Round Table

„Was ist hinter dem Hügel?“


Ein vielfältiges Kulturangebot außerhalb der Städte ist keine Selbstverständlichkeit. Der Enthusiasmus von Künstlerinnen und Künstlern sorgt dafür, dass Konzerte, Theaterstücke oder Ausstellungen auch am Land gut ankommen. Darüber sprach morgen mit Julia Lacherstorfer, der Intendantin des Festivals Wellenklänge in Lunz am See, David Czifer und Max Mayerhofer vom Lastkrafttheater sowie Günther Gross, dem Gründer der

Kunstfabrik Groß-Siegharts.

Wir möchten in Zukunft verstärkt transkulturell arbeiten.

Die Unterscheidung zwischen Stadt und Land wird immer unschärfer, nicht zuletzt durch den übergreifenden medialen Raum. Wie nehmen Sie als Kulturschaffende diese Grenze wahr?

Julia Lacherstorfer

:

Für mich existiert diese krasse Trennung nicht. In Lunz am See gibt es sehr viele Leute, die in Wien arbeiten und am Wochenende heimfahren. Oder sie haben Familie in Lunz, sind ein paar Tage in der Stadt und ein paar am Land tätig. Ich wohne in Wien, verbringe aber auch viel Zeit in unserem Bauernhaus in Oberösterreich. Beide Umgebungen haben etwas für sich.

Günther Gross, Sie stammen aus dem Waldviertel und sind nach Ihrem Kunststudium in Wien bald zurückgekehrt. Wie war dieser Wechsel?

Günther Gross

:

Ich bin gleich nach dem Diplom ins Waldviertel gegangen. Damals fand ich dort nichts, wo man wirklich gut hätte ausstellen können. Als ich 2009 die Kunstfabrik Groß-Siegharts gründete, war mein Vorsatz: Unsere Ausstellungen müssen durch Qualität überzeugen. Heute haben wir zusammen mit den Galerien Thayaland in Raabs bereits vier Programmschienen, darunter auch einen Projektraum für junge Kunst. Wenn heute jemand fertig studiert hat und aus dem Waldviertel kommt, muss er fast bei mir ausstellen.

Max Mayerhofer und David Czifer, mit Ihrem Lastkrafttheater touren Sie jedes Jahr durch Niederösterreich. Waren historische Wanderbühnen ihr Vorbild?

David Czifer

:

Ja, wobei uns vor allem ein barrierefreies Theater am Herzen lag. Damit sich alle die Aufführung leisten können, zahlt das Publikum keinen Eintritt. Für uns spielte natürlich auch die Romantik des Herumziehens mit dem Lkw eine Rolle.

Max Mayerhofer

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Wir wollten an den antiken Thespiskarren anknüpfen, an diese 2.500 Jahre alte Tradition der Wanderbühne, nur dass wir sie mit 400 PS ins 21. Jahrhundert geholt haben. Nach langem Hin und Her fanden wir mit Karl Gruber einen Sponsor, einen Spediteur, der selbst leidenschaftlich gerne Laientheater spielt. Für unsere Tournee von Ende April bis Anfang Juli leiht er uns einen seiner Lkws. Für die Spielzeit dekorieren und füllen wir ihn mit unseren Kulissen und Requisiten. Herr Gruber ist ein begeisterter Teil des Ganzen – ohne seine Hilfe würden wir nirgendwo hinkommen.

Ihr Lastkrafttheater feiert 2023 sein zehnjähriges Bestehen. Wie hat es sich entwickelt?

Czifer

:

Bei unserer ersten Tour standen elf Orte auf dem Programm, heuer werden es 31 Stationen sein. Wir treten auf großen Haupt- und Marktplätzen auf. Das ist eine andere Form des Theaters, da muss man viel stärker mit den Leuten spielen. Die Spielfläche ist auch offener als eine normale Bühne, breiter und dafür weniger tief. Wir haben die gesamte Technik wie etwa Scheinwerfer am Lkw eingebaut. Vor Ort brauchen wir nur einen 16-Ampere-Starkstrom-Anschluss, Sitzgelegenheiten und Toiletten. Die Größe des Publikums variiert zwischen 150 und 250 Personen, bei unserer besten Vorstellung waren es sogar 600.

