© KHM-Museumsverband
© KHM-Museumsverband

Statements

Haarmenschen und Himmelskonstellationen


Drei Häuser, drei Ausstellungen, drei Exponate: Welche besonderen Schätze gibt es im Renaissancejahr auf der Schallaburg, im Schloss Ambras und im Kunsthistorischen Museum zu sehen? Wir fragten nach.

Wer „Renaissance“ hört, denkt an Italien und die Blüte der Künste und Wissenschaften unter südlicher Sonne. Weniger oft gerät die Wiedergeburt der Antike nördlich der Alpen in den Blick. Doch 2024 widmen sich Ausstellungen auf der Schallaburg, im Innsbrucker Schloss Ambras und im Kunsthistorischen Museum Wien der Renaissance auch außerhalb Italiens.

Die Erfindung des Buchdrucks und die Reformation beflügelten die Künste, das Individuum rückte in den Fokus. Städte wie Augsburg besannen sich auf ihre römischen Wurzeln, in Niederösterreich ließ humanistisches Gedankengut Bildungsinstitutionen entstehen, und Wunderkammern zeugten von einem neuen Interesse an der Welt.

Welche Exponate sind für die Verantwortlichen der Ausstellungen von besonderer Bedeutung? morgen sprach mit Guido Messling, Veronika Sandbichler und Robert Gander über das Aufleben der Porträtkunst, Haarfamilien und eine ganz besondere astronomische Karte. ● ○

Guido Messling, Kurator im Kunsthistorischen Museum

„Hohe Sensibilität“

Aus dem frisch restaurierten ‚Bildnis eines jungen Mannes‘ spricht die hohe Sensibilität des Künstlers Hans Burgkmair. Wie der Augsburger Maler die Linie pflegt, der Figur sanfte Umrisse verleiht und ihre Haare ordnet, erinnert nicht zufällig an die starke Stimmungshaftigkeit italienischer Renaissancemalerei. Er verleiht dem 1506 entstandenen Porträt einen melancholischen Grundzug. Wie Albrecht Dürer schuf auch Burgkmair zahlreiche Selbstporträts. Aber er übertrifft ihn gewissermaßen, geht der Augsburger doch noch reflektierter an die Sache heran als der Nürnberger. Eine der Zeichnungen zeigt ihn etwa versunken malend an der Staffelei, während ihm Kaiser Maximilian höchstpersönlich über die Schulter schaut. Das Kunsthistorische Museum versammelt dieses spezielle und andere Selbstbildnisse ab März in der Ausstellung ‚Holbein. Burgkmair. Dürer. Renaissance im Norden‘.

Augsburg wandelt sich in der frühen Neuzeit zu einer Handelsmetropole und einem Zentrum des Kunstschaffens, von dem viele wichtige Impulse ausgehen. Warum entsteht in der bayrischen Stadt damals so viel Besonderes? Ein Grund ist ihre wichtige Lage zwischen Nord und Süd, an alten Handelsrouten und Alpenpässen. In Augsburg finden die Reichs­tage statt, und bei diesen Anlässen kommen nicht nur Regenten und Fürsten, sondern auch Künstler zusammen. Am Ende des 15. Jahrhunderts beflügeln die Entdeckungsreisen nach Übersee den Handel. Reiche Kaufmannsfamilien wie die Fugger wirken in ihrem Streben nach Prestige als kultureller Motor. Mit der Fuggerkapelle entsteht einer der ersten reinen Renaissancebauten nördlich der Alpen, an dem sich führende Künstler beteiligen. Zudem besinnt sich Augsburg um 1500 auf seine eigene römische Vergangenheit. In anderen nordischen Renaissancestädten wie Brügge oder Gent gab es das nicht. In Augsburg werden damals antike Funde wie zum Beispiel Grabsteine freigelegt. Der in Bologna studierte Jurist und humanistische Gelehrte Konrad Peutinger sammelt altertümliche Inschriften und gibt sie als Buch heraus. Als kaiserlicher Rat vergab er künstlerische Aufträge. Auch im Stadtbild schlägt sich der Stolz auf die antike Vergangenheit nieder: So muss eine Statue des Heiligen Ulrich dem Neptunbrunnen weichen, der von einer Bronze des nackten römischen Meeresgottes dominiert wird. Der reformatorische Bildersturm auf die Heiligenfiguren der katholischen Kirche kündigt sich bereits an. In Augsburg verknüpfen Künstler wie Hans Holbein der Ältere und Burgkmair niederländische und italienische Einflüsse und formen so eine spezifisch nordische Renaissance.“ ● ○

