Standpunkte

Wie geht geschlechtergerechte Sprache?


In jeder Ausgabe stellt morgen drei Menschen, die sich auskennen, eine Frage. Diesmal:

Habe noch keine zufriedenstellende Lösung gefunden

Wenn von geschlechtergerechter oder gendergerechter Sprache die Rede ist, weist das auf das Binäre – das Weibliche und Männliche – hin. In meinem Verständnis sollte Feminismus aber eine Gleichheit fördern, die alle Identitäten, also Transmenschen, nicht-binäre Menschen, People of Colour und Vielschichtigkeit im weitesten Sinne mitdenkt. Ich würde deshalb einen Begriff wie identitätsgerechte Sprache bevorzugen, der alle anspricht und sichtbar macht.

Ich bin mit der männlich dominierten Form und einem männlich dominierten Kanon in der Literatur aufgewachsen. Erst später habe ich Texte gefunden, die auch andere Identifikationsangebote machen. Die gelernte Norm hat mich in meinen Schreibanfängen stark geprägt. Heute versuche ich, Gerechtigkeit in den Identitätsbezeichnungen in meine Sprache und meinen Ton zu integrieren.

In meinem ersten Roman habe ich noch nicht auf Gendern geachtet. Ich habe damals aber in meinen Essays begonnen, mit dem Sternchen zu gendern, was ich heute noch mache. Bei literarischen Texten habe ich noch keine zufriedenstellende Lösung gefunden. Ich versuche, neutrale Varianten wie Studierende und Anwesende oder das Passiv zu verwenden. Es ist ein Lernprozess, aber es ist wichtig, dass wir jetzt Brücken schlagen, sodass die Sichtbarkeit aller Menschen in der Sprache gewährleistet ist. Und eine Sprache finden, die allen gehört, zu der alle gehören.

Wir wollen das generische Femininum

Ihre Frage, wie gegendert werden soll, ist bemerkenswert, denn sie setzt voraus, dass gegendert wird. Das ist ein ziemlicher Fortschritt, nachdem jahrzehntelang gefragt wurde, ob wir überhaupt gendern sollten. Seit 42 Jahren plädiere ich dafür, dass unsere Sprache in Bezug auf Frauen und Männer gerechter werden muss. Inzwischen ist die Gruppe der Transgender, Nicht-Binären bzw. Diversen hinzugekommen.

Mitte der 1980er-Jahre haben wir Feministinnen Christoph Buschs Vorschlag des großen I – LehrerInnen – übernommen. Es sieht fast so aus wie das generische Femininum, das wir eigentlich wollen. Viele Feministinnen haben, nachdem die Männer über die „blöden Doppelformen“ geschimpft haben, gesagt: Völlig richtig, es ist viel zu lästig, die Männer immer mitzuerwähnen, also nehmen wir das generische Femininum, zum Beispiel: Jede kehre vor ihrer Tür. Die Sternchen, Schrägstriche und andere störende Einsprengsel entfallen. Das war die radikalfeministische Position.

Ich habe 2014 gegen den Genderstern plädiert, weil Frauen damit die Wortendung zugewiesen bekommen. Aber ich habe verschiedene Kompromissvorschläge gemacht, zum Beispiel eine Fusion des i mit dem Genderstern, der an die Stelle des i-Tüpfelchens tritt. Solange das Sternchen-i nicht auf den Tastaturen ist, können wir wie die Sängerin P!nk das Ausrufezeichen benutzen, das ein umgekehrtes i ist: Lehrer!nnen. Es gibt also verschiedene Möglichkeiten des Genderns. Eine Lösung wird sich durchsetzen. Welche das ist, ist im Moment nicht abzusehen.

Gendern gehört zur Unternehmensstrategie

Für mich ist es keine Frage, ob, sondern nur, wie man gendert. Im ORF gehört das Gendern zur Unternehmensstrategie. Schon als ich vor 14 Jahren im ORF Niederösterreich begonnen habe, war das Bewusstsein für geschlechtergerechte Sprache da, wenn auch weniger breit verankert als jetzt: Manche Texte mussten noch entsprechend redigiert werden. Jetzt ist der Prozess der Bewusstseinsbildung abgeschlossen, und es wird höchstens in Ausnahmefällen, meist aus Schlampigkeit, nicht gegendert.

Gendern ist ein Qualitätskriterium im Journalismus, und der ORF hat hier zudem eine gesellschaftliche Vorbildfunktion. Als Chefredakteur des ORF NÖ schreibe ich aber nicht vor, wie zu gendern ist, also ob man im Radio oder Fernsehen zum Beispiel „Kolleginnen und Kollegen“ oder „Kolleg*innen“ sagt und eine kurze Pause vor „-innen“ macht. Mir ist wichtig, dass sich alle angesprochen fühlen und niemand ausgeschlossen wird. Gendern macht Formulierungen manchmal länger, aber das soll keine Rolle spielen: Gendern steht auf einer höheren Stufe.

Gleichstellung hört aber nicht bei der Sprache auf. Der ORF beteiligt sich zum Beispiel an der 50:50-Challenge der BBC, um den Anteil von Frauen in der Berichterstattung zu steigern. Auch der ORF NÖ nimmt teil: Wir evaluieren den Frauenanteil laufend und verbessern uns von Monat zu Monat. Das ist aber nicht so einfach wie das Gendern in einem Beitrag. In manchen Bereichen ist es eine große Herausforderung, Frauen vor den Vorhang zu holen. Deshalb haben wir eine Expertinnendatenbank angelegt. Das bringt einen spannenden Prozess in Gang.