Mehr als eine Akteurin: Rita Nitsch beim Sechs-Tage-Spiel, 1998
Archiv Cibulka / Frey
Mehr als eine Akteurin: Rita Nitsch beim Sechs-Tage-Spiel, 1998

Frauenrollen

Mit Stöckelschuhen Türen eintreten


Welche Rolle nahmen Frauen in Hermann Nitschs sinnlichem Werk ein? Der Einfluss von Partnerinnen und Akteurinnen ist nicht zu unterschätzen – auch wenn in der Kunst des alten Meisters Geschlechterrollen keineswegs im Fokus standen.

„Der Nitsch und seine Freunde“ heißt ein beliebtes Buch aus den Nitsch-Apokryphen. „Der Nitsch und seine Frauen“ wäre wohl ein ähnliches, nein, sicher ein schwereres Kaliber. Ob es je geschrieben wird? Ob es überhaupt je geschrieben werden sollte? Ob es in einer Gesellschaft richtig verstanden würde, die sich gerade auf vielen Ebenen in eine Prüderie und ins familiär Konservative zurückentwickelt, gegen das gerade die Wiener Aktionisten in der Nachkriegszeit revoltiert haben? In der es schon wieder seltsam wirkt, wenn man im Freibad oben ohne liegt? Und dann splitternackte Menschen an Kreuzen? Vielleicht wird das arrivierte Werk von Nitsch, von Grund auf ja ein Befreiungswerk, nach seinem Tod noch einmal relevanter und radikaler, als wir es uns vorstellen konnten. Wir werden sehen. 

Nitsch hätte übrigens wohl weniger gegen so ein Frauen-Buch gehabt, als man gemeinhin glauben könnte. Bereitwillig gab er Wissenschaftlerinnen etwa Auskunft über seine frühen Beziehungen, über seine Ehrerbietung seinen drei Ehefrauen oder langjährigen Partnerinnen gegenüber. Gelangte jemand in Not, half Nitsch immer aus, er war ein großer und großzügiger Freund der Menschen (und Tiere). Und viele seiner Frauen waren großzügig ihm gegenüber. Eine Gedächtnistafel an der Mauer des Zentrums seines Lebenswerks gemahnt daran: „Schloss Prinzendorf wurde 1971 von meiner verstorbenen Frau Beate Nitsch für das O. M. Theater erworben. Ihr unermüdlicher Einsatz und ihr Glaube an meine Arbeit verpflichten mich, diese zu verwirklichen.“ Die Münchner Psychologin starb bei einem Verkehrsunfall. Mit seiner 55. Aktion, „Requiem für meine Frau Beate“ in Bologna, gewann erstmals die Musik in seinem Werk die Bedeutung, die sie bis zuletzt haben sollte. Beates Tod setzte ihm schwer zu. Er wusste auch, alleine konnte er den immensen Aufwand, den die Organisation der bis zu sechs Tage umfassenden Aktionen erforderte, nicht schaffen. Zuletzt war es Rita Nitsch, die schließlich seit 1985 alle Hände voll zu tun hatte, eine alles andere als „passive Akteurin“, eigentlich müssten sie als Künstlerpaar im Sinne von Christo und Jeanne-Claude gelten. 

„Strebe Gleichklang an“

Trotzdem: Zuletzt nervte Nitsch sichtlich der zeitgeistige feministische Fokus, der in den vergangenen Jahren immer schärfer auf sein Leben und Werk gerichtet wurde. Verständlich, schien doch hinter diesem der existenzialistische, philosophische Grundgedanke seines seit Jahrzehnten in seinen Nuancen verfeinerten Orgien-Mysterien-Theaters in den Hintergrund zu rücken. Spielten in ihm doch gerade die Geschlechterrollen auffällig wenig Rolle. Man muss sich nur die Verwendung von Akteuren und Akteurinnen darin ansehen – ob ein Mann oder eine Frau nackt auf einer Bahre lag oder ans Kreuz gebunden wurde, ob ein Er oder eine Sie diese Christus-Rolle einnahm, war bewusst nicht ausschlaggebend. Auch wer im Gedärme und Blut wühlt. Manchmal hing es aber auch, vor allem bei der Wahl seiner Mal-Assistentinnen und -Assistenten, eher von den schieren körperlichen Anforderungen, von der Kraft ab, die man aufbringen muss beim Schütten und beim Schleppen der Farbtöpfe und des anderen Materials. Ansonsten sind im Orgien-Mysterien-Theater die Menschen in ihrer Nacktheit oder in ihrer Bekleidung mit einem weißen, rituellen Malhemd bewusst alle gleich: „Ich möchte beide Prinzipien in meiner Arbeit verherrlichen, ich strebe absoluten Gleichklang an“, sagte er dazu. Das Sein, das Nitsch in seinen Aktionen feiern lässt, hat kein Geschlecht. Was zumindest an die anfänglichen Visionen vieler Reformbewegungen seit dem 19. Jahrhundert anschließt, die nach zwei Weltkriegen in den Utopien der 68er-Generation ihre Fortsetzung fanden. Wir wissen, in welche Abgründe das führen, welche kriminellen Auswüchse das annehmen konnte, wie bei Nitschs frühem Aktionisten-Kollegen Otto Muehl.

