Kolumne

Von Töchtern und Söhnen


Nach meiner Ankunft in Österreich Mitte der 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts wunderte ich mich, dass hierzulande der Internationale Frauentag nicht begangen wird. Nicht einmal in den Studentenkreisen, in die ich gleich hineingefallen war, kannten alle die Bedeutung dieses, für mich wichtigen, Tages. Am 8. März feierten wir nicht nur die Mütter und Großmütter, sondern auch Kolleginnen, Tanten, Schwestern, Cousinen, Lehrerinnen, Mitschülerinnen, Schaffnerinnen in der Straßenbahn, Krankenschwestern, Laborantinnen, Kartenabreißerinnen im Kino, mit einem Wort: ausnahmslos alle Frauen.

Um so langweiliger wurde für mich der Muttertag, den ich bis dahin nicht gekannt hatte. An einem Tag im Jahr wurde die Mutter in den Mittelpunkt gerückt, bekocht, beschenkt, mit Blumen überhäuft und von ihren Kindern zum Essen ausgeführt. Und obwohl ich gleich den ersten Muttertag in Österreich als Mutter feiern konnte, fühlte ich mich unwohl in meiner Haut. Was ist mit den anderen Frauen, die gern Mütter geworden wären, denen aber die Mutterschaft verwehrt geblieben ist, fragte ich mich.

Als ich darüber mit den Wiener Studenten sprach, wurde ich gleich gefragt, ob ich Feministin sei. Und das mit einem Unterton, der eine negative Einstellung mehr als deutlich machte. Gerade, dass ich nicht gefragt wurde, ob ich eine Suffragette oder ein Blaustrumpf sei. Ehrlich gesagt, dachte ich bis dahin nicht darüber nach, ob ich eine Feministin bin oder nicht. Mein Credo war: Ich bin eine Frau, ich fühle mich wohl damit und schaue darauf, dass es uns Frauen gut geht und dass wir in der Geschlechterordnung nicht untergehen.

In dieser Zeit lernte ich Erica Fischer, die Mitbegründerin der feministischen Zeitschrift AUF kennen. Zu dem Zeitpunkt war sie Aktivistin der Neuen Frauenbewegung in Österreich. Es war nur eine kurze Begegnung – wir waren als Gruppe gemeinsam im Kino, danach kochten wir in Ericas Studenten-Wohngemeinschaft ein kleines Abendessen für uns alle. Aber die angeregten Gespräche und vor allem die Atmosphäre der Gleichberechtigung in der WG blieben mir bis heute in Erinnerung. Kein Deut davon, dass nur die anwesenden Frauen kochten, wegräumten und abwuschen. Wenn ich nur an meinen eigenen Vater denke, der fast sein ganzes Leben lang keinen Finger im Haushalt gerührt hat, weil es für ihn glasklar war, dass es die Sache seiner Frau und der drei Töchter wäre. Erst im Alter, als wir Töchter ausgezogen waren und die Mutter kränkelte, begann er auch Hand anzulegen und sich an der Haushaltsarbeit zu beteiligen. Am liebsten bügelte er. Und erst, als er einmal bei uns in Österreich auf Besuch war und unaufgefordert die Hemden meines Mannes bügelte, versöhnte er mich mit seinem Macho-Gehabe aus meiner Kindheit.

Die neuen österreichischen Freundinnen und Freunde bewunderten am Sozialismus vor allem den freien Zugang der Frauen zum Studium, Gleichberechtigung am Arbeitsplatz und Erwerbstätigkeit trotz Mutterschafft. Sie vergaßen dabei, dass die Berufstätigkeit der Frauen in der Nachkriegszeit kein Befreiungsakt war, sondern eine Notwendigkeit. Das kommunistische Regime war wirtschaftlich wenig effektiv, die Frauen mussten, weil die gefallenen Kriegshelden fehlten, an die Maschinen, die Kinder ab sechs Monaten in die Kinderkrippen, Kindergärten und Ganztagsschulen. Resultat war eine Doppel- und Dreifachbelastung der Frauen. Die „Gleichberechtigung“ sah so aus, dass Frauen Männerarbeit zum niedrigeren Lohn verrichteten. In den Chefetagen saßen ausschließlich Männer.

