© Teresa Wagenhofer
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Round Table

„KI ist wie Dynamit"


Neue Technologien gingen immer schon mit neuen Ästhetiken einher. Die KI wirkt zweifellos auch in der Kunst disruptiv. Entstehen durch die Co-Kreation von Mensch und Maschine neue Spielregeln? Müssen wir unsere Vorstellung von menschlicher Kreativität grundlegend hinterfragen? Oder sollten wir die Geräte einfach öfter abdrehen? Darüber diskutierten Medienkünstler Markus Wintersberger und Regisseur Simon Meusburger im Wiener Schubert Theater, das Letzterer leitet.

Unser Umgang mit künstlicher Intelligenz ist ambivalent: In vielen Bereichen des Alltags verlassen wir uns auf algorithmische Verknüpfungen – siehe Navigations-Apps, Siri, Alexa, soziale Medien. Zugleich inszeniert die Populärkultur Bedrohungsszenarien, in denen die Maschinen den Menschen beherrschen. Wie gehen Sie beide mit diesem Spannungsfeld um?

Markus Wintersberger

:

Diese Ambivalenz begleitete neue Medien immer schon. Die entscheidende Frage lautet: Wollen wir uns damit auseinandersetzen – oder lieber doch nicht? KI ist wie Dynamit, sie hat das Potenzial, sämtliche Gewissheiten in die Luft zu sprengen: Was passiert mit uns? Wie geht’s in der Kunst weiter? Was wird aus Kunstinstitutionen? Alles steht auf der Kippe.

Simon Meusburger

:

Ich verbinde die KI eher mit utopischen denn dystopischen Möglichkeiten. Natürlich stellt sie uns neue Fragen, fordert uns heraus. Bei der heurigen Ars Electronica gab es etwa ein Projekt, bei dem es darum ging, etwas zu zeichnen, das allein Menschen erkennen können, nicht aber die KI. Allen Bemühungen zum Trotz erkannte die KI aber fast immer das Bild. Was ist also das spezifisch Menschliche an Wahrnehmung?

Was vermuten Sie, Herr Meusburger?

Meusburger

:

Ich weiß es auch nicht. Das Beispiel zeigt, dass es im Aufeinanderprallen von Mensch und Maschine keine einfachen Antworten gibt.

Die Kunst­produktion steht an einem Wendepunkt

KI vernichtet in Form von Bots und robotergestützten Indus­trien aktuell großflächig Arbeitsplätze. Je nach Anschauung wird das als Chance oder Gefahr für den Arbeitsmarkt bewertet. Was aber ist mit der Kunst in der KI-Ära? Werden lernende Maschinen demnächst Künstlerinnen und Künstler ersetzen?

Wintersberger

:

Gegenfrage: Wie definieren wir Kunst aufgrund der neuen Spielregeln, die KI mit sich bringt? Sind es denn überhaupt neue Spielregeln? Und akzeptieren wir diese? Ob sich die Koordinaten für die Kunst verschieben, wird sich längerfristig zeigen. KI empfinde ich als faszinierendes Werkzeug, mit dem ich interagiere, in einen Dialog trete.

Die KI also gewissermaßen als kreativer Sparringspartner? Hätten wir also ChatGPT zu diesem Interview einladen müssen, damit auch die Maschine ihren Standpunkt vertreten kann?

Wintersberger

:

Das hätten wir wohl tun sollen!

Was wäre, wenn ChatGPT behaupten würde: „Ich bin das größte Genie aller Zeiten!“

Wintersberger

:

Das wäre okay. Das behaupten ohnehin bereits viele von sich.

Meusburger

:

Und es wäre genauso anmaßend.

Herr Meusburger, tauschen Sie sich auch wie Herr Wintersberger mit der KI aus?

Meusburger

:

Im Grunde ja. Bei meinem ersten KI-Projekt ging es um Pinocchio: Ein Roboter sollte Pinocchios Abenteuer erleben. Ich fütterte GPT2, einen Vorgänger von ChatGPT, mit Carlo Collodis Buchvorlage. Die Maschine erzählte die Geschichte dann selbstständig weiter. Ich hatte also eine künstliche Figur auf der Bühne, die authentische Dialoge sprach. Mind-blowing!

Sie beide bezeichnen KI als künstlerischen Partner. Sprechen Sie der lernenden Maschine auch eigenständige Kreativität zu?

Wintersberger

:

Das ist der Punkt, der Ängste weckt. Wir hängen der Illusion der künstlerischen Eigenständigkeit nach, der auratischen Zuschreibung, dass Künstlerinnen und Künstler aus sich selbst schöpfen. Solch tradierte Übereinkünfte lösen sich aber gerade auf – es ist spannend, zu beobachten, welche Eruptionen damit einhergehen. Man wird nicht umhinkommen, KI als Werkzeug zu akzeptieren. Man wird lernen müssen, dass neue Chancen eröffnet werden, zugleich Probleme damit einhergehen. In der Kunst wird das für viele an die Schmerzgrenze gehen – und darüber hinaus.

Gerade das Theater hat Berührungsängste, wenn es um digitale Möglichkeiten geht: Die Bühne wird als ur-analoge Kunstform betrachtet. Wo liegt Ihre Schmerzgrenze, Herr Meusburger?

