Haltung zeigen: Nadja Kayali, Katrina Daschner, Vanessa Wieser (von links nach rechts)
Monika Saulich
Haltung zeigen: Nadja Kayali, Katrina Daschner, Vanessa Wieser (von links nach rechts)

Frauenquote

„Männer trauen sich alles zu“


Braucht der Kulturbetrieb eine Frauenquote? Künstlerin Katrina Daschner, Verlagsleiterin Vanessa Wieser und Festivalchefin Nadja Kayali debattierten mit morgen über selbstbewusste junge Schriftstellerinnen, veraltete Rollenbilder und ungleiche Geldverteilung.

morgen: Frau Kayali, Sie sind die designierte Leiterin des Musikfestivals Imago Dei. Werden Sie eine Frauenquote einführen? 

Nadja Kayali

:

Für mich war klar, wenn ich Kompositionsaufträge vergeben kann, haben Frauen Priorität. Wenn dann noch Möglichkeiten da sind, kann ich ja zusätzlich einen Komponisten fragen. Ich habe aber auch viele Frauen in Leitungspositionen geholt. Und zur Eröffnung möchte ich ein starkes Zeichen setzen: Da werden 50 Frauen aus unterschiedlichen Bereichen – von Jazz über traditionelle Musik bis zu World Music – gemeinsam etwas Neues produzieren. Ich nenne das Imago Deae.

Ist traditionelle Musik stark männlich dominiert?

Kayali

:

Absolut, das ist unfassbar. Es war eine neue Erfahrung, dass sich überhaupt keine Frauen aus Eigeninitiative beworben haben. Aber dass mir ungefragt zahlreiche Männer schreiben, die auftreten wollen. Selbst Frauen, auf die ich aktiv zugehe, würden dann nicht noch drei Mal anrufen und mir in den Ohren liegen. Ich war zuerst überrascht. Aber ich kenne das ja von mir selbst.

Es bewarben sich keine Frauen aus Eigeninitiative.

Männer tun sich leichter, etwas einzufordern?

Kayali

:

Ich unterrichte auch an der Universität, da sehe ich dasselbe. Es sitzen 15 Frauen und fünf Männer in einem Seminar. Wenn ich es nicht moderiere, dann reden diese fünf Männer ein Semester lang. Und wer bleibt dann in Erinnerung für Jobs? Für mich wurde dadurch klar, dass ich aktiver auf Frauen zugehen muss. Männer trauen sich alles zu – auch, wenn sie es nicht können. Frauen glauben, sie müssten erst fünf Zusatzausbildungen machen.

Wie sieht es im Filmbereich aus, Frau Daschner?

Katrina Daschner

:

An der Wiener Filmakademie sind 40 Prozent der Studierenden weiblich, aber nur 20 Prozent kommen im Beruf an. Nur 20 Prozent der Professuren sind dort von Frauen* besetzt. Filme von Männern* werden mit einem höheren Budget gefördert, vor allem, wenn Produktionsfirmen dahinterstehen. Es wird Männern* einfach mehr zugetraut. Deshalb setzt sich der 2010 gegründete Verein FC Gloria – Frauen Vernetzung Film für eine Fifty-fifty-Frauenquote ein. Sonst bleiben es immer die gleichen Protagonisten, die sich gegenseitig die Gelder zuschanzen. Gemeinsam mit der Politik wurde im Juli nun eine Richtlinie vorgegeben. Bis Ende 2024 soll es auf allen Projektstufen eine Gleichstellung geben.

Frau Wieser, Sie leiten seit 2007 den Milena Verlag. Ursprünglich handelte es sich um einen reinen Frauenverlag. Warum haben Sie ihn breiter aufgestellt?

Vanessa Wieser

:

Er war in Wien der erste Verlag, der ausschließlich Literatur von Frauen publiziert hat. Irgendwann stand aber die Frage im Raum, wie wir überleben können. Und da entschied ich mich, auch Bücher von Männern zu verlegen, weil ich mich nicht beschränken wollte. Wenn mir ein Buch gefällt, dann möchte ich es machen. Egal, wer es geschrieben hat. Ich wollte diese Entscheidung nicht ans Geschlecht gebunden sehen, das war mir zu radikal. Als ich jung war, war ich radikal, mit mehr Lebenserfahrung wird man gütiger.

