„Hier stimmt etwas nicht“
„Hier stimmt etwas nicht“
Umbenennen, abreißen, oder das berühmte Zusatztaferl: Wie gehen wir mit historisch belasteten Orten im öffentlichen Raum um? Darüber sprach morgen mit Gregor Kremser, Kulturamtsleiter in Krems, der Politik- und Kulturwissenschafterin Ljiljana Radonić sowie der Künstlerin Heidi Schatzl.
morgen: Im Jahr 2022 stürzten Aktivistinnen und Aktivisten im britischen Bristol die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston und versenkten sie im Hafenbecken. Wie finden Sie diesen Zugang, Frau Radonić?
Ljiljana Radonić
:Es gibt keine eindeutigen und einfachen Antworten, der Prozess ist das Spannende. Momentan erleben wir auch im postsozialistischen Raum viele Denkmalstürze im Rahmen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Die Frage ist immer, wer agiert und mit welchem Hintergrund. Mit gestürzten Statuen kann man jedenfalls viel machen. Im lettischen Okkupationsmuseum in Riga wurden die gestürzten sowjetischen Denkmäler auf dem Weg zum Klo aufgestellt. Sie sind da, ihre Geschichte wird erzählt, aber sie haben ihre Aura und das Bedrohliche verloren.
In Wien wurde nach jahrzehntelangem Ringen entschieden, das Dr.-Karl-Lueger-Denkmal nach einem Entwurf des Künstlers Klemens Wihlidal um 3,5 Grad zu kippen. Eine gute Idee?
Radonić
:Es ist nicht unbedingt ein Beweis für Kreativität, einen zehn Jahre alten Plan aufzuwärmen. Aber ich finde die Kontroverse produktiv, inklusive aller schrägen Blüten, wie zum Beispiel den Kloschüsseln, die zeitweise auf dem Denkmal angebracht waren. Die Erklärungstafel war jedenfalls zu unscheinbar und somit zu wenig.
Ein anderer Vorschlag hatte gelautet, es zu belassen, wie es ist: beschmiert mit dem roten Schriftzug „Schande“.
Heidi Schatzl
:Ich bin ein Fan dieser illegalen Beschriftungen, weil das einen laufenden Diskurs ermöglicht hat. Weil ich selbst 2023 am Wettbewerb zur Kontextualisierung teilgenommen habe, weiß ich, dass es eine schwierige Aufgabe war. Die Vorgabe lautete, dass das Denkmal eine Bildquelle ist und als solche nicht verändert werden darf. Der Denkmalschutz hätte erlaubt, das Denkmal am Platz zu versetzen, aber nicht, Figur und Sockel zu trennen. Juristisch gesehen, kann ein Denkmal den Denkmalschutz auch wieder verlieren. Und zwar, wenn die Wissenschaft zu einer Neubewertung des Ehrenmals kommt. Künstlerisch gesehen, ist die Neigung der kleinste gemeinsame Nenner, um zu zeigen: Hier stimmt etwas nicht. Viele Kunstschaffende und Forschende wären aber gerne weitergegangen. Es gab auch einen Brief der Überlebenden, die Österreich als Täterland aufgefordert haben, zu seiner Verantwortung zu stehen und das Ehrenmal zu entfernen. Die Frage ist, wie man Solidarität erzeugen kann und etwas Gemeinsames schafft – auch wenn die Politik nicht will.
Warum tut sie sich so schwer?
Schatzl
:Ich verstehe es auch nicht. Vielleicht liegt es daran, dass die Entscheidung nicht in einer breiten Runde getroffen wurde.
