Himmelsleiter von Oben
Monika Saulich
Himmelsleiter von Oben

Himmelsleiter

Himmlische Folter


Skulptur, Aussichtsturm, Sportgerät: Die Himmelsleiter im Naturpark Hochmoor ist mehr als eine Top-Destination und ein Wahrzeichen für Schrems. Sie kann ein Weg zur Einsicht sein – und zum Perspektivenwechsel.

Im Naturpark Hochmoor gerät man leicht außer Atem: 108 Stufen aus verzinktem Gitterrost führen durch eine Doppelreihe von insgesamt 58 mächtigen Fichtenstämmen auf eine Plattform. 42,10 Meter lang, 2,70 Meter schmal ist die Himmelsleiter, eher eine Himmelstreppe, oder doch ein Weg? Jedenfalls ist sie lang und steil.Alle 2,55 Meter gibt es ein Podest, ganz oben zwingt ein Knick zum Richtungswechsel. Eine frische Brise klärt die Gedanken. Man kann sich über die Brüstung lehnen, in die Tiefe, den Wald, das Moor blicken und an Baumwipfeln entlang promenieren. Kinder galoppieren, laufen oder hüpfen und fühlen sich wie zu Hause. Ihrer ist das Himmelreich. Dieses hier ist robust und gut verortet. 7.600 Kilometer von New York entfernt, zwei Kilometer von Schrems, 8,2 von Gmünd, 150 von Prag. Personenbeschränkung gibt es keine.

Mehr Landschaft als Aussicht

„Die Himmelsleiter ist sehr untypisch für einen Aussichtsturm. Meistens sind diese quadratisch und stehen auf einer Anhöhe. Hier gibt es keinen Berg, alles ist eben“, sagt Johann Zehetgruber, der die Statik des Objekts berechnete. Jedes fünfte Fichtenstammpaar ist mit Querhölzern und Diagonalstreben aus Stahl ausgesteift. Das sieht aus wie eine Leiter und ist als Fachwerk statisch essenziell. Die Aussichtsplattform steift in Querrichtung aus, die Treppe übernimmt die Längsaussteifung. Der Weg zum Himmel trägt also den Himmel mit.Im Jahr 2000 schrieb die Gemeinde Schrems einen Architekturwettbewerb für ein Wahrzeichen aus und bekam daraufhin die Himmelsleiter. Architekt Manfred Rapf entwarf das faszinierend archaische Objekt am Grat zwischen Skulptur und Bauwerk. 2001 folgte die baubehördliche Bewilligung, sie attestierte ihm eine Gesamthöhe von 18,40 Meter. Im Naturschutzbescheid sind 19,50 Meter vermerkt. Die Höhe des Himmels lässt sich nicht so leicht bestimmen: Alles eine Frage der Perspektive. Alle 58 Fichten stammen aus dem Gemeindegebiet, jede ein Baum von 26 bis 27 Metern. Lärche hätte der Witterung besser getrotzt, aber die wächst nicht in Schrems. „Der Specht liebt das Teil“, sagt Stadtamtsdirektorin Claudia Trinko. „Die Kollegen vom Bauhof prüfen jedes Spechtloch, inwieweit es die Statik beeinträchtigt.“ Einmal musste ein Stamm wegen der Fülle an Löchern getauscht werden, einmal erforderten Wespennester das Sperren der Treppe. Auch Vandalismus kommt vor. Deshalb schaut ein Mitarbeiter vom Unterwasserreich regelmäßig vorbei. Auf den Himmel muss man achten.

Der Blick auf das Hochmoor ist wie ein Versprechen.

2014 stand eine große Generalsanierung an. Viele Stämme waren nicht mehr voll tragfähig, Man ging auf Nummer sicher, 70 bis 80 Prozent mussten ausgetauscht werden, einzeln, Stück für Stück. 138.000 Euro kostete das, andere Aussichtswarten kostet so eine Summe die Existenz. In Schrems kam keine Sekunde Zweifel auf. „Die Himmelsleiter ist mehr als ein Wahrzeichen“, sagt Trinko, „sie ist eher eine Einsichts- als eine Aussichtsplattform, weil sie so harmonisch in der Landschaft liegt. Man sieht nicht über, sondern in das Hochmoor.“ An die 30.000 Besucher und Besucherinnen im Jahr genießen diesen Blick, immer mehr Paare wollen auf der Himmelsleiter heiraten. 

