Künstlerin Elisabeth von Samsonow
Philipp Horak
Künstlerin Elisabeth von Samsonow

Elisabeth von Samsonow

Ein stures Gänseblümchen


In den Arbeiten der Künstlerin Elisabeth von Samsonow treffen sich Philosophie und Theologie, Feminismus und Ökologie. morgen besuchte die Universalgelehrte auf ihrem Streckhof im Pulkautal.

Es gibt Menschen, die mit der größten Selbstverständlichkeit die wildesten Dinge erzählen. Elisabeth von Samsonow beispielsweise. Sie sagt gerne Sätze wie: „Ich werde eine Pflanze.“ Oder: „Philosophen machen Photosynthese.“ Manchmal wird dann ihre Stimme höher, vor allem am Ende eines besonders verzweigten Gedankengangs – und sie beginnt zu lachen, doch nicht so, als nähme sie sich nicht ernst, sondern eher aus Freude am Denken. Überraschende Gedankengänge hat die Künstlerin, Philosophin, Autorin, Theologin, Akademie-Professorin und Forscherin jede Menge, und sie zimmert ganze Gebäude daraus. Als Fundament dient ihr ein Wissen auf zahlreichen Gebieten, als Werkzeug ihre sprühende Fantasie. Es ist ein sonniger, kalter Wintertag, an dem sie morgen in ihrem Wohnatelier empfängt, einem Streckhof in Hadres im Weinviertel. Durch das ornamentierte Tor, an dem der Durchzugsverkehr vorbeidonnert, betritt man einen Garten. Entlang dieses kleinen Idylls fädeln sich die Zimmer auf. Elisabeth Samsonow, die an diesem Tag mit einem bunt gestreiften Rock und einem gemusterten Pullover für ihre Verhältnisse dezent gekleidet ist, setzt erst einmal Kaffee auf. Am Vorabend hat es lang gedauert, denn sie hat mit dem Weinbauern Edi Himmelbauer Wermut verkostet. Dann fällt wieder so ein Samsonow-Satz: „Am Schluss hat der Edi Flügel gekriegt!“ 

Zirkusdirektorin 

Die Künstlerin, geboren 1956 im oberbayrischen Neubeuern, hat eine wechselhafte Arbeitsbiografie, und bisweilen fragt man sich, wie sich das ausgeht: so viel Unterschiedliches in einem einzigen Leben. In den 1980er-Jahren war sie Direktorin eines „Kleinzirkus“ und leitete eine Malschule, studierte Philosophie in München, ebenso Katholische Theologie und Germanistik, besuchte als Gasthörerin die Klassen von Eduardo Paolozzi und Daniel Spoerri, der sich mit seinem Ausstellungshaus in Hadersdorf am Kamp unweit von seiner einstigen Schülerin niedergelassen hat. Danach ließ sie sich als Flötistin ausbilden und studierte Tonsatz, lehrte an Universitäten in Wien: Philosophie an der Hauptuni, Sakrale Kunst an der Akademie der bildenden Künste – später wurde diese Professur umgewidmet in eine für Philosophische und Historische Anthropologie der Kunst. Mit ihrer Kollegin dort, der Kunsthistorikerin Felicitas Thun-Hohenstein, leitet sie nun das künstlerisch-wissenschaftliche Projekt „The Dissident Goddesses’ Network“ (TDGN), angesiedelt an der Akademie der bildenden Künste in Wien, mit einem besonderen Bezug zu ihrem Reich in Hadres.

Im Matriarchat gäbe es Begriffe wie Marginalisierung nicht.

