© Joanna Pianka
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KÖR

Ungebetene Gäste


Zerstörungsaktionen, Beschmierungen, Todesdrohungen:
Wenn die Kunst geschützte Räume verlässt, kann es heiß hergehen. Im öffentlichen Raum stößt sie auf ein Publikum, das nie nach ihr gefragt hat. Doch genau das schätzen Künstlerinnen und Künstler häufig.

Selten äußerte jemand seinen Unmut gegenüber der Kunst so überdeutlich wie jener Mann, der in der Nacht von 16. auf 17. November 2013 auf sehr spezielle Art Werner Reiterers Skulptur „Crash“ kritisierte. Nach der Aktion war von dem – ohnehin schon zerstörten – Auto, das der Künstler an einer Pestsäule im steirischen Leibnitz platziert hatte, nur noch Schutt und Asche übrig. Der Erzürnte hatte es in Brand gesetzt. Dabei wäre das von vornherein als temporär gedachte Kunstwerk ohnehin kurze Zeit später abgebaut worden.

Ans Eingemachte

Derart extreme Reaktionen auf Kunst, die im öffentlichen Raum steht, sind freilich die Ausnahme. Und doch: Sobald Skulptur, Installation, Fotografie, Performance und andere künstlerische Medien die weitgehend geschützten Räume der Institutionen verlassen, setzen sie sich der Öffentlichkeit in ganz anderer Weise aus. Vandalismus gegen Kunst richtet sich nur selten gegen jene, die Museen oder Institutionen präsentieren, ebenso wie Beschimpfungen ihrer Schöpferinnen und Schöpfer. Diese können ans Eingemachte gehen: Da wird Künstlerinnen und Künstlern schon mal der Tod gewünscht. Kunst im öffentlichen Raum richtet sich eben an ein Publikum, das nie danach gefragt hat, ein solches zu werden.

Auch der Künstler Werner Reiterer kann davon berichten: „Kunst, Galerien und Museumsräume sind immer illusionistisch konnotiert, der öffentliche Raum ist realistisch“, sagt er. „Alles was ich in Letzterem sehe, nehme ich als real wahr. Das birgt für illusionistisch konnotierte Kunst im Außenraum ein riesiges Potenzial an Irritation, liest das Publikum diese Werke anfangs doch oft als realistisch.“

Die Konzepte für Kunstwerke im öffentlichen Raum entwickelten sich in den vergangenen Jahrzehnten enorm weiter. Von den vielzitierten „Drop Sculptures“ – also Skulpturen, die sich kontextlos auf Plätzen breitmachen – hat man sich längst verabschiedet. Verstärkt denken die Verantwortlichen das Publikum mit. Die Kuratorin Joanna Warsza, die aktuell gemeinsam mit ihrer Kollegin Lorena Moreno Vera für die Tangente St. Pölten einen Kunstparcours entwickelt, hat schon zahlreiche Projekte im öffentlichen Raum umgesetzt, unter anderem für das Public Art Program in München. In der Publikation dazu schrieb sie, sie habe den Eindruck „dass es der große Traum vieler Künstler*innen, Kurator*innen, Mediator*innen und Institutionen ist, eine erweiterte Öffentlichkeit zu erreichen: Man will Kontakt aufnehmen, diversifizieren, sich Neuem öffnen, die Dinge neu definieren, dekolonisieren, Teil einer größeren Debatte werden“. Wenn Kunst gesellschaftlich wirklich relevant sein wolle, „gibt es keinen besseren Ort als den öffentlichen“.

Es ist wichtig, dass sich die Leute wahrgenommen fühlen.

Strukturwandel

Das Publikum ist die Öffentlichkeit. Oder: die Öffentlichkeiten. In seinem Essay „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ ging der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas 1962 von einer einzigen bürgerlichen Öffentlichkeit aus. In ihrer Replik auf seine Schrift, die er mittlerweile in seinem Buch „Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik“ (2022) selbst revidierte, zeigten beispielsweise die Philosophin Nancy Fraser und die Historikerin Mary Ryan, dass diese Vorstellung schon immer eine Chimäre war – so wurden Frauen und andere marginalisierte Gruppen früher weitgehend ausgeschlossen, was teilweise bis heute der Fall ist. In einem Essay zu Kunst im öffentlichen Raum sprach Kunsttheoretiker Stephan Schmidt-Wulffen schon 2001 über „rivalisierende Öffentlichkeiten“. Wer agiert gegen Kunstwerke, die frei herumstehen? Vor allem jene, die nicht Teil des künstlerischen Diskurses sind, egal, ob freiwillig oder unfreiwillig. Schmidt-Wulffen sieht, wie er in dem Text notiert, „die Rolle des Künstlers heute als Vermittler zwischen diesen Öffentlichkeiten, der verschiedene Bereiche des öffentlichen und des privaten Lebens miteinander verbindet, der Produktions- und Lebenstechniken in seinen Werken so verkoppelt, dass sie wie Kommentare wirken, Kultur für eine Gesellschaft im Prozess“. Ähnlich argumentiert auch Warsza im Gespräch mit morgen. Im öffentlichen Raum, sagt sie, gehe es nicht um das, was Menschen trenne, sondern um das, was sie vereine.