Hier am Tisch sind drei Modelle versammelt: Festival-, Tournee- und Halbjahresbetrieb. Wie kommen sie beim lokalen Publikum an?

Mayerhofer

:

Grundsätzlich ist jede Gemeinde anders, aber wir erleben sie als Partnerin. Vielleicht kriegt man in einem Ort etwas Besseres als im anderen zu essen. Aber im Großen und Ganzen freuen sich alle, dass wir kommen. Über die Jahre stieg die Wertschätzung und entstanden viele Freundschaften.

Czifer

:

Wir wählen gemeinsam mit unserer Regisseurin Nicole Fendesack geeignete Stücke aus. Um die Leute reinzuziehen, müssen es „laute“, bunte Komödien sein, wo viel passiert. Das ist gar nicht so leicht, weil klassische Boulevardkomödien, wo von hinten jemand durch die Tür kommt, am Laster nicht funktionieren. Klassische Autoren wie Nestroy oder Goldoni, die Stücke für Marktplätze geschrieben haben, lassen sich auf dem Lkw sehr gut spielen.

Lacherstorfer

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Die Wellenklänge haben vielleicht den Ruf, ein elitäres Programm zu machen. Das ist nicht unsere Absicht, aber unser Schwerpunkt liegt eben auf zeitgenössischen Strömungen abseits des Mainstreams. In den ersten 20 Jahren hat unsere Gründerin Suzie Heger oft sehr experimentelle Musik nach Lunz gebracht. Prinzipiell können wir nur jemanden einladen, von der oder dem wir selbst überzeugt sind. Ich glaube aber, unser Programm ist so gestaltet, dass jede und jeder etwas finden kann. Oft hören wir von Leuten, sie wüssten schon im Voraus, dass es ihnen wahrscheinlich gefallen werde – egal welches Konzert sie buchen. Auch wenn es nicht zu hundert Prozent ihr Geschmack ist, können sie nachvollziehen, warum wir es hörenswert finden. Wir haben immer ein inhaltliches Thema, das auf Gesellschaftspolitik Bezug nimmt. Da vertreten wir oft einen Standpunkt, den viele in unserem Publikum nicht teilen. Es ist auch eine Gratwanderung, sich nicht vorne hinzustellen und zu vermitteln, wir wüssten, wie es geht, weil wir aus der Stadt sind – und unser Publikum nicht.

Blasmusikkapelle und Laientheater haben am Land Tradition. Die bildende Kunst erscheint hingegen mehr als urbanes Produkt. Herr Gross, wie gehen Sie mit Schwellenängsten des lokalen Publikums um?

Gross

:

Es ist die wichtigste Aufgabe, Vorurteile zu entkräften, weil die Kunst eben nicht elitär ist. Da ist auch schon ein Bauer in Gummistiefeln aufgetaucht, der hat genauso Sachen bei uns entdeckt. Ich sage immer: Schau einmal, was du selber siehst, etwa in einem abstrakten Bild. Jeder hat seinen individuellen Zugang – und den muss man einfach pflegen. Wenn ich die eigene Begeisterung vermittle, dann funktioniert es auch.

Kunst ist eben nicht elitär.

Versuchen Sie, an Kultur vor Ort anzuknüpfen?

Lacherstorfer

:

Für unsere Festivalbroschüre machen wir Interviews mit regionalen Betrieben und Persönlichkeiten, und im Rahmen der Wellenklänge findet auch jedes Jahr das traditionelle Jakobisingen statt, das speziell bei der einheimischen Bevölkerung beliebt ist. Wir möchten in Zukunft auch verstärkt transkulturell arbeiten, etwa mit den Kuratorinnen Ines Mahmoud und Asma Aiad vom Festival Salam Oida. Das Café im Lunzer Haus der Wildnis betreibt eine afghanische Familie. Wir planen dort einen Frühschoppen. Dafür haben wir zum ersten Mal auch einen jungen Lunzer Klarinettisten mit seinem Duo eingeladen und sind noch auf der Suche nach afghanischen Musiker*innen.