Merken Sie denn auch, dass sich Männer selbstverständlicher mit ihren Werken ins Spiel bringen?

Wieser

:

Das hat sich komplett geändert. Es kommt eine Generation junger Frauen, die wahnsinnig selbstbewusst ist, teilweise selbstbewusster als ihre männlichen Kollegen, die ohnehin ein schlechtes Gewissen haben. Ich erlebe zum Teil verunsicherte Männer und sehr starke junge Frauen, die voll an sich glauben. Gleichzeitig beobachte ich gesellschaftlich aber auch einen Backlash hin zu konservativen Geschlechterrollen: Die Männer gehen weiter arbeiten, die Frauen bleiben daheim.

Kinderbetreuung bleibt nach wie vor oft an den Frauen hängen. Wie macht sich das im Kunstkontext bemerkbar?

Daschner

:

In Schweden und in den Niederlanden gibt es inzwischen Richtlinien, dass Kinderbetreuung in Budgets einkalkuliert werden muss: um die Arbeit von Frauen* verstärkt möglich zu machen. Das ist pragmatisch gedacht, verändert aber sehr schnell etwas. Das merken wir auch im Filmbereich: Wenn Frauen* einige Jahre wegen der Kinder aussetzen und nichts produzieren, wirkt sich das ungünstig auf die Karriere aus. Gerade in einem Alter von 25 bis 35 Jahren.

Wieser

:

Ich bin trotzdem skeptisch, was die Frauenquote betrifft. Mittlerweile tun mir die Männer fast leid, weil die Literaturpreise eher zu den jungen Frauen wandern. Auch die Jurys sind durchmischt, oft sind sie sogar verstärkt weiblich besetzt. Das finde ich dann auch nicht mehr gerecht.

Kayali

:

Ich könnte auch gut damit leben, dass wir 70 Prozent Frauenquote haben. Wir sind doch trotzdem noch weit davon entfernt, dass Frauen gleichgestellt sind. Überall wo Frauen hinkommen, werden die Berufe entwertet. Wieso ist es angeblich eine Kernkompetenz der Frau, in der Küche zu stehen? Und wenn man in Restaurants geht, sind es nur Männer, die kochen.

Daschner

:

Das ist ja auch in dieser Pandemie so absurd: Es gibt 80 Prozent Lehrerinnen, und wenn ich eine Nachrichtensendung im Fernsehen schaue, kommen in fast allen Fällen Lehrer als Experten vor die Kamera. Wie soll sich da eine Vorbildfunktion für Mädchen einstellen?

Wir hatten immer eine patriarchale Quote.

Ein Argument gegen die Quote ist ja immer: Qualität setzt sich ohnehin durch. Wie sehen Sie das?

Daschner

:

Mich stört, wenn Festivalleiter wie Markus Hinterhäuser von den Salzburger Festspielen sagen, es ginge ihnen ja nur um die Qualität. Da gibt es ein großes Missverständnis, gerade in der Kunst ist Qualität doch sehr subjektiv. Wir hatten jahrhundertelang immer eine patriarchale Quote, da hat niemand gefragt, ob die Qualität stimmt. Wir sollten alle lernen, vielfältiger und inklusiver zu denken. Ich sehe da noch viel Luft nach oben.

Kayali

:

Der Anspruch an Frauen ist: Sie müssen immer perfekt sein. Als ob wir nur dann eine Berechtigung hätten, wenn wir super sind. Ich finde, auch mittelmäßige Frauen haben eine Berechtigung. Es gibt so viele mittelmäßige Männer, die guten Frauen vorgezogen werden. Wie gleichen wir das aus?

Wieser

:

Ich erlebe aber auch, dass mittelmäßige Frauen besseren Männern vorgezogen werden, weil alle wollen, dass es eine Frau wird. Ich war in den 1990er-Jahren viel in feministischen Kreisen unterwegs, damals hat man sich außerhalb dieser Szene über mich lustig gemacht, wenn ich gegendert habe. Mittlerweile korrigieren mich junge Menschen, wenn ich nicht alles gendere. Die deutsche Philosophin Svenja Flaßpöhler sagt, dass es ohnehin kein Patriarchat mehr gibt, dass man nicht immer an den alten Begriffen kleben soll. Weil sich unheimlich viel tut.