Kaskadenstiege

„Die Himmelsleiter markiert einen wichtigen Punkt im Naturpark, weil sie nach einem 10-Minuten-Fußweg durch Wald und Wiesen erstmals einen Blick auf das 119 Hektar große Naturschutzgebiet Hochmoor Schrems ermöglicht“, sagt Barbara Dolak, die Geschäftsführerin des dortigen Besucherzentrums Unterwasserreich. „Die Grenzen des Moorgebietes zum Fichtenforst sind klar zu erkennen. Der Blick darauf ist wie ein Versprechen, diesen ungewöhnlichen Lebensraum hautnah erleben zu können.“ Dolak macht oft Führungen. Die Kaskadenstiege hilft Menschen mit Höhenangst, den Aufstieg zu wagen. Der Blick von oben ist für sie ein besonderes Erlebnis. Hunde laufen oft unbeeindruckt hinauf, den Abstieg scheuen sie aber manchmal so sehr, dass sie getragen werden müssen. 

Mulmiges Gefühl 

Die Waldlichtung mit der Himmelsleiter ist so möbliert, dass man es länger dort aushalten kann. Sogar ein Humusklo, in dem Sägespäne die Geruchsbelästigung lindern, gibt es. Und einen steinernen Tisch mit Bank. Auf dieser liegt Maria Klammler gerade in der Sonne. Die 32-jährige Diplomsozialbetreuerin aus Wien arbeitet mit Menschen mit Behinderung. Sie entdeckte die Himmelsleiter im Internet und reiste mit öffentlichen Verkehrsmitteln an. „Ich wollte möglichst viel Natur in mich aufsaugen“, sagt sie. „Diesen mystischen Ort kannte ich noch nicht.“Die Besucherin war schon am Vortag hier. Bei Regen, die Holzplanken der Himmelsleiter waren glitschig, die Aussichten auf das nasse Moor mit den feuchten Bäumen eher unangenehm. „Mich hat durchaus Höhenangst befallen, es war eine Mutprobe“, gibt sie zu. „Ich hatte ein ganz mulmiges Gefühl.“ Also kam sie wieder. Bei Sonnenschein ist alles anders, Bienen summen, Grillen zirpen, es riecht gut, der Moorboden, in dem man leicht versinkt, hat nichts Bedrohliches mehr, und die Konstruktion der Himmelsleiter spendet Schatten. „Ich hätte sie mir anders vorgestellt: heller, mehr Baumstämme, mehr Äste drauf, niedriger. Jetzt kenne ich sie schon bei Sonne und bei Regen, bei Schnee wäre es auch interessant.“ Stundenlang war Klammler allein auf der Lichtung, erst am späten Nachmittag kommt Leben auf die Wiese. Karel Holý ist mit ein paar Freunden aus dem tschechischen Olomouc hergefahren. Er sucht immer Ziele, die nicht jeder kennt. „So etwas habe ich noch nie gesehen“, sagt der Kunststofftechniker, der besonders interessiert die Konstruktion begutachtet. „Wir kommen aus einer extrem touristischen Gegend und wollten ein paar schöne Tage in den Wäldern und Mooren des Waldviertels verbringen“, sagt Johannes Holzinger aus Bad Ischl. Auch er findet die Konstruktion der Himmelsleiter spektakulär. Seine Begleiterin Anna Gottschall erzählt: „Wir mögen die Höhe und die Weite vom Wald sehr. Im Salzkammergut steht man immer gleich am Berg an.“ Hannes Steiner aus Kärnten findet das Waldviertel sehr authentisch, auch ihn fasziniert die Konstruktion. Er liebt es, von oben in die Weite zu schauen. Und weil er öfter kommt, fällt ihm auf, wie schnell die Pappeln wachsen.

Polarisierend 

Monika Weber lebt in Schrems, die Himmelsleiter ist ihr Trainingsgerät. „Das ist meine Folter“, sagt sie und meint das positiv. Alle zwei, drei Tage läuft sie von zu Hause drei Kilometer zur Himmelsleiter und dann bis zu 15 Mal alle 108 Stufen nonstop auf und ab. „Man kann sagen, seit zehn Jahren.“ Heuer will sie zwanzig Mal am Stück schaffen. „Die Himmelsleiter polarisiert. Wer für die besondere Architektur empfänglich und bereit ist, sich auf den fürs Erste unspektakulären Ausblick einzulassen, verliebt sich unweigerlich in sie“, sagt Barbara Dolak. „Wer einen ,gängigen‘ Aussichtsturm erwartet, ist enttäuscht. Gerade, dass man nicht ,über allem‘ steht, ist charmant. Die Himmelsleiter erlaubt nicht mehr als einen Panoramablick. Das verführt zu tieferer Einsicht.“ Die richtige Perspektive für den Himmel. ● ○