Gregor Kremser
:Ich finde die Idee der Neigung um 3,5 Grad sehr gut. In St. Lorenz in der Wachau gibt es auch ein bestehendes Denkmal, das bearbeitet wurde: Das Mahnmal Friedenskreuz, ein ehemaliger Pilgerort von Neonazis. Der Künstler Martin Krenn hat es belassen und ihm etwas vorangestellt. Dadurch hat er die Wahrnehmung verändert, was gut funktioniert. Vielleicht könnte man der Lueger-Statue zusätzlich zur Neigung etwas voranstellen. Wie Heidi Schatzl würde ich es begrüßen, dass die Bevölkerung weiterhin eigenständig tätig bleibt. Die Diskussion darf nicht abreißen.
In Krems wurde jüngst die nach der nationalsozialistischen Heimatdichterin benannte Maria-Grengg-Gasse umbenannt. Der Prozess wirkte relativ unkompliziert. Stimmt der Eindruck?
Kremser
:Es gab unterschiedliche Meinungen, aber letztendlich eine Mehrheit für den Bürgermeister, der die Umbenennung wollte. Die Gasse wurde überraschenderweise erst Anfang der 1990er-Jahre nach Maria Grengg benannt. Warum das passiert ist, konnten wir nicht feststellen, jedenfalls war die Entscheidung im Gemeinderat damals einstimmig. Es ging anscheinend darum, sie als Dichterin zu ehren. Das ist die gleiche Überlagerung wie bei Lueger: Die Leute bekommen ja kein Denkmal, weil sie antisemitisch sind, sondern, weil sie anderweitig Beiträge geleistet haben. Es ist wichtig, das aufzudröseln.
Warum?
Kremser
:Es spielt eine Rolle, ob eine Person wegen ihrer antisemitischen Haltung und nationalsozialistischen Verdienste mit einem Straßennamen geehrt wurde oder wegen ihrer literarischen oder sonst einer Leistung. Maria Grengg hat sich nie vom Nazi-Gedankengut distanziert und damit auch eine gewisse Wirkkraft erreicht. In Krems haben wir einen Historikerbeirat, der sich zweimal im Jahr trifft, solche Fragen bearbeitet und dann Empfehlungen ausspricht, welche Sanktionen passend sind. In diesem Fall war die Entscheidung außerdem leicht, weil alle Anrainerinnen und Anrainer dafür waren, den Namen der Gasse zu ändern. Auch in Wien-Rodaun gibt es eine Maria-Grengg-Gasse, die auf Platz eins der geplanten Umbenennungen steht. Allerdings gibt es dort 60 Betroffene, was die Sache deutlich komplizierter macht.
Radonić
:In Krems gibt es ja nicht nur eine Tafel mit Informationen zur neuen Namensgeberin (der Kindergartenpädagogin Margarete Schörl, Anm.), sondern auch eine zweite Tafel mit Erklärungen zu Maria Grengg und der Umbenennung. Das finde ich die optimale Lösung.
Kremser
:Manche fanden es inkonsequent, umzubenennen und trotzdem den alten Namen dazuzuschreiben. Aber Historikerinnen und Historiker haben uns dazu geraten, die Geschichte nicht unter den Teppich zu kehren.
Inwiefern fühlen wir uns durch Denkmäler für fragwürdige Personen repräsentiert?
Wäre es hilfreich, allgemeingültige nationale Kriterien zu erstellen, wann eine Änderung gerechtfertigt ist?
Radonić
:Solche Kriterien ließen sich ganz einfach definieren, aber ob der politische Wille da ist und auf welcher Ebene, ist eine andere Frage. Es gibt Best-Practice-Beispiele wie Krems, die als Vorbild dienen können.
Kremser
:Es gibt Kriterien auf lokaler Ebene, beispielsweise in Wien oder in Linz, die sich ähneln. Die helfen aber nichts, wenn die Politik nicht will. In Krems haben wir den Historikerbeirat, der sehr gut funktioniert und ehrenamtlich arbeitet. Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitiker können sich auf den Beirat berufen und sagen: „Die Expertinnen und Experten empfehlen uns das.“
Wie läuft das in der Praxis ab?
