Kultur • Waldviertler Hoftheater

Wilde Mischung


Ein sterbender Don Quijote verjagt Gelsen, Katzen spazieren über die Bühne und das Servicepersonal entpuppt sich als Ensemble: Das Waldviertler Hoftheater beantwortet die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Leben auf ganz eigene Art. Über einen „Dritten Ort“, an dem Avantgardedichtung ebenso willkommen ist wie der Räuberhauptmann Grasel.

Früher, da kam es schon vor, dass eine Katze die Bühne querte. Mitten im Stück. Oder dass Hühner im Zuschauersaal herumliefen. Manchmal drang Gelächter oder Lärm von außen herein. Damals, als nur Bretter den Saal vom Hof trennten.

Plastikflamingo

Mittlerweile ist es sieben Jahre her, dass Moritz Hierländer das Theater von seinem Vater Harry Gugenberger übernommen hat. Es liegt am Ortsrand von Pürbach im Waldviertel, einer Gemeinde mit, Stand 1. Jänner 2022, 239 Einwohnerinnen und Einwohnern. Früher war hier, wo jetzt der Spielbetrieb rund 15.000 Besucherinnen und Besucher jährlich anzieht, ein Bauernhof. Wer heute den Vierkanter betritt, gelangt zunächst in einen Garten, wo Plastikflamingos in der Erde stecken. Zur Linken, im einstigen Saustall, lädt eine Wirtsstube mit Bühne zum Verweilen ein. Geradeaus geht es in den Theatersaal. Zur Rechten wartet die Sektbar.

Beim Besuch von morgen im Waldviertler Hoftheater ist es erst März und noch eiskalt. Das Lokal dient momentan als Lagerstätte – Keyboards, Heizstrahler, Lampenschirme, Gitter und Schachteln stehen im Raum, die Stühle noch auf den Tischen. Sie harren der Gäste, die ab Mai hier eintreffen werden. Praktischerweise liegen die Garderoben der Schauspielerinnen und Schauspieler gleich nebenan. Wer hier auftritt, verlässt das Gebäude durch den Gastraum. Der Tisch gleich beim Eingang, der „Einsertisch“, ist reserviert für die Künstlerinnen und Künstler. „Mit ihnen kommen die Gäste dann ins Gespräch. Das Theater wird greifbar“, sagt Moritz Hierländer Das Publikum nimmt sich dabei kein Blatt vor den Mund, schon gar nicht ihm gegenüber: „Die Leute sind ehrlich. Sie sagen es auch, wenn es ihnen nicht gefällt.“

Die Leute sagen es, wenn es ihnen nicht gefällt.

Pürbach 14

heaterenthusiastisch zu bezeichnen, könnte eine leichte Untertreibung sein. Zweieinhalb Stunden lang führen sie durch ihr mit so viel Hingabe betriebenes Haus. Kaum hat man einander begrüßt, legt Moritz los und erzählt von den Abenden hier, in Pürbach Nummer 14. Diese können nämlich lange dauern. Manchmal wird die Wirtsstube zum Ausgangspunkt für ein Stück. Eine Inszenierung des Singspiels „Im weißen Rössl“ begann sehr speziell. Da kellnerten die Schauspielerinnen und Schauspieler, danach klingelte Caroline Hierländer mit einer Glocke – um wie immer den Beginn der Aufführung anzukündigen – woraufhin jedoch ihr Mann behauptete, dass das Stück abgesagt sei. Das schauspielernde Servierpersonal protestierte, bis dann auch der letzte Gast bemerkte, dass die Aufführung schon begonnen hatte. Kunst und Leben: in ein neues Verhältnis gebracht.

Die deutsche Kulturwissenschaftlerin Katja Drews erforscht seit einigen Jahren die Funktion sogenannter „Dritter Orte“ im ländlichen Raum. Als solche werden Räume definiert, in denen sich Menschen abseits ihres Wohnraums oder Arbeitsplatzes aufhalten. Laut Drews haben gerade regionale Kulturorte eine besondere Funktion. „Ländliche Räume“, schreibt sie in einem Essay, „brauchen eine starke Wahrnehmung – noch konkreter gesagt: starke Wahrnehmungsräume, in denen sie sich ‚verdichten‘ und sichtbar bleiben, auch wenn die Einwohner*innenzahl schrumpft. Wo die physischen Bewohner*innen als Raumhandelnde fehlen, bedarf es der kommunikativen Verdichtung, damit ein möglichst konkretes, im Idealfall positives lokales Image Kontur bekommt, ein ‚Etwas‘ als Anker für regionale Identität der Bewohner*innen.“ Kommunikative Verdichtung – das Waldviertler Hoftheater zeigt vor, wie das geht.

Wie wird das Theater in Pürbach wahrgenommen? Moritz Hierländer lacht: „Wir haben die theatergebildetste Feuerwehr der Welt!“ Früher war diese bei den Aufführungen stets zugegen, heute muss das nicht mehr sein. Gibt es Menschen aus Pürbach, die noch nie die Nummer 14 besucht haben? Moritz Hierländer: „Ja, wahrscheinlich zehn oder 20.“ Längst hat sich eine Community herausgebildet, das Publikum kommt zu 60 Prozent aus dem Einzugsbereich Gmünd, Waidhofen/Thaya und Zwettl. Aber auch Menschen aus Wien und Linz mit Zweitwohnsitz sind häufig Gäste.

