Wer an einem strahlend sonnigen Frühjahrstag den Sonnenpark, Spratzerner Kirchenweg 81–83, 3100 St. Pölten, betritt, wird von einer einnehmenden Ruhe begrüßt. Am verwinkelten Areal sind vereinzelt Stimmen zu hören, die dazugehörigen Personen bleiben noch verborgen. Erst nach und nach dringt man mit schweifendem Rundumblick vor zu den belebten Winkeln und Objekten jener Location, die in grüner Idylle seit gut 20 Jahren die lokale Subkultur beheimatet und nährt. Hier, wo kürzlich die beiden Vereine Sonnenpark und Lames (ein Akronym für die Wortgruppe „La musique et sun“, „Die Musik und Sonne“) fusionierten, wird gerade geackert – nach einem Aufatmen. Denn zum ersten Mal in der Geschichte der hier angesiedelten Initiativen haben sich neue Perspektiven eröffnet, hin zu mehr Planungssicherheit: 2018 unterschrieben die Verantwortlichen einen offiziellen Pachtvertrag auf zehn Jahre. Bis Frühjahr 2023 sollen nun erste substanzielle Renovierungsarbeiten abgeschlossen sein. Dann wird der Sonnenpark, naturnahes Epizentrum für St. Pöltens Subkultur, das ganze Jahr über bespielt.
Lames
Subkultur am Kirchenweg
Der Kulturverein Lames in St. Pölten kann nach Dachbränden, Räumungsversuchen und Anknüpfungsschwierigkeiten aufatmen: Der Verbleib vielfältiger Initiativen auf dem über die Jahre organisch gewachsenen Gelände ist vorerst gesichert. Nach über 20 Jahren Subkultur-und Bildungsarbeit stellt sich die Frage: Wie geht es weiter?
Ausbruch
Unter Vogelgezwitscher finden sich Serena Laker, Markus Weidmann und Andi Fränzl im schützenden Schatten eines großen Baumes zwischen den Häusern mit den Nummern 81 und 83 ein. Fränzl und Weidmann waren bereits 1995 Teil der Vereinsgründung, damals noch im leerstehenden Gebäude der ehemaligen Malerei Frostl, die im Besitz der Stadt waren: „Das war der Ausbruch aus dem tristen Kleinstadtdasein“, erinnert sich Andi Fränzl, der mit seiner Band Bauchklang in den frühen Nullerjahren seine ersten Amadeus Music Awards gewann. Laker ist seit 2018 Geschäftsführerin des Vereins Lames und pendelt seither von Wien aus nach St. Pölten. Gemeinsam zeichnen sie die Geschichte des organisch gewachsenen Ortes und seiner vielen positiven und negativen Meilensteine nach. Denn wo heute künstlerische Details und landschaftsplanerische Konzepte den Raum füllen, war am Anfang Brache und Überwucherung. 2006 fand hier das erste Kultursymposion „Parque del sol“ statt, das die NÖN, die Niederösterreichischen Nachrichten, zu „Sonnenpark“ eindeutschten. Schmunzelnd nahm man diesen Namen an, der fortan den als Nachbarschaftsinitiative konzipierten Verein rund um die Gestaltung, Pflege und Erweiterung der Grün- und Naturflächen bezeichnete.Doch im Laufe der Zeit verdunkelten immer wieder düstere Wolken das rege Treiben im Sonnenpark: Ein Kabelbrand in Haus 83 zerstörte das Obergeschoß und die 300 Platten starke Vinylsammlung von Fränzl. Daran erinnert noch eine verkohlte, aber schmückend inszenierte C-Seite von Elvis Presleys „Elvis“ an der Fassade der Außenbar von Haus 81 direkt gegenüber. Letzteres wuchs organisch an die Kulturinitiative heran – man nutzte es ohne große Absprache mit der Stadt als Lagerraum. 2015 stellte schlussendlich das wohl heißeste Jahr für die Vereine dar: „Da dachten wir, jetzt werden wir endgültig geschliffen.“ Dort, wo zuvor Bands probten und auftraten, wo die Jugend auch aus dem Umland anreiste, um Nächte durchzufeiern, und ein subkulturelles Substrat entstanden war, sollten Wohnungen gebaut werden. Der Standort Sonnenpark war bereits an eine Genossenschaft verkauft. Die behördliche Räumung drohte.