Kremser
:Der Beirat trifft sich und gibt Empfehlungen ab, die dem Gemeinderat in Form von Anträgen vorgelegt werden. Dieser hat dann die Möglichkeit, auf Basis dieser Empfehlungen zu entscheiden. Im Fall der Maria-Grengg-Gasse kam die Initiative von Kremser Jugendlichen im Wahlpflichtfach Geschichte. Vermutlich war das hilfreich, weil die Politik sich leichter tut, wenn der Impuls aus der Bevölkerung kommt.
Es gibt viele Fälle, in denen lange gestritten wird und letztendlich nichts passiert, wie den Dr.-Dollfuß-Platz in Mank.
Radonić
:Der Austrofaschismus oder Ständestaat – es gibt noch nicht einmal einen einheitlichen Namen dafür – scheint derzeit die noch viel heißere Kartoffel zu sein als der Nationalsozialismus, bei dem man sich mit der Verantwortung arrangiert hat. Bei Dollfuß ist der politische Konsens noch viel schwieriger herzustellen, obwohl klar sein sollte, dass man einen Diktator nicht ehrt.
Kremser
:Ich vermute, dass es der Mehrheit der Menschen schlichtweg egal ist. Wenn die Diskussion lange genug geführt wird, haben irgendwann viele ein Problem damit. Als Teil der Verwaltung versetze ich mich auch in die Situation von Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitikern, die riskieren, permanent konfrontiert und angegriffen zu werden. Je kleiner der Ort ist, desto unangenehmer kann das sein. Generell muss man sich gut überlegen, was man macht und mit wem man zusammenarbeitet. Beim Dollfuß-Platz ist das nicht gut gelaufen.
Schatzl
:Der Fall ist diffizil, weil die Familie noch vor Ort und einflussreich ist. In Mank gab es ein gutes Konzept, den Namen gemeinsam mit dem Dollfuß-Museum aufzulösen. Aber dann ist die Debatte abgebogen.
Was sagt unser Umgang mit der Vergangenheit über uns als Gesellschaft aus? Was wäre ein guter Zugang?
Schatzl
:Für lebende Personen gibt es manifeste Regeln: das Verbotsgesetz oder den Verhetzungsparagrafen. Im Rahmen des Wettbewerbs für die Umgestaltung des Lueger-Denkmals habe ich nachgefragt, inwieweit diese Regeln nicht auch für tote Menschen gelten könnten und ob jemand, der eine antisemitische Partei gründet – Lueger nannte seine Partei anfänglich „Die Antisemiten“ –, unter den Verhetzungsparagrafen fällt. Ich wollte die Diskussion um das Lueger-Denkmal auf eine allgemeingültigere Basis stellen und dachte, dass unsere Gesetze heute gegen politische Hetze gewappnet wären. Lueger wurde schon zu Lebzeiten wegen Verhetzung angezeigt. Adolf von Ofenheim, ein Anwalt der Stadt Wien, führte drei Prozesse gegen ihn, weil Lueger ihn antisemitisch verunglimpfte und diese Ehrenbeleidigungen im Gemeinderat in den öffentlichen Aushängen sowie in der Wiener Zeitung einer breiten Öffentlichkeit zugeführt wurden. Ofenheim argumentierte, dass Luegers Verhetzung seinen bürgerlichen Tod bedeute. Vier Jahre nach dem Prozess ist er tatsächlich gestorben. Eine Professorin für Strafrecht und eine für Rechts- und Verfassungsgeschichte antworteten mir, dass diese Frage auch heute keinesfalls eindeutig zu bewerten wäre. Das hat mich gewundert. Wir haben Gesetze, um uns zu schützen. Was für lebende Personen gilt, sollte auch für geehrte tote Personen gelten und uns insbesondere vor Wiederholung schützen. Wir könnten uns auch fragen: Inwiefern fühlen wir uns durch solche heroischen Denkmäler für fragwürdige Personen repräsentiert? ● ○