vielfalt kann etwas Neues entstehen.