Czifer

:

Das Schöne an Kunst ist ja, dass sie Leute zusammenbringt. Das erlebten wir am Beginn der syrischen Flüchtlingsbewegung. Damals bekam die Gemeinde Gerasdorf eine Familie aus Syrien zugeteilt. Der Bürgermeister fragte uns, ob diese das Catering bei uns machen könnte. Wir spielten, und sie kochten. Das war wunderbar, dass das Theater diese Verbindung herstellen konnte.

Gross

:

In der Kunst ist das schwierig, weil – wen lade ich ein? Als Laie einen Volkshochschulkurs absolvieren und dann bei uns ausstellen zu wollen, ist ein bisschen zu wenig. Am Anfang kamen sehr viele mit ihren Mappen, aber das ging so nicht. Man muss sehr vorsichtig sein: Ich wünsche mir ja, dass sich die Leute mit Kunst auseinandersetzen. Aber ich will auch ein Programm machen, mit dem ich wirklich gut bestehen kann. Mittlerweile hat sich das eingespielt.

Was würden Sie gerne verbessern?

Lacherstorfer

:

Unser großes Problem ist, dass es zu wenige Quartiere gibt. Schon wenn wir im Herbst Zimmer für unser Team und ein paar Künstler*innen buchen wollen, wird das zum Problem. Früher gab es noch viele privat geführte Pensionen. Gäste, die sich spontan zum Festivalbesuch entscheiden, haben kaum eine Chance.

Gross

:

Ich hätte gerne noch eine bessere Öffentlichkeitsarbeit. Es ist oft ein Kampf, dass überhaupt ein Journalist aufs Land hinauskommt. Wir bringen einmal im Jahr ein Magazin heraus. Damit wollen wir Leute für das Waldviertel interessieren, dass sie sehen, es gibt nicht nur eine Ausstellung, sondern auch noch fünf andere.

Mayerhofer

:

Wenn die Infrastruktur besser wäre, könnten wir noch an mehr Orten unsere Form des Theaters machen. In Wien gibt es zwar sehr schöne Plätze, und wir spielen auch auf einigen, aber viele haben keinen Stromzugang.

Was ist Ihnen für die Kultur in Niederösterreich gelungen?

Czifer

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Wir haben eine Plattform geschaffen, wo der ganze Ort zusammenkommt. Da hatten wir wunderschöne Begegnungen.

Mayerhofer

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Ich wollte immer wissen: Was ist hinter dem Hügel? Jetzt fahren wir seit zehn Jahren herum, haben 250 Vorstellungen gespielt und kommen trotzdem noch in Ecken, wo wir noch nie waren. Außerdem sind wir gewachsen. Am Ende unserer Vorstellungen sind meist mehr Leute da als am Anfang. Das kann man auch auf die letzten zehn Jahre umlegen. Die richtige Kommunikation mit den Gemeinden mussten wir erst lernen, Stichwort: Plakate aufhängen. Darum können wir nicht oft genug bitten, zur Not auch mit Schmäh.

Gross

:

Mich freut besonders, wenn Menschen, von denen man das nicht vermutet, begeistert sind. Die kommen dann und sagen, dass ihnen ein Bild oder eine Skulptur gefällt. Die finden sich da drinnen wirklich zurecht – was ich nicht immer geglaubt habe. Wenn man selber vom Land ist, kennt man die Leute ja sehr gut …

Lacherstorfer

:

… und unterschätzt sie vielleicht manchmal! Also, ich habe in den letzten Jahren erfahren, dass die Festivalzeit für ganz viele Leute ein Fixpunkt in dieser herrlichen Umgebung am See ist. Wir bekommen so viel Feedback, dass sie sich in kurzer Zeit so bereichert fühlen. Dann fahren sie inspiriert und glücklich wieder heim. ●○