Der allwissende Algorithmus
Das Wort Algorithmus kennen die meisten von uns heute aber eher, ehrfürchtig verklärt, mit bestimmtem Artikel: der Algorithmus. Der Algorithmus ist das System einer Plattform, welches uns Inhalte vorschlägt. Spotify etwa schummelt uns Lied um Lied, Album um Album in die Playlist; die Plattform lernt von unseren Aktivitäten und trifft unseren Geschmack immer genauer. Dabei teilt sie uns in sehr kleine, individualistische Marktsegmente ein: Du hörst viel Bilderbuch. Andere, die viel Bilderbuch hören, hören auch gerne Wanda, also wird dir als nächstes ein Wanda-Track vorgeschlagen. Egal, um welche Musik es sich handelt – Hauptsache, du hörst weiter, bleibst auf der Plattform.
Damit nivelliert Spotify Musik – und führt damit konsequent fort, was große Musiklabels schon seit Generationen machen: Welche Musik sie produzieren, ist ihnen egal – Hauptsache Albenverkäufe, Chartplatzierungen, Marktanteil.
Thomas Edlinger leitet das Donaufestival in Krems, das sich immer wieder mit KI befasst hat, vor allem in seiner diesjährigen Ausgabe unter dem Motto „Beyond Human“. Er beobachtet: „Industriell gefertigte, fast automatisierte Popstar-Modelle wie zum Beispiel im K-Pop folgen quasi maschinellen Kalkulationen. In der populären oder kommerziellen Musik sind diese Prozesse schon immer gang und gäbe. Da rüsten sich die Mittel nur ein bisschen auf.“ Was populär ist, wird produziert und empfohlen. Doch die Plattformen weisen auch Fluchtwege aus dem eingezäunten Garten der Major Labels: Noch nie war es für einen im Schlafzimmer produzierten Track so barrierearm möglich, an die Chartspitze zu stürmen. Auch wenn Retortenpop dominiert, zeichnen sich Brüche ab, die tiefer gehen und das Marketingmonopol von Labels in die Bedeutungslosigkeit verbannen könnten.
Das ist nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken, dass selbst die Entwicklerinnen und Entwickler der Algorithmen mittlerweile nicht mehr gänzlich nachvollziehen können, was ihre erweckten Monster da tun. „Das ist das alte Blackbox-Problem der KIs: Wir wissen nicht, was genau sie macht und abbildet“, so Edlinger. Moderne Algorithmen für KI-Systeme enthalten eine Unmenge an einzelnen Parametern, die genau vorgegeben werden müssen, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Statt jedoch jeden einzelnen Parameter händisch festzulegen, werden die Algorithmen trainiert: Sie werden mit enormen Datensätzen – mit oft fraglichen Urheberrechten – gefüttert. In einer automatisierten Schleife passt sich der Output dann immer mehr an den Inhalt der Datensätze an: Was mit Klimt gefüttert wird, produziert immer Klimt-ähnlichere Bilder. Wer Kafka durch die Schleife jagt, bekommt immer kafkaeskere Texte. Und auch mit Frank Sinatra wurde schon digital trainiert. Mit jedem einzelnen Lerndurchlauf ändern sich die Parameter dabei nur ein kleines bisschen, aber in der permanenten Wiederholung ist am Ende nicht mehr nachvollziehbar, was genau diese Parameter abbilden. Nur Input und Output bleiben sicht- und verstehbar.