Kann dieser Wunsch mehr sein als – ein Wunsch? Die Attacke auf Werner Reiterers „Crash“ mag ein Extrembeispiel sein, einzigartig ist sie bei Weitem nicht. So wurde eine Skulptur des Bildhauers Tony Matelli – ein lebensechter Schlafwandler in Unterhosen – 2014 auf einem Campus in Massachusetts nicht nur Gegenstand hitziger Kontroversen, sondern auch Opfer einer Farb­attacke. Dem schwächlich wirkenden Somnambulen wurde genau das Gegenteil dessen vorgeworfen, was sein Autor intendiert hatte: dass er nämlich bedrohliche Männlichkeit suggeriere. Eine Petition für seine Entfernung kursierte, glücklicherweise erfolglos. Im Herbst 2023 erregte die Künstlergruppe Gelatin mit einem Brunnen in Wien-Favoriten Unmut. Vor allem deswegen, weil Kunst etwas kostet. Der Vorwurf von Steuergeldverschwendung ist ein All-Time-Favourite in diesem Kontext. Das Bassin von Gelatin, um das 33 Betonfiguren arrangiert sind, sei, so hieß es in Boulevardmedien, eine „Luxusfontäne“, außerdem jage es Kindern einen Schreck ein. Eine bereits im Vorfeld initiierte Petition erreichte über 500 Unterzeichnungen, Unbekannte beschmierten einzelne Figuren. Auch jene, die Kris Lemsalus Installation „Doora“ (2022) in Melk kritisierten, stießen sich an den dafür erforderlichen Geldmitteln.

Aufreger: Brunnenskulptur „WirWasser“ der Künstlergruppe Gelatin, 2023, Wien-Favoriten

© Wiener Wasser / Johannes Zinner
© Wiener Wasser / Johannes Zinner

Konfliktlinien

In den Reaktionen auf public art offenbaren sich gesellschaftliche Konfliktlinien – aber auch das Potenzial, damit umzugehen. Einen besonders interessanten Weg fand Jakob Lena Knebl, in Baden geborene*r Künstler*in. In Knebls 2013 temporär installiertem Denkmal für homosexuelle NS-Opfer am Wiener Morzinplatz – in unmittelbarer Nähe zur einstigen Gestapo-Leitstelle – war die feindliche Reaktion bereits eingeplant. „Schwule Sau“ heißt die Installation aus skulpturalen Elementen und zwei künstlerisch inszenierten Aktfotos von Knebl selbst. Im Begleittext wurde darauf hingewiesen, dass allfällige Beschädigungen nicht entfernt werden würden, sondern „zu einem Teil der Arbeit“ und „Zeichen dafür, wie aktuell und notwendig die Debatte ist, die das Kunstwerk auslöst“. Tatsächlich wurde die Arbeit an mehreren Stellen mit homophoben Sprüchen und sogar Todeswünschen verunstaltet. So wurde „Schwule Sau“ zu einem Mahnmal in Echtzeit. Rückblickend sagte Knebl: „Ich fürchte, heute wäre das aufgrund der gesellschaftlichen Polarisierung noch ärger.“

Die Aufregung über Kunst im öffentlichen Raum hat lange Tradition, wie Katrina Petter bestätigt. Sie leitet die Stelle für Kunst im öffentlichen Raum in Niederösterreich und arbeitet hier seit 2004. „Schon bei der Umsetzung der Arbeit ‚Entdeckung der Korridore‘ in Paasdorf, die auf eine Autobahn anspielt, riefen Leute an und schrieben Briefe.“ Warsza sagt: „Die öffentliche Sphäre ist ein Raum, in dem wir als Menschen koexistieren. Da geht es nicht um ein einzelnes Kunstwerk, sondern um Beziehungen und Situationen. Aus diesem Grund ist Vermittlung so wichtig.“ Für manche sei die Kunst eine Geheimsprache. „Die Kunst ist offen, aber die Menschen brauchen einen Schlüssel dafür.“