Meusburger:

:

Da wir vom Figurentheater kommen, sind wir von Haus aus mit hoher Schmerz­toleranz ausgestattet! Als Puppenspieler sind wir gewohnt, tote Materie zu aktivieren. Ob ich einer Schaumstoffpuppe oder digitalen Pixeln Leben einhauche, ist insofern einerlei. Für ein kleines Theater wie das unsere eröffnet die KI ungeahnte Möglichkeiten, um mit neuen Bildwelten zu experimentieren. Durch die Open-Access-Bewegung sind viele Apps frei zugänglich – darin liegt ein demokratisierendes Moment. Hoffentlich bleibt das auch so.

Wintersberger

:

Dagegen sind die Hard- und Software für viele Projekte extrem teuer. Die hohen Kosten waren und sind in der Medienkunst ein Problem.

Muss man als Medienkünstler auch IT-Fachmann sein?

Wintersberger

:

Man muss kein ausgewiesener IT-Experte sein, aber wer sich als Kunstschaffender künftig behaupten will, sollte einen gewissen Überblick haben. Die Beschäftigung mit digitalen Tools lässt sich mit dem Erlernen eines Musikinstruments vergleichen: Wer sein Werkzeug beherrschen, das Potenzial ausschöpfen will, muss sich täglich damit auseinandersetzen.

Viele Theater und Museen sind in der Gründerzeit entstanden. Verlangt Medienkunst nach neuer, anderer Architektur?

Wintersberger

:

Benötigt Medienkunst überhaupt ein Haus? Das Digitale ist fluid, unbehaust. Aber wir brauchen reale Treffpunkte, um uns mit den Herausforderungen des Digitalen auseinanderzusetzen. Beispielsweise wurde in Tulln ein Haus der Digitalisierung eröffnet.

Meusburger

:

Der digitale Raum ist für uns eine Erweiterung des Theaters, ein permanentes Experimentierfeld. Gerade arbeiten wir an einem Projekt, bei dem die Zuschauer und Zuschauerinnen nach Vorstellungsende in ihren eigenen vier Wänden von einer digitalen Figur besucht werden.

Unter dem Begriff „Deep Fake“ versteht man Bilder, die so täuschend echt wirken, dass man die Fälschung nicht mehr erkennt, sodass eine Welt entsteht, die nicht existiert. Laufen wir als Gesellschaft Gefahr, die Übereinkunft untereinander über die Realität zu verlieren?

Wintersberger:

:

Deep Fake ist ein populäres Phänomen, wobei der politische Missbrauch furchtbare, völlig unkontrollierbare Folgen haben kann – womit wir wiederum bei der dystopischen Mystifizierung von Medien wären. Ein anderes Beispiel: Die Streiks der Schauspielerinnen und Schauspieler in Hollywood zeigen wiederum, dass man sich gegen technische Möglichkeiten zur Wehr setzen und Reglementierungen einfordern kann. Die Studios wollten digitale Klone erstellen, welche die Filmindustrie nach Belieben einsetzen kann. Der Traum von Unsterblichkeit und ewiger Jugend könnte – zumindest für den Avatar – also wahr werden. Die Film- und die Gaming-Industrie sowie die Musikbranche mögen Vorreiter sein. Tatsächlich steht die gesamte Kunst- und Kulturproduktion an einem dramatischen Wendepunkt.

Meusburger

:

Deep Fake mag die Spitze des Eisbergs sein, wir wissen aber schon lange, dass Bildern im digitalen Raum nicht zu trauen ist. Dadurch sind wir gezwungen, uns bewusst zu machen, wie wir die Welt wahrnehmen. Niemand zwingt uns, Deep-Fake-Fotos zu betrachten. Wir könnten unseren Medienkonsum radikal einschränken, unsere Geräte abschalten und wieder mehr im Wald spazieren gehen.

Niemand zwingt uns, Deep-Fake-Fotos zu betrachten.

Ermöglicht die künstlerische Zusammenarbeit mit KI transhumane Erfahrungen? Verfügen lernende Maschinen über eigene Fantasien, die sich von jenen des Menschen unterscheiden?

Wintersberger

:

Das ist womöglich der nächste Schritt, daran wird gerade geforscht. Noch kann davon nicht die Rede sein, allerdings befinden wir uns bereits in einem Graubereich: KI greift in Echtzeit auf enorme Datenmengen zu. Dahinter stecken gewaltige Netzwerke, die in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut wurden. Aufgrund der permanenten Dateneingabe beginnen die Maschinen bereits, auf KI-generierte Informationen zurückzugreifen. Der von KI selbst generierte Datenkörper wächst minütlich.

Meusburger

:

Die Sehnsucht, einen „besseren Menschen“ zu erschaffen, ist in der Kunst ein bekannter Topos. Was bleibt uns Menschen, sollte es je diesen „besseren Menschen“ in künstlicher Ausgabe geben? Die ganze Diskussion um KI läuft doch darauf hi­naus: Menschen haben die Fähigkeit, menschlich zu sein. Nutzen wir diese, bitte, auch. ● ○