In Hanel Koeck lernte ich eine schöne, großartige, großzügige Frau kennen.

War Hermann Nitsch also ein verkannter Feminist? Den Bogen in die Kunstgeschichte zurück zu schlagen, um diese Frage zu beantworten, ist jedenfalls interessant. Wurde in jüngster Zeit doch ausgerechnet auch Gustav Klimt als Feminist entdeckt, in der Biografie von Alfred Weidinger etwa – Klimt, der in seinen Zeichnungen den Frauen eine eigene Sexualität zugestand, die ihnen in der damaligen Zeit schlicht abgesprochen wurde, der sich selbst immer mit starken Frauen wie Emilie Flöge umgab, der mit seinen Schwestern und seiner Mutter auf engstem Raum zusammenlebte. Nicht die einzigen Parallelen zu Hermann Nitsch, den man in Bezug auf seinen Einfluss und seine internationale Strahlkraft schließlich als wichtigsten österreichischen Künstler seit 1918, dem Jahr als Klimt und Schiele starben, bezeichnen kann.Nitsch lebte, bis er 25 Jahre alt war, nicht nur bei seiner Mutter, die ihn alleine aufzog, nachdem sein Vater aus dem Krieg nicht zurückgekommen war, sondern er schlief sogar in einem Bett mit ihr. Nahtlos wechselte er dann ins nächste Bett zu seiner ersten Frau Eva Krannich, die den jungen Künstler ebenfalls mit ihrem Brotberuf versorgen musste. Das war übrigens einer von mehreren Gründen dafür, dass viele Partnerinnen der in der Nachkriegszeit schließlich heftig angefeindeten Wiener Aktionisten derart im Hintergrund blieben, auch bei den frühen Aktionen: Sie hätten damit den Verlust ihrer Arbeitsstellen und so das alleinige Familieneinkommen riskiert. 

Ihr unermüdlicher Einsatz und ihr Glaube an meine Arbeit verpflichten mich, diese zu verwirklichen.

Tradierte Doppelrolle 

Wie bei Klimt muss man eben auch bei Nitsch (und seinen Kollegen) ihren Zugang zu Frauen und den Geschlechterrollen aus ihrer Zeit heraus betrachten. Frauen hatten in dieser in Österreich vorfeministischen Zeit nichts zu reden, Anna Brus, die Frau von Aktionist Günter Brus und in ihrem Engagement bei vielen Aktionen eine Ausnahme ihrer Zeit, erinnert sich daran, dass sie erst in ihrem Exil in Berlin in den späten 1960er-Jahren überhaupt Frauen begegnete, die eine eigene Meinung öffentlich zu äußern wagten. Es sollte bis in die 2000er-Jahre dauern, bis einmal jemand nachfragte, wer denn all die (nackten) Frauen auf den Fotos und in den Filmen der Wiener Aktionisten waren – bis etwa die Performancekünstlerin Carola Dertnig, die darin eine Pionierinnenrolle einnimmt, mit Recherchen begann. Erstmals fielen Namen, wurden Biografien bekannt. Etwa die der großartigen Hanel Koeck, die nicht nur eine selten aktive und einzigartig zentrale (Frauen-)Rolle in der extremsten aller frühen Nitsch-Aktionen einnahm, sondern auch als Co-Autorin agierte: „In Hanel Koeck lernte ich eine schöne, großartige, grosszügige Frau kennen, die meine Arbeit verstand und sie unterstützte. (…) Diese Aktion wurde sehr durch ihre Persönlichkeit geprägt. Einige Teile der Aktion (das In-den-Mund-Stecken des künstlichen Penis, sie schob mir mehrmals den blutigen Penis in den Mund) waren von ihr. Ich nahm diese Stellen in die Partitur auf.“ In der Filmaufnahme davon hinterlässt Koeck einen sichtlich erschöpften Nitsch, dem ein durchaus vielleicht auch erleichterter Seufzer entschlüpft. Für ihn war es dennoch „die vielleicht bis zu diesem Zeitpunkt am besten verwirklichte Aktion“.Auch an der „Geburtsstunde“ des Wiener Aktionismus stand übrigens eine (bisher noch namenlose) Frau – in ihrer tradierten Doppelrolle als Gebärende und verführerische Muse: Die Einmauerungsaktion „Blutorgel“ von Otto Muehl, Hermann Nitsch und Adolf Frohner im Perinetkeller 1962 beendete eine eigens dafür in Abendkleid und Stöckelschuhen von Muehl bestellte junge Dame. Sie trat die vermauerte Türe zu dieser „uterinen Brutanstalt“ ein, in der die drei jungen Herren zuvor an ihrem Mythos gewerkt hatten. Es sind eben diese Mythen, antike und christliche, mit denen Nitsch immer arbeitete, die er zu diesem faszinierenden archaisch-anarchistischen Gesamtkunstwerk aller Sinne verflocht. In dem am Ende Frauen wie Männer gleichberechtigt agieren. Nach der Pfeife eines alten Meisters, natürlich. ● ○