Wie können wir unsere Ästhetik behalten?
Die Kampagne „Sonnenpark bleibt!“ war die Rettung. Unterstützung kam von der regionalen Kunst-und Kulturgemeinschaft, gut 3.000 Unterschriften der St. Pöltner Bevölkerung und sogar der Stadt-ÖVP. Der Kauf wurde rückgängig gemacht. Seither bespielten die Vereine hauptsächlich die warmen Sommermonate in den gut gealterten Häusern und deren grünem Umfeld. Fränzl resümiert: „Uns war klar, dass es hier zu besonders ist, um zu gehen. Wir hatten gutes Sitzfleisch und waren stets davon überzeugt, dass dieser Ort für Besseres genutzt werden kann als für Wohnbau.“
50.000 Quadratmeter
Was das konkret bedeutet, zeigt sich bei einem Spaziergang über das weitläufige Gelände. Täglich von sechs bis 22 Uhr öffentlich zugänglich, erstrecken sich im Sonnenpark auf rund 50.000 Quadratmetern Kunst, Kultur, Natur und Bildungsangebote in Form von Gemeinschaftsgärten und -küche, Proberäumen und Clubraum, einem offenen Bücherschrank, einem Raum für kostenlosen Kleidertausch, einer Foodsharing-Kühlzeile, einem Stock Honigbienen, Vereinsbüros, des mobilen Stadtlabors der TU Wien und vielen weiteren bespielbaren Ecken. Selbst die Fassaden bleiben nicht ungenutzt: Bei den sogenannten Kunstjams lädt man bildende Künstlerinnen und Künstler für ein paar Tage und Nächte in den Sonnenpark ein, um Wände innen und außen als überdimensionale Leinwände zu bearbeiten. Die Möglichkeiten erscheinen also endlos. Nach und nach zeigt sich an diesem Frühjahrstag reges Treiben: Eine Familie jätet Unkraut, der Hund schaut vom Schatten aus zu. Ein Mann genießt seine Mittagspause in einem natürlichen Pavillon aus Büschen und versteckt sein Fast-Food-Sackerl, als Fränzl ihn für ein Foto ins Visier nimmt. Der Leiter des Klimaforschungslabors kommt vorbei, auf der Suche nach zwei Kindern einer Schulklasse: Dieser hat er gerade erklärt, wie Wasser im Boden versickert. Freilich gestaltet sich die Arbeit hier alles andere als einfach. Und gerade in Zukunft wird noch einiges anfallen: „Mit der Vertragsunterzeichnung 2018 begann die Professionalisierung. Da gingen viele Pflichten auf uns über“, so Weidmann. Zum Beispiel: Absturzsicherungen anbringen. Geländer errichten. Überwachen, ob Bäume am Gelände dahinmorschen. Ein Rattenschwanz, so Weidmann. Doch trotz der neuen Aussichten auf mehr Verpflichtungen, trotz eines Facelifts möchte Fränzl den Do-it-yourself-Spirit nicht aufgeben: „Mich beschäftigt die Frage, wie wir trotz der Wahrnehmung unserer Verantwortung und einer gewissen Erneuerung unsere Ästhetik behalten, den Re-Use-Gedanken hochhalten können, damit es nicht so schrecklich glatt ausschaut wie auf manchen Architektur-Renderings.“ Serena Laker ergänzt: „Wenn wir die einen nun zahlen, fragen sich unsere ehrenamtlichen Mitglieder, warum sie noch gratis hackeln sollen. Wir müssen uns jetzt genau überlegen, wen wir wo wie involvieren können.“ Es sind derzeit immerhin über 60 Menschen, die aus den beiden fusionierten Vereinen Sonnenpark und Lames nun zusammenkommen. Die Organisation nach den Prinzipien der Soziokratie – also mit Hilfe von Arbeitskreisen, die basisdemokratisch nach dem Konsensprinzip entscheiden – ist dabei nicht immer von Vorteil. Allein die Namensfindung für den neuen Verein habe anderthalb Jahre gedauert, illustriert Laker leicht kopfschüttelnd.