Wurde beschmiert: „Schwule Sau“, Jakob Lena Knebl, temporäre Installation am Wiener Morzinplatz, 2013

Michael Strasser © Bildrecht Wien
Michael Strasser © Bildrecht Wien

Nachjustiert

Einfach irgendwo eine Arbeit hinzustellen und schauen, was passiert – das macht heute niemand mehr. Das Team von Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich begleitet Projekte intensiv, lädt bereits vor und während der Umsetzung zur Diskussion, wie Petter erzählt. „Es ist wichtig, dass die Leute ihre Bedenken äußern können und dass sich eine Diskussionskultur entwickeln kann“, sagt sie. Dafür sucht man Partner und Partnerinnen vor Ort, engagierte Personen, Bürgermeister beispielsweise.

Werner Reiterer installierte im steirischen Hitzendorf einen Mast mit Megafonen – direkt vor dem Gemeindeamt und der Polizei. Drückt man den Sendehebel am Mastfuß, kann man lautsprecherverstärkt sprechen – „um den demokratischen Austausch zu fördern“, wie Reiterer sagt. Bei einer Präsentation vor der Eröffnung war eine junge Mutter anwesend. Sie fragte sich, ob wohl nächtliche Scherz- und Trunkenbolde durch die Megafone grölen und dadurch ständig ihr Kleinkind wecken würden. Reiterer ging auf die Bedenken ein und justierte die Betriebszeiten nach. „Sie war ganz von den Socken, dass auf ihre Einwände reagiert wurde“, erinnert sich Reiterer. Aus seiner Erfahrung sei „wichtig, dass sich die Leute wahrgenommen fühlen“.

Öffentliche Räume sind von ihren Anrainerinnen und Anrainern schon besetzt, folgen ihrer eigenen Logik. Jean-Christophe Ammann, legendärer Museumsdirektor und Kunstkurator, stellte 1984 fest, dass Aggression gegen Kunst im öffentlichen Raum oft „weniger gegen die Skulpturen selbst als vielmehr gegen ihren Standort gerichtet“ seien. Da man diesen „nicht angreifen kann, bildet die Skulptur dessen Verkörperung und wird somit zum unmittelbaren Gegenstand des Protestes“.

Man muss auf Augenhöhe arbeiten.

Schwierig und schön

Doch wie steht es mit dem Potenzial der Kunst, Menschen zueinander zu bringen? Eine Beobachtung machte Werner Reiterer immer wieder: Sobald die Kontroversen vorbei sind, adoptieren Bewohnerinnen und Bewohner das Kunstwerk geradezu, wird dieses zum Identifikationsmerkmal. „Viele Leute gewöhnen sich an die Kunst, es gibt eine Akzeptanz – ein Prozess, den wir generell kennen von Veränderungen, mit denen wir konfrontiert sind“, beobachtete auch Petter. „Es wäre eine Illusion zu glauben, dass sich alle mit Kunst im öffentlichen Raum auseinandersetzen – aber alle werden damit konfrontiert. Da gibt es ein großes Potenzial.“ Warsza meint: „Im öffentlichen Raum ist es für die Kunst schwieriger, sich zu verteidigen. Das ist ein purer und verwundbarer Moment für die Kunst – für sich selbst zu stehen.“ Nachsatz: „Es ist schwierig und schön, Kunst im öffentlichen Raum zu kuratieren.“

Demokratischer Austausch: Werner Reiterers „Skulptur zur Beförderung der freien Rede“, 2011, Hitzendorf (Steiermark)

© KIÖR Steiermark
© KIÖR Steiermark

Und die Künstlerinnen und Künstler? Viele von ihnen schätzen die Auseinandersetzung mit Menschen, die sonst nicht kunstaffin sind, wie Petter erzählt. Jakob Lena Knebl erklärt: „Natürlich begibt man sich in einen ungeschützten Raum. Da muss man anders arbeiten, auf Augenhöhe und verständlich bleiben.“ Genau das sei aber das Interessante daran.

Schutzlos dem Publikum ausgeliefert zu sein, den Safe Space des Museums zu verlassen: Das kann auch Kunstschaffende inspirieren. Zumindest so lange ihnen niemand den Tod wünscht oder ihr Werk abfackelt.  ● ○