Lana Bastašić
Radmila Vankoska
Lana Bastašić

Bastašić

"Gefühle formen Städte"


Die bosnische Autorin Lana Bastašić bewegt sich zwischen Metropolen und Kulturen. Um über den – von den Jugoslawienkriegen geprägten – Balkan schreiben zu können, musste sie erst Abstand gewinnen. Mit morgen sprach sie über identitätsstiftende, paralysierte und lebendige Orte – und darüber, dass relevante Literatur der Blase einer urbanen Kulturszene entkommen muss.

morgen: Sie leben derzeit in Belgrad. Als Heimat betrachten Sie aber die Literatur?

Lana Bastašić

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Auf jeden Fall. Ich würde nie sagen, dass es nur den einen Ort für mich gibt. Ich bin viel umgezogen, schon als Kind. Die Literatur ist dabei in gewisser Weise die Konstante gewesen.

In Ihrem Roman „Fang den Hasen“ kehrt die Erzählerin nach Bosnien zurück und muss die Wahlheimat Dublin ablegen. Ist auch Ihre Identität durch Städte mitbestimmt?

Definitiv, viel mehr als durch Länder oder nationale Identität. Ich habe bei vielen Städten das Gefühl, dass ich zu ihnen gehöre oder sie zu mir. Für mich war es sehr prägend, in Banja Luka aufzuwachsen. Egal, wohin ich gehe, dieser Teil begleitet mich. Dort lernte ich das Schreiben, schloss Freundschaften und begann, über meine Umgebung nachzudenken. Es war eine komplizierte Zeit. Als ich vier war, zog meine Familie zunächst von Zagreb in das Dorf meiner Großeltern, Lišnja. Das ist nahe Banja Luka. Dorthin übersiedelte ich, als der Jugoslawienkrieg begann. Ich litt nicht wie andere, aber ich bekam Kriegsfolgen und ethnische Säuberungen mit. Leute flohen und änderten ihre muslimischen Namen. Als serbisches Mädchen war ich nicht in Gefahr. Ich hatte aber auch kein Geld, um woanders hinzugehen. Also blieb ich in Banja Luka zum Studieren. Rückblickend bin ich froh, so konnte ich mir ein größeres Bild machen, auch die Nachkriegssituation sehen.

Auf einem Roadtrip von Mostar nach Wien fahren Ihre Protagonistinnen durch bedrückende Dunkelheit. Wie düster ist heute die Lebenssituation in den Städten Bosniens auch außerhalb der Fiktion?

Ich wollte zeigen, dass Mostar immer noch ethnisch geteilt ist, aber gleichzeitig eine Touristenfalle für Europäerinnen und Europäer. Banja Luka wird zum Herz der Finsternis. Dabei geht es nicht um Fakten: Ich bin nicht an Realismus interessiert, sondern an der emotionalen Landschaft, daran, wie Gefühle und Erinnerungen diese Städte formen. Es liegt jedoch immer Wahrheit in der Fiktion. Die Orte sind dunkel, das ist kein Klischee. Es herrscht Arbeitslosigkeit, viele talentierte Leute verlassen das Land. Ich bekam trotz zweier Hochschulabschlüsse keinen Job. Es gibt immer noch Nationalismus – all die Krankheiten aus den 1990er-Jahren sind noch da, auch wenn die Menschen sie nicht sehen wollen. Ich muss darüber erzählen.

Ist es auf dem Land noch schwieriger?

Die meisten jungen Leute sind weggezogen. Wenn ich durch Orte am Land gehe, habe ich das Gefühl, dass sie leer sind. Das ist traurig, denn sie sind schön. Mein Traum ist, dass ich das Haus meiner Großeltern in Lišnja renoviere und behalte, weil es für mich ein besonderer Ort ist. Auch Banja Luka wird bald eine Stadt der alten Menschen sein. In Bosnien herrscht eine Gastfreundschaft wie im alten Griechenland, aber gleichzeitig eine Lähmung – wie die Joyce’sche Paralyse. Ich wollte beim Schreiben durch Metaphern zeigen, dass dieser Ort in der Zeit feststeckt.

Sind Sie jetzt in Belgrad Teil einer lebendigen Literaturszene?

Ja, es gibt eine Menge neuer Stimmen. Leider bin ich mir nicht sicher, ob Literatur etwas verändern kann. Wenn man eine Botschaft vermitteln will, wäre es sinnvoller, dies über eine Realityshow im Mainstream zu tun. Ich kann ein Buch veröffentlichen, aber ich bin Teil einer Blase. Wir haben in Serbien im Grunde ein Einparteiensystem, wirklich schlimm. Aber Schriftstellerinnen und Schriftsteller halten sich da heraus – sie betrachten sich als intellektuelle Elite. Nicht einmal innerhalb der Blase arbeitet man zusammen. Ich glaube aber an Solidarität. Gemeinsam mit anderen initiierte ich das Projekt „3+3 Sisters“. Die Idee dabei: Drei Autorinnen vom Balkan sprechen bei Lesungen jeweils über drei andere.

Wie erleben Sie die Situation von Schriftstellerinnen auf dem Balkan?

Wir haben es überall mit institutionalisiertem Patriarchat zu tun. Was Frauen schreiben, wird nicht als ernsthafte Literatur gesehen. Wenn man sich in ländliche Gebiete begibt, werden Schriftstellerinnen völlig igno­riert. Am Land in der Nähe von Banja Luka gibt es ein Literaturfestival: Ich wurde nie eingeladen, dabei habe ich ein Buch über diese Stadt geschrieben! Ich nehme es nicht persönlich. Der Direktor einer kulturellen Institution hat öffentlich gesagt, dass er Antifeminist ist. Wir führen also einen mühsamen Kampf, aber wir müssen ihn führen.

Mehrere Jahre lebten Sie in Barcelona, nun überlegen Sie, wieder dorthin zu gehen. Brauchen Sie Städte oder eher das Reisen zum Schreiben?

Ich mag es, wie lebendig eine Stadt sein kann, aber gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass die Bewohnerinnen und Bewohner zynischer werden und dass das der Literatur schaden kann. Deshalb möchte ich mich manchmal davon wegbewegen. Ich idealisiere das Landleben nicht. Es könnte auch eine Stadt mit einer anderen Sprache sein, aber man sollte die Umgebung ändern, wenn man etwas über sich lernen möchte. Für mich war es in Barcelona einfacher, weil mich niemand als Schriftstellerin kannte, ich fühlte mich anonym. Die Welt ist vernetzter geworden. Und die Rechte und extreme Ideologien sind wieder auf dem Vormarsch, das macht mir Angst. Meine Antwort darauf ist, aus meiner Blase herauszukommen. Wir müssen andere Kulturen, Wege und Perspektiven kennenlernen, das ist für Schriftstellerinnen und Schriftsteller heute notwendig. Anstatt Dinge zu imaginieren, sollte man hingehen und schauen. Selbst wenn man über die Heimatstadt schreiben will.

2020 erhielten Sie den Europäischen Literaturpreis. Welche Bedeutung messen Sie ihm bei?

Für mich war er sehr wichtig. Er trägt dazu bei, dass man übersetzt wird. Die Geschichte Bosniens und des Balkans sollte als eine europäische gesehen werden. Es gibt nicht nur die EU, sondern auch uns, die wir normalerweise vergessen werden. ● ○