Wanderausstellung

Von schwebenden Zauberkästchen und sprechenden Skeletten


Vor rund 100 Jahren, am 1. Jänner 1922, trat das sogenannte Trennungsgesetz in Kraft – es teilte Wien und Niederösterreich in zwei Bundesländer. Anlässlich dieses Jubiläums kuratierte des Team des Hauses der Geschichte die Wanderausstellung „Niederösterreich. 100 Jahre, Orte, Ereignisse“ (museumnoe.at/de/haus-der-geschichte): Jedem Jahr ordnete man ein Ereignis an einem Ort zu. Die entsprechenden Fotos und Texte reisen nun, versammelt auf großen Karten, durch Schulen und andere öffentliche Gebäude quer durch das Bundesland. morgen befragte das wissenschaftliche Team – Andrea Thuile, Julia Trimmel und Benedikt Vogl – zu jenen Bildern und Begebenheiten, die sie besonders beeindruckt haben. Und erfuhr mehr über die Magie einer neuen Seilbahn, einen Besuch Nikita Chruschtschows im Tullnerfeld und über die Entdeckungen, die ein Grabungsteam unter einem St. Pöltner Parkplatz machte.

Benedikt Vogl über die Eröffnung der Raxseilbahn, 1926

Mitte der 1920er-Jahre erlebt Niederösterreich eine Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs. Die schwierige Umbruchszeit nach dem Ersten Weltkrieg scheint überwunden. Auch im Tourismus werden neue Akzente gesetzt. Das Symbol dafür ist für mich die Raxseilbahn, die nach einer Bauzeit von weniger als einem Jahr, am 9. Juni 1926, eröffnet wird. Als erste touristische Seilbahn Österreichs bringt sie Bergbegeisterte von Hirschwang in die „Hochgebirgswildnis“ der Rax, wie es in einer Werbebroschüre heißt. Eine der höchsten Erhebungen Niederösterreichs ist damit auch für wenig bergerfahrene Menschen einfach zu erreichen. „Unmerklich, wie beim Aufflug eines Aeroplans, schwebt ein Zauberkästchen mit uns aufwärts, über Wipfel, über denen nun keine Ruhe mehr ist“, beschreibt ein damaliger Zeitungsartikel die Eindrücke einer Bergfahrt.

Der Bau der Seilbahn stellt den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung dar, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts eingesetzt hat: die Erschließung des Rax-Schneeberg-Gebiets durch markierte Wege, Steige und Schutzhütten, die Bergerlebnisse in relativer Nähe zur Hauptstadt Wien ermöglichen. Das Seilbahnprojekt ist eng mit dem Schaffen des Unternehmers und Wirtes Camillo Kronich verbunden. Er treibt mit Geschäftssinn und Engagement die Entwicklung der Region voran und lässt einige der Steige anlegen, die noch heute zu den beliebtesten Anstiegen auf die Rax zählen.

Keine Ruhe mehr

Schon nach kurzer Zeit ist die Bedeutung der Raxbahn für die Region nicht zu übersehen: Bereits im ersten Jahr werden fast 180.000 Personen mit ihr auf den Berg befördert. Das Seilbahnprojekt auf die Rax­alpe steht aber auch symbolisch für die Beziehungen zwischen Wien und Niederösterreich, die trotz der formalen Trennung ab 1922 eng verflochten bleiben. So sind es vor allem Wienerinnen und Wiener, die mit der Gondel auf den „Berg der Großstadt“ fahren.

Andrea Thuile über die Kukuruz-Wette, 1960

Im Juli 1960 berichtet die internationale Presse vom Besuch Nikita S. Chruschtschows – zu diesem Zeitpunkt Regierungschef der UdSSR – in Österreich. Es ist ein Freundschaftsbesuch, der vor dem Hintergrund des Kalten Krieges stattfindet und für Aufsehen sorgt. Denn die Stimmung zwischen den Westmächten und der Sowjetunion ist angespannt: Zwei Monate zuvor wurde ein US-amerikanisches Aufklärungsflugzeug über sowjetischem Territorium abgeschossen und der Pilot gefangen genommen. Der Zwischenfall lieferte den Beweis für die bis dahin geleugnete US-amerikanische Luftspionage über der Sowjetunion. Als Reaktion auf den Vorfall brach Chruschtschow ein kurz darauf stattfindendes Gipfeltreffen führender Politiker aus der UdSSR, den USA, Großbritannien und Frankreich in Paris frühzeitig ab.

