Helena Eribenne
Heribert Corn
Helena Eribenne

Helena Eribenne

Gefallene Göttinnen


Die Künstlerin Helena Eribenne, einst Musicaldarstellerin, Acid-House-Musikerin und DJ, persifliert den Kolonialismus der Moderne und diskriminierende Einschränkungen im Kunstbetrieb der Gegenwart. Für das „Dissident Goddesses’ Network“ dachte sie über die Rolle der Venus seit der Renaissance nach.

Wie könnte eine moderne Göttin aussehen? Als Helena Eribenne zum Interview- und Fototermin mit morgen in einem Wiener Studio erscheint, hat sie weiße Flügel in ihrer Tasche. Diese federbestückten Requisiten verwendete die Künstlerin schon bei einer ihrer früheren Performances. Heute möchte Eribenne sie für Aufnahmen mit dem Selbstauslöser anziehen. „Überirdischen“ Frauenfiguren widmete sich die Britin schon vielfach, in Fotografien, Filmen und Performances ebenso wie in kunsttheoretischen Texten. „Seit ich denken kann, wollte ich immer auf der Bühne stehen“, erzählt die in London geborene Tochter nigerianischer Eltern. Schon als kleines Mädchen liebte es Eribenne, sich zu kostümieren, zu singen und zu tanzen. Später trat sie in Musicals ihrer Schule auf. Nach ihrem Abschluss wurde die begabte junge Frau Teil der Acid-House-Band S’Express, die 1988 sogar die britischen Charts anführte. „Am liebsten wäre ich jedoch Schauspielerin geworden“, sagt Eribenne heute über ihre frühe Laufbahn.

Man-Ray-Persiflage

Im Rahmen einer Tour kam die Sängerin 1999 als DJ nach Österreich, wo sie schnell Zugang zur hiesigen Kulturszene fand. Wenig später bewarb sich die damals 32-Jährige an der Akademie der bildenden Künste. In der Klasse von Franz Graf begann sie, ihr Interesse an Theater und Musik mit Fotografie zu verbinden. „Aber auch bei meinen Fotoporträts geht es fast immer um Performance, etwa um die Neuinterpretation historischer Arbeiten“, betont die Künstlerin ihren Hang zum Darstellerischen. Für eine dieser Re-Inszenierungen griff Eribenne auf eine Ikone der Fotogeschichte zurück. Gemeinsam mit einem befreundeten Fotografen stellte sie das berühmte Bild „Noire et Blanche“ nach, das Man Ray 1926 geschaffen hat. Das Porträt des Surrealisten zeigt eine weiße Frau mit geschlossenen Augen, die eine afrikanische Maske hält – viele Pariser Kunstschaffenden schwärmten für die sogenannte „primitive“ Kunst. In ihrer Version tritt Eribenne selbst an die Stelle von Man Rays Modell. Von dem im Originaltitel angesprochenen „Weiß“ ist nur mehr der helle Lidschatten auf einem Auge übrig. Wiewohl hochästhetisch, stellt Eribennes Remake auch eine Persiflage auf Man Ray dar. „Dieses Foto entstand aus meiner zunehmenden Frustration darüber, dass von schwarzen Künstler:innen immer erwartet wird, sich mit Hautfarbe, Identität oder Rassismus zu beschäftigen. Als weißer Mann hat man dagegen die Freiheit, zu sagen und zu tun, was man möchte“, erzählt Eribenne dazu. 

Solch stereotype Erwartungen des Kunstbetriebs thematisierte die Engländerin auch in ihrem Solostück „Woman to Woman II“, für das sie 2019 den H13 Niederoesterreich Preis für Performance erhielt. Im Zentrum steht die Frage nach der Repräsentation schwarzer Künstlerinnen und Künstler gestern und heute. Die Künstlerin trat in einem Wohzimmerensemble auf, wie es in den 70er-Jahren für afrobritische Familien typisch war: Sofa mit Stehlampe, Jesusbild, Fernseher. Zur stilistischen Zeitreise zählen auch gehäkelte Deckerl auf dem Mobiliar. Eribenne verkörpert in der ebenso kritischen wie unterhaltsamen Performance eine erfolglose Malerin, die für ihren Unterhalt in einem Jazzclub auftreten muss. In einem Telefonat mit einer Ausstellungsmacherin beklagt sie, in zehn Jahren nur ein einziges Gemälde verkauft zu haben. Durch einen wie magisch auf ihrem Wohnzimmertisch aufgetauchten Brief erhascht die Malerin plötzlich einen Blick in die Zukunft. Sie liest darin von einer Ausschreibung im Jahr 2019, die „BAME“-Künstler, also „Black, Asian, minority ethnic“, zur Bewerbung für ein Projekt zum Thema Rassismus aufruft. Langsam dämmert der Seventies-Künstlerin, dass diskriminierende Einschränkungen auch in 50 Jahren noch nicht überwunden sein werden. „Ich will eure Labels nicht“, verkündet sie empört. „Wir sind heutzutage unterrepräsentiert und das soll auch die Zukunft für schwarze Künstlerinnen sein?“Eine emanzipatorische Wendung erhält die Performance, als sie die Nummer der verantwortlichen Kuratorin aus der Zukunft wählt und sich „von Frau zu Frau“ beschwert. Eribenne wandelte dafür Shirley Browns Song „Woman to Woman“ ab, in dem eine Frau ihre Nebenbuhlerin anruft. „Der Song stammt aus dem Jahr 1974, das eine besondere Bedeutung für mich hat“, sagt die Künstlerin, die wichtige Momente in Kultur und Politik in jener Zeit ausmacht. In ihren Performances geht es immer wieder um Zeitsprünge und -reisen sowie um die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Dabei untersucht die Künstlerin insbesondere, wie Mythen bis heute fortwirken und die Geschlechterverhältnisse prägen. Dieses Interesse brachte sie 2019 mit dem Forschungsprojekt „The Dissident Goddesses’ Network“ von Elisabeth von Samsonow und Felicitas Thun-Hohenstein in Verbindung. Eribennes essayistischer Beitrag „Die gefallene Gottheit“ setzt sich mit der Rolle der Venus seit der Renaissance auseinander. „Venus ist die römische Göttin der Liebe, aber die Vorstellungswelt des 19. Jahrhunderts brachte sie geradewegs zur Erde, indem man jede Frau Venus nannte, welche Männer erotisch ansprach … Venus wurde dann später zu einem allgemeinen Ausdruck für weibliche Performer, die eine (aus einem westlichen Blickwinkel gesehen) exotische Aura umgab“, analysiert die Künstlerin.

Bei meinen Fotoporträts geht es um Performance.

Tragische Schicksale

Als vom Himmel gestürzte Göttinnen sieht Eribenne Stars mit tragischem Schicksal wie Marilyn Monroe, Romy Schneider, Whitney Houston oder Amy Winehouse. Für ihre Doktorarbeit, die sie an der Wiener Universität für angewandte Kunst verfasst, geht die Künstlerin aktuell der Frage nach, warum diese zu „self-destructive female icons“ wurden, also warum diese gefeierten Frauenfiguren an sich selbst scheiterten. „Ich studiere deren öffentliche Bilder und ihre Versuche, ihr Image zu kontrollieren. Aber es geht auch um den Betrachter, und wie Blicke töten können“, erzählt Eribenne, die den Fall dieser Ikonen auch mit einer uralten männlichen Kastrationsangst in Verbindung bringt. Dem Druck, einem vorgefertigten Bild zu entsprechen, setzt die Künstlerin eigene Images und Interpretationen entgegen. Eribenne wird sich auch künftig die Flügel nicht stutzen lassen. ● ○