Es ist eine ungewöhnliche Ausstellung, die Kuratorin Martha Keil in der von ihr geleiteten und kürzlich neu eröffneten Ehemaligen Synagoge St. Pölten gelang. Sie heißt „Dinge bewegen. Gegenstände und ihre jüdischen Geschichten“ und versammelt sieben Exponate von jüdischen Eigentümern und Eigentümerinnen, die in der Shoa vertrieben oder ermordet wurden. Gegenstände, die nicht nur örtlich bewegt, sondern auch in einen anderen Zusammenhang verschoben, umfunktionalisiert, manchmal verfremdet wurden: eine Thorarolle beispielsweise, die ein Hobbymaler später – in völliger Ignoranz ihrer religiösen Bedeutung – als Malgrund eines Landschaftsbilds missbrauchte. Doch auch Tröstliches findet sich hier: So gelangte die Sammlung kleiner persönlicher Dinge der jungen Röntgenassistentin Hanna Kuh, die nach Großbritannien fliehen konnte, nach deren Tod zurück nach Österreich. Heute lagert sie, wenn nicht gerade ausgestellt, in der Österreichischen Exilbibliothek in Wien.
Ästhetisch bestechend
Aus den Gegenständen, deren verschlungene Geschichten Wandtexte und Audioaufnahmen erzählen, sprechen nicht nur die schrecklichen Schicksale ihrer ursprünglichen Besitzerinnen und Besitzer, sondern sie geben auch Einblick in die Geschichte und Kultur jüdischen Alltagslebens.
Ein ästhetisch besonders bestechendes Beispiel dafür ist der Sederteller der Familie Fantl-Brumlik, heute in den Landessammlungen Niederösterreichs. Ein solcher kommt nach jüdischer Tradition beim Sedermahl – am Abend vor dem Passahfest – zum Einsatz. Dieses gedenkt des über 3.000 Jahre zurückliegenden Auszugs aus Ägypten, dem damit einhergehenden Ende der Sklaverei und dem Aufbruch in das gelobte Land. Die Zeremonie entfaltet sich im Kreis der Familie oder Gemeinde nach einem fixierten Ablauf: Man liest Texte, singt und isst gemeinsam. Auf dem Sederteller werden sechs symbolische Speisen gereicht. Bitterkräuter gemahnen an die Bitterkeit der Knechtschaft vor dem Auszug, ein angebratener Lammknochen an die Opferung des Lamms. In der Mitte des Tellers versinnbildlicht eine Schale Salzwasser die vergossenen Tränen.
Der Sederteller aus Porzellan, der einst im Besitz der Bischofstettner Familie Fantl-Brumlik war, ist allerdings kein gewöhnlicher. Um einen zentralen plastischen Stern gruppieren sich sechs muschelförmige Mulden, die Zwischenräume gliedern goldene Schuppen. Das üppige Erscheinungsbild des glänzenden Tellers mit lüstrierter Glasur, der in makellosem Zustand ist, lässt an die Atmosphäre von reichlich ausgestatteten und theatral dekorierten Salons denken, wie sie zu seiner Entstehungszeit um die Jahrhundertwende in wohlhabender Gesellschaft gepflegt wurde. Doch der Teller erzählt weit mehr als das mit bloßem Auge Ersichtliche.