Schwein nie geliefert

Nun reist der sowjetische Politiker neun Tage lang durch Österreich, trifft Regierungsmitglieder, Gewerkschaftsführer und lokale Politiker, besichtigt Fabriken, Kultur- und Gedenkstätten. In Niederösterreich besucht er den elterlichen Bauernhof von Nationalratspräsident Leopold Figl in Rust im Tullnerfeld. Bei der Besichtigung der Felder stellt Chruschtschow die Behauptung auf, russischer Mais wäre zehnmal ertragreicher als österreichischer. Figl wettet dagegen, als Wetteinsatz wird ein Zuchtschwein vereinbart. Tatsächlich lässt Chruschtschow kurz darauf Saatgut nach Rust schicken, wo ein „russisches Feld“ angelegt und von einem sowjetischen Agrarexperten der Botschaft in Wien kontrolliert wird. Letztlich gewinnt Figl die Wette – der österreichische Mais ist dem russischen gleichwertig –, das ausgelobte Schwein wird allerdings nie geliefert.

Heute ist die „Kukuruz-Wette“ eine Anekdote. Für Österreich bedeutete der Besuch des Kreml-Chefs eine Aufwertung auf dem internationalen politischen Parkett. Nicht zuletzt gelingt es Bundeskanzler Julius Raab bei dieser Gelegenheit auch, mit Chruschtschow eine beträchtliche Verringerung der österreichischen Reparationsabgaben für den Zweiten Weltkrieg an die Sowjetunion zu vereinbaren.

Julia Trimmel über Skelette unter dem Domplatz, 2010

Das obenstehende Foto stammt von den archäologischen Ausgrabungen am St. Pöltner Domplatz, die von 2010 bis 2019 stattfanden. Einen besonderen Stellenwert hat es für mich wegen seiner wissenschaftlichen Relevanz und meiner persönlichen Verbindung zu dem Grabungsprojekt. Die Ausgrabungen zeigen, welche reichhaltigen kulturellen Schätze in Niederösterreich noch zu finden sind.

Zweimal wöchentlich als Marktplatz verwendet, diente der Domplatz in den letzten Jahrzehnten hauptsächlich als Parkplatz. Der Wunsch der Stadt nach einer Neugestaltung bis 2023 erforderte vorbereitende Grabungsarbeiten. Da bekannt war, dass sich archäologische Strukturen unter dem Platz befinden, wurde die Stadtarchäologie mit der Erforschung des Domplatzes beauftragt.

Unter der Oberfläche warteten ein weltweit einzigartiges Bioarchiv von menschlichen Skeletten und sensationelle wissenschaftliche Erkenntnisse, die einen bedeutenden Beitrag zur Stadt- und Landesgeschichte leisteten. Als Teil des Archäologenteams durfte ich dazu beitragen, die historischen Bodenschätze des Domplatzes zutage zu fördern.

Einmaliges Bioarchiv

Vom römerzeitlichen Aelium Cetium wurden Straßenzüge, Kanäle und ein mehrteiliger Gebäudekomplex mit Badehaus, Aula sowie einem Verwaltungs- und Wohntrakt dokumentiert. Die Räumlichkeiten waren größtenteils mit Fußbodenheizung versehen und weisen darauf hin, dass der Eigentümer der Anlage ein hohes Ansehen genoss. Welche Bedeutung die Stadt in der römischen Provinz Noricum ripense hatte, können hoffentlich weitere wissenschaftliche Untersuchungen klären.

Im Mittelalter bildete der Domplatz mit dem Augustiner-Chorherrenstift, dem Dom, der Pfarrkirche, der Andreaskapelle und dem Stadtfriedhof das religiöse Zentrum der Stadt. Bei den Grabungen konnten über 22.100 Skelette freigelegt und geborgen werden. Sie geben Aufschlüsse über die Lebensweise, Ernährung, Hygiene und Krankheiten der vergangenen Jahr­hunderte.