Daschner

:

Scheinbar lebe ich in einem Paralleluniversum. Bei der Bezahlung klafft doch nach wie vor ein Gender-Gap. Je mehr Geld es in einem künstlerischen Segment gibt, desto stärker sind Männer* vertreten. Noch immer sind die Preise auf Auktionen für Künstlerinnen viel geringer. Die Arbeit von Frauen* wird generell schlechter entlohnt. Deshalb ist es relevant, dass die Politik Rahmenbedingungen setzt. Dass es nicht am Goodwill von einzelnen Personen hängt, Frauen* zu fördern. Gerade wenn es um öffentliche Gelder geht, sollten diese doch gerecht und gleichwertig vergeben werden.

Kayali

:

Ich bin auch nicht der Ansicht, dass das Patriarchat zu Ende ist. Ich würde gern wissen, woran Sie das festmachen?

Wieser

:

Feminismus ist mit den Sozialen Medien unglaublich präsent geworden. Alle können mitreden, man lernt viel mehr Meinungen von Menschen kennen, die man vorher nicht gekannt hat. Feminismus ist für mich eine Mode geworden, alle tun, als ob sie Top-Feministen wären. Ich habe früher immer geschrien: Frauen an die Macht. Bis ich gesehen habe, wer dann nach oben kommt. Das waren Systemfrauen, die nichts verändern wollten und keine Gerechtigkeit im Sinn hatten.

Kayali

:

Ist das nicht eine Beschreibung des Patriarchats? Dass ein System von Männern gemacht wurde und die Frauen sich anpassen müssen. Und andere Qualitäten kommen gar nicht zum Tragen.

Wieser

:

Natürlich sollen Mädchen die gleichen Chancen wie Buben haben. Aber Feminismus kann man nicht mit einer Spritze verabreichen, die Gesellschaft verändert sich ohnehin von Generation zu Generation. Als ich ein Mädchen war, gab es als Berufsziele vor allem Kindergärtnerin, Krankenschwester und Sekretärin. Mittlerweile kannst du werden, was du möchtest.

Daschner

:

Deshalb sind die Darstellungen von Frauen* und Männern* in den visuellen Medien ja so wichtig, dass andere Rollenbilder vorgelebt werden. 

Feminismus kann man nicht mit einer Spritze verabreichen.

Kayali

:

Es sind ja auch die alten Stoffe. Warum haben wir nicht mehr starke Frauen auf der Bühne? Ich glaube tatsächlich, dass sich in der Literatur da bereits mehr verändert hat. Wir müssen überlegen, was wir vom Kanon übernehmen möchten. In den letzten Jahren sind endlich auch Komponistinnen aus dem 19. Jahrhundert wiederentdeckt worden.

Daschner

:

Viele Frauen* von berühmten Komponisten waren ja auch maßgeblich an der künstlerischen Arbeit ihrer Ehemänner beteiligt.

Kayali

:

Eine zentrale Frage ist dabei, wer sich um den Nachlass kümmert. Männer haben meist ihre Frauen. Das berühmteste Beispiel ist Einzi Stolz, die immer belächelt wurde. Aber sie hat tatsächlich erreicht, dass die Operetten ihres Mannes Robert Stolz präsent bleiben.

Müsste man nicht bereits in der Erziehung anfangen, ein anderes Geschlechterbild zu kreieren?

Kayali

:

Als Mädchen wird dir gesagt, du musst schön sein. Als Bub musst du gescheit sein. Da sind wir auch wieder im Patriarchat. 

Daschner

:

Eine Rektorin, die genauso agiert wie ein männlicher Kollege, gilt als machtbesessen. Während er als durchsetzungsfähig wahrgenommen wird.

Kayali

:

Wir sollten die großen Strukturen angehen. Der Klimawandel stellt uns vor neue Herausforderungen, wir müssen unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem als Ganzes hinterfragen. Nur so kommen wir aus diesem reaktionären Rosa- und Blau-Denken heraus. ● ○