Hans Burgkmair d. Ä., „Bildnis eines jungen Mannes“, 1506, Kunsthistorisches Museum Wien

© KHM-Museumsverband
© KHM-Museumsverband

Veronika Sandbichler, Direktorin von Schloss Ambras

„Mensch rückte ins Zentrum des Interesses“

„Das Porträt des ‚Haarmensch Petrus Gonsalvus‘ stammt aus der Kunst- und Wunderkammer von Schloss Ambras in Innsbruck. Die Ganzkörperbehaarung des Dargestellten war auf Hypertrichose zurückzuführen, einen Gendefekt, der später aufgrund dieses Bildnisses auch als ‚Ambras-Syndrom‘ bezeichnet wurde. Gonsalvus stammte von den Ureinwohnern der Kanareninsel Teneriffa ab. Vermutlich verschleppten ihn spanische Eroberer als Kind nach Europa und er gelangte an den Hof des französischen Königs Heinrich II. Erstaunlicherweise wurde Gonsalvus dort nicht als ‚Wilder‘ vorgeführt, sondern vielmehr höfisch erzogen und auch in Latein und Griechisch unterrichtet. Später trat er in den Dienst des Königs und heiratete eine Hofdame. Zusätzliche Porträts ihrer Kinder machten die Gonsalvus als ‚Haarfamilie‘ bekannt.

In der Renaissance entstanden die ersten Kunst- und Wunderkammern. Sie spiegelten die humanistische Neugierde und das Staunen über die Vielfalt der Welt. Diese enzyklopädischen Sammlungen sollten die Schöpfung in ihrer Gesamtheit abbilden und so auch die Macht des Herrschers als Kreator demonstrieren. Der Theoretiker Samuel Quicchelberg befasste sich damals bereits mit der Frage ‚Was ist eine Kunst- und Wunderkammer?‘ und zeigte die Vielfalt von Natur und Kunst auf. So finden wir in derartigen Sammlungen etwa einen unbehandelten Korallenstamm gleichwertig neben einer Goldschmiedearbeit. Ähnlich verhält es sich mit den Porträtsammlungen, die im 16. Jahrhundert von Italien aus aufkamen. Der Mensch rückte ins Zentrum des Interesses, und zwar in seinem ganzen Spektrum. Erzherzog Ferdinand II. trug auf Ambras rund 1.000 Bildnisse von Persönlichkeiten zusammen, die aufgrund ihrer Individualität, Besonderheit oder Leistung im Sinn der Zeit als sammelwürdig galten. Dazu zählten auch politische Gegner wie Angehörige des französischen Königshauses ebenso wie der osmanische Herrscher Süleyman I. oder aber auch Graf Dracula. Und eben jene in ihrem Aussehen jenseits der Norm stehenden Personen wie die ‚Haarfamilie‘, ‚Hofzwerge‘ und ‚-riesen‘ oder Menschen mit Behinderung.

Diese zum Teil bis heute auf Schloss Ambras Innsbruck erhaltenen Porträts kontextualisieren wir ab Juni in der Sonderausstellung ‚Schauen erlaubt? Vielfalt Mensch vom 16. bis 18. Jahrhundert‘ auf zeitgemäße Weise. Sie erzählt die individuellen Geschichten hinter Bildern, die Gefahr laufen, für bloße Kuriositäten gehalten zu werden. Für das hochsensible Thema arbeiten wir mit einer Referenzgruppe zusammen. Die zentrale Erkenntnis daraus ist, dass Menschen das Angeschaut-Werden als sehr voyeuristisch empfinden. Als Konsequenz zieht unsere Ausstellungsgestaltung das Publikum aktiv mit ein, sodass es auf Fragen stößt wie ‚Darf ich hinschauen?‘, ‚Was passiert, wenn ich hinsehe?‘ und ‚Wie erlebe ich es selbst, betrachtet zu werden?‘“ ● ○

