BMW Architekten / Renée del Missier

Mittelstädte

Energetische Einsprengsel


Wie können sich Klein- und Mittelstädte zwischen Großstadt und Landleben behaupten? Erich Bernard vom Architekturbüro BWM beschreibt, wie vergessene Orte wieder an Attraktivität gewinnen können und warum jeder Ort eine Chance hat.

Klein- und Mittelstädte wurden lange Zeit übersehen. Wenn Städterinnen und Städter aufs Land kommen, dann wollen sie richtig aufs Land und nicht in eine kleine Stadt. Bewusst oder unbewusst, gesteuert oder ungesteuert, finden hier gerade Positionierungsprozesse statt. Diese Städte fangen an sich zu überlegen: „Wer bin ich eigentlich? Was erzählt man über mich? Warum kommt man zu uns?“ Wie Klein- und Mittelstädte jetzt anfangen, eigene, kleine Attraktoren zu entwickeln, finde ich sehr spannend zu beobachten.

Ich setze mich intensiv mit Tourismusfragen außerhalb der Stadt auseinander, mit der Bewegung von der Stadt aufs Land, und habe bereits viele Projekte in Niederösterreich realisiert, die sich mit dem Thema der Kultur außerhalb der Großstadt befassen. In Krems und in Wiener Neustadt haben wir diverse Projekte umgesetzt, ebenso zwei Landesausstellungen in Niederösterreich. Unser erstes Projekt aber war das Cinema Paradiso in St. Pölten, der Umbau eines bestehenden Kinos zu einem Programmkino mit Bar. Ende der 1990er-Jahre war St. Pölten noch eine verschlafene Stadt und die Landesregierung erst seit Kurzem dort. Aber genau das ist eine Chance für eine Stadt. Die Leerflächen kleiner Städte bieten oft ein spannendes Entwicklungspotenzial, das wirkungsvoller sein kann als das einer Großstadt. Das Cinema Paradiso wurde 2006 zum besten Kino Europas gekürt. Das Programmkino war zu einem Anziehungspunkt geworden und veranlasste auch Wiener Kinos zum Umdenken: Sie sahen, dass Programmkinos nicht zwangsläufig aussterben müssen. Ein weiterer Anziehungspunkt in St. Pölten ist die New Design University (NDU).

Das Charakteristikum einer Metro­pole ist, dass sie Energie ausstrahlt. Wenn Kleinstädte solch kleine Einsprengsel von den Metropolen übernehmen, geht plötzlich auch von ihnen eine derartige Energie aus. Die NDU oder die Donau-Universität in Krems sind zu solchen Anziehungspunkten geworden. Ich finde, es ist eine sehr clevere Strategie, solch qualitativ hochwertige Ausbildungsplätze aufzubauen.

Städte mit Charakter

Ein anderes Thema ist das Destinationsmanagement. Das klingt so artifiziell, aber tatsächlich überlegt man sich ja, warum gehe ich wohin und welches Bild habe ich dabei im Kopf. Hier geht es auch um Branding: Bei Stein an der Donau habe ich den Weinbau und die Minoritenkirche im Kopf, bei Krems die Kulturinstitutionen und die Donau-Universität, trotz ihres Standortes in Stein. Man weiß sofort, was die jeweilige Marke ausmacht. Wenn man kein Bild im Kopf hat, dann ist das nicht entwickelt. Ein Reflexionsprozess ist wichtig. So machen wir das auch bei unseren Hotelprojekten. Es kann überall, an jedem Ort ein Hotel entstehen. Man muss nur die Besonderheit des Ortes herausfinden.

Interaktionen

Wenn sich Klein- und Mittelstädte solch einen Grund für ihre Existenz und ihre Attraktivität überlegen, wenn sie erklären können, warum man zu ihnen kommen soll, dann haben sie eine Chance. Man kann nicht alle Wünsche bedienen, aber man kann das alte Stadtleben wieder aktivieren. Man denke an Italien. Da gibt es so viele Klein- und Mittelstädte, die einen starken Charakter haben.

Eine Qualität des öffentlichen Raumes ist es, wenn er gesellschaftliche Prozesse ermöglicht, wenn er eine Bühne bietet, auf der etwas stattfinden kann. Das nennt man Social Design. Die Antithese dazu ist, dass der ganze öffentliche Raum der Straße geopfert wird, dass es nirgends einen Platz gibt, an dem soziale Interaktion stattfinden kann.

Mit der Gestaltung des öffentlichen Raumes allein ist es aber nicht getan, das ist nur eine Basis. In einem zweiten Schritt muss der Raum belebt werden. „Curated“ ist hier ein vielzitiertes Wort. Wenn man die Belebung sorgfältig kuratiert, dann können kleine Initiativen neues Leben in die Stadt bringen. In Drosendorf zum Beispiel sind eine ganze Menge an Initiativen entstanden: Da wurde aus einer Mühle ein Hotel, da gibt es ein Wirtshaus, ein Freibad, ein Kino.

Austauschprozesse

Die kleinste Einheit einer sozialen Interaktion ist das Wirtshaus. Die Wiederbelebung vieler Orte beginnt aus dem Wirtshaus oder einer Bar heraus. Das würde ich als Nukleus des gesellschaftlichen Begegnungsraums betrachten. Das Wachstum von Mödling, Baden oder Perchtoldsdorf hingegen ist stark dem Trend geschuldet, dass die Menschen am Land leben wollen, aber in der Stadt arbeiten. Spannender finde ich da kleinere Städte wie Horn oder Drosendorf. Zu so einem kuratierten Prozess gehört auch, dass man die Kultur fördert. Das geschieht in Niederösterreich.

Die Großstadt braucht ihr Umfeld nicht unbedingt. Das ist das Wesen einer Metropole. Dennoch profitiert Wien von seiner Umgebung. Attraktive Städte beschleunigen den Austauschprozess. St. Pölten erreiche ich von Meidling aus mit dem Zug in 20 Minuten. Viele Leute fahren für eine Abendveranstaltung von Wien nach St. Pölten und umgekehrt. Das macht die Stadt interessant und bereichert den Austausch. Ähnliches kann zwischen Mittelstädten und den umliegenden Dörfern stattfinden. Krems zum Beispiel hat viele schöne Dörfer rundherum. Das macht Krems attraktiv.

Problematisch sind die Fachmarktzentren am Stadtrand, die zerstören das öffentliche Leben in der Stadt. Das ist eine fatale Entwicklung, eine Ortsentwicklungsstrategie, die jahrzehntelang falsch gelaufen ist. Man kann aber, wenn genug Bausub­stanz vorhanden ist, die Entwicklung wieder umdrehen. Gerade jetzt ist die Zeit reif für solche Schritte. Die Sehnsucht nach lebendigen Ortszentren ist da. Das merken wir auch stark in der Hotellerie. Da bilden sich kleine Zentren, tot geglaubte Plätze werden wiederbelebt. Ich finde es spannend, in solche Prozesse involviert zu sein. ● ○