Wir müssen genau überlegen, wen wir wo wie involvieren können.
Pingpong-Verfahren
Neben der internen Kommunikation wird es zukünftig wohl auch wichtig sein, weiterhin nach außen zu kommunizieren und die Bevölkerung der Landeshauptstadt von den Ideen des Sonnenparks zu überzeugen. Als Laker die Geschäftsführung übernahm, überraschte sie eine lokale Publikation in einem Kommentar damit, dass die Sonnenpark-Community als hochschwellig und elitär gelte. Davon will sie sich aber nicht den Blick in die Zukunft trüben lassen; die Transformation sei nun in vollem Gange. Mit den Renovierungsarbeiten der kommenden Jahre will der Verein das Community-Building erleichtern: mit mehr Raum zur Mitgestaltung. Da große Teile der Jugend zum Studieren nach Wien abziehen, kämpfen die meisten Vereine in Niederösterreich mit Nachwuchsproblemen.Die Lames-Leute lassen sich davon nicht demotivieren und setzen alles daran, Jüngere zu begeistern – etwa mit einem Sound-Lab, mit Probe- und Studioräumen sowie DJ-Workshops speziell für Frauen: „Sonst kriegst du keine Frauen aus St. Pölten, die Musik auflegen, sondern musst sie aus Wien holen“, meint Laker.Um diesen Anspruch mit einer durchdachten Raumnutzung zu verbinden, kooperierte das Sonnenpark-Team mit der TU Wien – genauer mit der Professur und den Studierenden des Design Build Studios. Im Pingpong-Verfahren tauschten die Vereinsmitglieder ihre Visionen mit dem Rat der Expertinnen und Experten aus, um schlussendlich zu einem Konzept zu gelangen, das auch Stadt, Land und Bund überzeugte, wertvolle finanzielle Zuschüsse zu leisten. Kunstschaffende und Community supporten mit Werken, Arbeitskraft und Sachspenden – eine große Unterstützung für die ambitionierten Pläne. Doch letztlich braucht es für eine Renovierung Geld: 130.000 Euro muss der Verein selbst aufstellen. Nur mit dieser Summe lassen sich die Objekte so renovieren, dass sie beheizbar sind – Voraussetzung für die geplante Ganzjahresbespielung. Das dafür angesetzte Crowdfunding lief schleppend an, denn das Geld sitzt nach – besser: während – der Corona-Krise besonders dort nicht locker, wo der Sonnenpark am meisten Anklang findet: in den prekären Strukturen lokaler Subkulturen. „Um wirklich mit einer stabilen Basis normal arbeiten zu können, müssten unsere Budgets eigentlich verzehnfacht werden“, sind sich Fränzl und Laker einig. Nach 20 Jahren darf man am Spratzerner Kirchenweg dennoch zuversichtlich nach vorne blicken. Der Pachtvertrag ist bis 2028 gesichert und die Hoffnung besteht, dass dies lediglich die ersten Früchte langjähriger und langwieriger Kultur- und Vereinsarbeit sind. Auch wenn nach den bisherigen Herausforderungen und Rückschlägen Realismus angesagt ist. Fränzl: „In Zukunft wird sich zeigen, wie wichtig der Gesellschaft ein Ort ist, der organisch gewachsen ist, zivilgesellschaftlich getragen wurde und eine spezifische Qualität hat, die man in großen Häusern so nicht findet.“ Eines hat Lames jedenfalls längst klargemacht: Eine ganzjährige Bespielung dieses so lebhaften Areals mit seinen charmanten Rückzugsecken ist die beste Perspektive. ● ○