„Haarmensch Petrus Gonsalvus“, um 1580 (anonym, deutschsprachiger Raum)

© KHM-Museumsverband
© KHM-Museumsverband

Robert Gander, Kunsthistoriker und Co-Kurator der Schallaburg-Ausstellung

„Letzte Darstellung des geozentrischen Weltbilds“

„Die Renaissance wird heute oft als Epoche des Bildes wahrgenommen, aber sie war auch ein Zeitalter des Buches. Noch vor den Künstlern entdeckten Gelehrte die Antike über die Schriften des Altertums wieder. In der Renaissance kommen auch die Naturwissenschaften auf. Das Astronomicum Caesareum ist ein Höhepunkt der Buchkunst des 16. Jahrhunderts und gleichzeitig ein wissenschaftliches Instrument. Es bildete um 1540 das astronomische Wissen seiner Zeit ab. Auf runden Scheiben aus Papier werden Sterne und Planeten in kolorierten Holzschnitten dargestellt. Diese sogenannten ‚Volvellen‘ sind übereinander montiert und drehbar, um Himmelskonstellationen abzulesen. Die neuen Erkenntnisse flossen in der Renaissance mit magischem Denken zusammen. So verwendeten etwa Ärzte und Heilkundige astronomische Kenntnisse, um durch die Stellung der Sterne den besten Zeitpunkt für medizinische Eingriffe zu finden. Das Astronomicum Caesareum gilt als die letzte Darstellung des geozentrischen Weltbilds, in dem die Erde den Mittelpunkt des Universums bildet. 1543 kam dann mit Johannes Kepler der Nachweis des heliozentrischen Weltbilds. Das von den Kaisern Karl V. und Ferdinand I. in Auftrag gegegebene Astronomicum Caesareum war also bereits nach drei Jahren veraltet, behielt jedoch seinen Wert als Prunkinstrument.

Der prächtige Foliant ist ab April in der Ausstellung ‚Renaissance: einst, jetzt & hier‘ auf der Schallaburg zu sehen. Die Leihgabe aus der Stiftsbibliothek Zwettl wird in einem Raum über die Hohe Schule Loosdorf gezeigt. Das war ein protestantisches Gymnasium, das die Herren von Losenstein gründeten. Christoph II. von Losenstein und sein Sohn Hans Wilhelm bauten die Schallaburg im 16. Jahrhundert von einer mittelalterlichen Festung zu einem Renaissanceschloss aus. Sie bewegten sich in einem geistigen Milieu mit bildungshumanistischen Ambitionen. Die vier Klassen ihrer Schule standen Schülern aller Schichten offen, der Unterricht erfolgte nach den neuesten Lehren des Reformators Martin Luther.

Als das Land Niederösterreich die Schallaburg 1968 erwarb, war sie stark verfallen. Nach der großen Renovierung eröffnete das neue Besucherzentrum 1974 mit der Ausstellung ‚Die Renaissance in Österreich‘. Heutzutage ist der Zugang differenzierter, man spricht vielmehr von unterschiedlichen ‚Renaissancen‘, die sich ausgehend von Italien nördlich der Alpen ausgebreitet haben. Die diesjährige Jubiläumsschau stellt die Schallaburg selbst ins Zentrum. Aus ihrer überbordend-prunkvollen Ausstattung spricht der Repräsentationsdrang der Losensteiner. In den letzten Jahren erbrachten historische Dokumente neue Erkenntnisse. So ergab ein Schätzgutachten von 1650, dass im Garten einst ein Ballhaus stand. Dort wurde das Jeu de Paume gespielt, eine Frühform des Tennis und die Trendsportart zu jener Zeit.“● ○

Astronomicum Caesareum, 1540 (Leihgabe: Zisterzienserstift Zwettl)

© Schallaburg
© Schallaburg