Was wir aber dem Westen tatsächlich voraushatten, war eine ausgezeichnete Nachmittagsbetreuung in den Schulen mit warmem Mittagessen, Beaufsichtigung bei den Hausaufgaben, aber vor allem Freizeitgestaltung wie Gesangs-, Theater- und Tanzgruppen, Basteln, Kunst und Sport. Auch in der Wissenschaft durften wir uns ausprobieren und die Schullabors an Nachmittagen unter Beaufsichtigung der Lehrer benutzen. Frei nach dem Motto von Wladimir Iljitsch Lenin – lernen, lernen, lernen – strömten wir an die Schulen und Universitäten, weil darin unsere Eltern eine bessere Zukunft für uns sahen.

Als ich in den 70ern an der Wirtschaftsuniversität in Bratislava studierte, waren etwa 60 Prozent der Studierenden Mädchen. Selbstverständlich kostete die Ausbildung nichts. Es gab damals keine Immatrikulations- und keine Studiengebühren. Die einzige Hürde waren die Aufnahmeprüfungen, die leider viel zu oft zugunsten politischer Protegés manipuliert wurden (mehr darüber ein anderes Mal).

Als nach der Wende Anfang der 1990er-Jahre westliche Feministinnen in die Tschechoslowakei kamen, hatten sie zu Beginn eine verzerrte Vorstellung von Kommunismus und Feminismus in den ehemaligen Oststaaten. Wie könnte es auch anders sein? Der Eiserne Vorhang als politische, soziale und ökonomische Barriere erlaubte keinen Blick in beide Richtungen. 

Dazu möchte ich Jana Juráňová, eine führende slowakische Schriftstellerin und Feministin zitieren: „Einerseits sind Menschen hierhergekommen, die überrascht waren, dass bei uns überhaupt irgendeine Zivilisation existiert, andererseits solche, die diesen Teil Europas idealisiert haben. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs kamen Menschen aus Westeuropa, die erwartet haben, dass in diesem Teil der Welt bald ein Wunder geschehen wird, dass bei uns reine, vom Kapitalismus unbefleckte Generationen heranwachsen, die eine neue Welt erbauen werden. Es war eine unglaublich naive Vorstellung, denn unsere vom totalitären System devastierten Menschen freuten sich hauptsächlich auf den Konsum. Heute erwartet von uns niemand ein Wunder, und keiner interessiert sich mehr für uns.“

Inzwischen hat sich in Europa viel getan. Frauen können studieren, arbeiten oder ein eigenes Konto eröffnen ohne jemanden um Erlaubnis bitten zu müssen, sind selbstbewusster und genießen ihre sexuelle Freiheit. Dazu Erica Fischer, die heute in Berlin lebt und immer noch als Feministin aktiv ist: „Durch die verbesserte Lage haben junge Frauen heute einen anderen Ausgangspunkt als ich damals, ganz zu schweigen von den 50er- und 60er-Jahren. Aber die patriarchale Kultur hat sich nicht verändert! Wir haben nach wie vor Frauenverachtung und -feindlichkeit. Wir haben nach wie vor Gewalt in unterschiedlichem Ausmaß – von der extremen Gewalt der Vergewaltigung bis hin zur sexuellen Belästigung, die oft gar nicht als Gewalt wahrgenommen wird. Diese Misogynie drückt sich in der gesamten Kultur aus, sei es in Witzen oder der öffentlichen Rede. Dass das Äußere von Frauen noch immer anders bewertet wird als das von Männern, beeinflusst auch ihre Situation im Beruf und in der Politik.“

Feminismus ist kein Schimpfwort. Und Feministinnen sind keine Männerhasserinnen. Echte Feministinnen verlangen nur jene Rechte, die die Männer schon längst haben. Und dass sie ein freies und gutes Leben führen können. Mit Männern. Es soll genauso selbstverständlich sein, dass eine Frau mit Führungsqualitäten kein Mannweib und ein Mann, der Gefühle zeigt, kein Weichei ist.

Bei der Recherche für diese Kolumne fand ich ein bemerkenswertes Zitat von Gloria Steinem, einer amerikanischen Feministin: „Wir haben begonnen, Töchter eher wie Söhne zu erziehen … aber nur wenige haben den Mut, unsere Söhne eher wie unsere Töchter zu erziehen.“

Wenn eine junge Frau einen Mann kennenlernt, wird sie gleich gefragt, wann geheiratet wird, wann das erste Kind kommen soll, wann das zweite, wie es mit ihrer Karriere weiter geht. Die heutigen Frauen sind taff, sie schaffen alles. Aber erst wenn junge Männer, die gerade eine Familie gründen, anfangen, sich Sorgen zu machen, wie sie Beruf, Haushalt und Kinder vereinen können, sind wir im Feminismus angekommen. ● ○