Durchhaltevermögen

Das Bemerkenswerte am Waldviertler Hoftheater ist nebst so vielem anderen sein Durchhaltevermögen: Dieses Jahr geht es in die 38. Spielsaison. Dabei suchte Harry Gugenberger in den 1980er-Jahren im Waldviertel vor allem eines: Ruhe. Der für wenig Geld erhältliche Hof bot sich an. Doch aus den Kulturveranstaltungen, die er dort abhielt, wurde bald mehr. 1986 gründete er mit seiner Frau, der 2005 verstorbenen Schauspielerin Stella Hierländer, dem Grafiker Reinhold Hartl-Gobl und dem prominenten Schauspieler Wolfgang Böck das Waldviertler Hoftheater. In der Sektbar dokumentieren einige vollgehängte Wände die Geschichte: Ankündigungen, Plakate, Spiegel, Fotos sowie die „Applausordnung“ – also die Reihenfolge, wann sich wer nach der Vorstellung verbeugt – prangen darauf.

Wenn Caroline und Moritz Hierländer durchs Haus führen, wissen sie zu jedem Ding eine Geschichte zu erzählen. Vom Theatersaal geht es über eine Seitenbühne, von dort in die Maske: Eine Reihe roter Stühle, aufgepflanzt vor einem langen Spiegel, versprüht ein wenig Broadway-Flair. In der Bühnenbildwerkstatt stapeln sich riesige Kulissenelemente. In der Requisite ragt ein Skelett aus einer Schachtel, hängen Glitzerketten auf einem Garderobenständer, verstauben alte Computer auf Regalen unter der Decke. Weitere Highlights: eine alte Registrierkasse sowie ein rosa Sarg, in dem einst Evita Perón lag, dargestellt von einem Mann – eine Tatsache, die Moritz Hierländer böse Mails einbrachte.

Wir sind ein Theaterwohnzimmer.

Röhrender Hirsch

Die Programmierung ist seit jeher eine wilde und gute Mischung. Es soll für alle etwas dabei sein. Kabarett gibt es hier ebenso wie einen Abend zum Wiener Avantgardedichter H. C. Artmann. Im Oktober führt man unter Mitwirkung von „Mundl“-Legende Erika Deutinger ein neues Stück des Dramatikers Christoph Frühwirth auf, es wurde eigens für das Hoftheater verfasst und heißt „Der röhrende Hirsch“ – ein Titel, der an diesem Ort Selbstironie verspricht. 2021 führte man Robert Seethalers Roman „Der Trafikant“, in dem es um Antisemitismus geht, in einer Theaterfassung auf. „Da kamen in eine Aufführung durchschnittlich 60 Personen“, erinnert sich Moritz Hierländer. Manchmal würden Leute anrufen und fragen, „ob ein Stück eh lustig sei“. Bei Seethalers „Trafikant“ musste er diese Frage verneinen. Anspruch sei ihm wichtig: „Theater muss vielschichtig bleiben.“ Auch die Satiretruppe Maschek gastierte hier: „Da kamen viele junge Leute, die sonst nicht ins Theater gehen.“ Ebenso zeigt man Klassiker – Shakespeares „Der Sturm“, Nestroys „Lumpazivagabundus“, Goethes „Faust“. Letzteren inszenierte der hochgelobte Regisseur Ludwig Wüst, der dem Publikum eine eigenwillig-trashige Version des Dramas servierte.

Kreatives Durcheinander: Kostümfundus


Einstiegsdroge

Ist das Waldviertler Hoftheater für manche eine Einstiegsdroge in die Theaterwelt? Caroline Hierländer bejaht: „Es gibt keine Hemmschwellen, die Leute kommen so, wie sie sind – egal, ob aufgemascherlt oder in Turnschuhen. Sie fühlen sich wohl und jederzeit willkommen. Wir sind ein Theaterwohnzimmer.“

Es gibt auch eine Outdoor-Bühne, direkt neben der Straße. Dort lag einst ein sterbender Don Quijote und schlug sich mehrmals ins Gesicht – eine Gelse belästigte ihn. Der Bezug zum Ort wird hier auch auf andere Art gepflegt: Bisweilen werden Schauplätze kurzerhand ins Waldviertel verlegt. Und 2008 inszenierte Hakon Hirzenberger ein Drama über Räuberhauptmann Grasel, der im Waldviertel sein Unwesen trieb. Momentan interessiert sich Moritz Hierländer für Carl Casimir Henninger, einen Zauberkünstler aus dem nahen Amaliendorf, der als Bauchredner und Hypnotiseur auftrat und sogar von Kaiser Franz Joseph empfangen wurde. Laut Wissenschaftlerin Drews entsteht an Dritten Orten die „Kommunikation über das lokale ‚Vor-Ort‘ besonders sprechend und ausstrahlungsstark durch die Bearbeitung von Heimatgeschichte, dem Stoff, aus dem lokale Erzählungen gemacht sind“. Mit seinem Programm wirkt das Theater in die Umgebung hinein, ohne provinziell zu sein.

Was treibt Sie an, Caroline und Moritz Hierländer? „Ich liebe den Zauber des Moments, die Schauspieler und Schauspielerinnen atmen zu hören“, sagt Caroline Hierländer, „nicht-alltägliche Situationen zu erleben.“ Ihr Mann erklärt: „Ich möchte die Menschen bereichern mit Geschichten – sodass sie etwas mitnehmen, vielleicht auch lernen. Das ist der Auftrag des Theaters.“

Wie das Waldviertler Hoftheater diesen Auftrag erfüllt: Das wird auch in dieser wild gemischten Saison wieder spürbar werden. ● ○

Einst Bauernhof, heute Theatervorplatz


Highlights 2023:

Uli Boettcher, „Auszeit“, 25. und 26. Mai

„Den Hut auf, oder es knallt!“, 27. Mai

„Lumpazivagabundus“, ab 30. Juni

„Kleine Eheverbrechen“, ab 8. Juni

„Elvis – Ein Traum von Graceland“, ab 20. Juli

„Der röhrende Hirsch“, ab 12. Oktober

Spielplan unter:

hoftheater.at