„Ich schmeiße Sie raus!“

Samsonow publizierte Aufsätze und Bücher über so unterschiedliche Themen wie Egon Schieles Identifikation mit dem Heiligen Franziskus, den Häretiker Giordano Bruno und die Figur der Elektra. Ihre Publikations- und Lehrtätigkeit hinderte sie keineswegs daran, intensiv an ihrer Kunst zu arbeiten – Skulpturen aus Holz, Videos, Performances, Prozessionen, Installationen sowie Gemälde, in denen Kykladen Vulkanlandschaften bewohnen oder kosmische Bewegungen zu abstrakten Kompositionen werden. All das zu vereinen, wurde ihr einst schwer gemacht.Einmal sah einer ihrer Philosophieprofessoren Kunstwerke von ihr im Schaufenster einer Apotheke. Seine Reaktion: „Wenn Sie das noch einmal machen, schmeiße ich Sie raus!“ Als sie sich für die Professur an der Akademie in Wien bewarb, kehrte sie ihre künstlerische Tätigkeit unter die Decke, auf Anraten ihres Kollegen Peter Sloterdijk. Sie wäre sonst Gefahr gelaufen, als Dilettantin zu gelten. Heute dagegen sind Crossovers zwischen Kunst und Wissenschaft äußerst gefragt, es gibt Förderprogramme und Professuren zur künstlerischen Forschung. Mit dem Projekt TDGN sind Samsonow und Thun-Hohenstein am Puls der Zeit.Dieses kulminiert nun in der Ausstellung „Die Erde lesen. The Dissident Goddesses’ Network“ der Landesgalerie Niederösterreich, die Thun-Hohenstein kuratiert und bei der Samsonow eine Installation zeigt. Das Projekt beleuchtet ausgehend von paläo- und neolithischen weiblichen Figurinen aus Niederösterreich wesentliche feministische, künstlerische und kulturhistorische Fragen. Es greift in ebenso viele verschiedene Richtungen aus wie das Netzwerk der Elisabeth von Samsonow, das aus Winzern und Galeristinnen, Bäuerinnen und Philosophen, Jägern und Schriftstellerinnen besteht. Dieses Interesse an so vielem äußert sich bei Samsonow auch darin, dass sie Dinge zueinander sortiert, die auf den ersten Blick kaum etwas miteinander zu tun haben. Zum Beispiel Gebäck und Skulptur. „Die Brezel ist der Ursprung der Bildhauerei“, erklärt sie in aller Selbstverständlichkeit. Die „Mini-Doppelhelix“, also die Stelle in der Mitte der Brezel, „ist für mich als Bildhauerin erotisch“. 2016 baute sie in der Kremser Dominikanerkirche eine Installation aus einem Saiteninstrument monumentaler Dimension sowie Holzskulpturen: archaische Wesen zwischen Mensch und Pflanze („Transplants“) sowie Figuren, die sich bewegten oder Töne ausstießen. Im Katalog zur Ausstellung schwärmt sie von Bildhauerinnen, auf die sie in den Eighties im Kunstverein Wasserburg traf, Künstlerinnen mit den Namen Louise Stomps und Lidy von Lüttwitz: „großartige Bildhauerinnen in methusalemischem Alter“. 

Land der Göttinnen 

Als Samsonow in den frühen 1990er-Jahren nach Österreich kam, war sie mit ihren Holzskulpturen ziemlich exotisch. „Da machte man in Wien Medien- und Kontextkunst oder text based art“, sagt sie, und setzt in ihrem süddeutschen Idiom nach: „Und dann kimm i daher mit dem Hoiz!“ Sie sei sich vorgekommen wie ein „Gänseblümchen, ein stures.“ Nach wie bevorzugt sie für ihre Bildhauerei das Holz, vor allem das der Linde: „Das sind Bäume von so überlegener Schönheit und Poesie. Die reden mit mir.“ Das Holz sei schließlich nie ganz tot, denn stets bleibe ein „metabolisches Residuum von einem Leben, das viel älter ist als ich“. Eingepackt in Folien, so stehen die hölzernen Wesen in ihren Ateliers – sie hat mehrere Studios. Das Weinviertler Reich Elisabeth von Samsonows ist groß: Es umfasst neben dem Wohnatelier in Hadres das „Göttinnenland“ und einen früheren Heurigen, zu dem auch zwei weitläufige Kellerröhren gehören („ganze U-Bahnhöfe“). Neben einem Bildhauerei- und einem Malatelier hat sie dort eine „Hexenküche“ eingerichtet, wo sie allerlei einlegt und einkocht. Weil das Licht gerade so schön ist, lädt Samsonow an diesem Vormittag zu einer kleinen Besichtigungstour ein. Zuerst lenkt sie ihren Jeep ins „Göttinnenland“, auf einen Hügel mit dem Namen Toter Mann, in die wohl berühmteste Jurte des Landes. 

Diese ist das Zentrum des vier Hektar großen „Göttinnenlandes“, das sie im Vorjahr gemeinsam mit zahlreichen anderen Interessierten erwarb. Das „Dissident Goddesses’ Network“ nutzt die Jurte für Veranstaltungen und Diskussionen; auch Teile eines Films von Samsonow entstanden hier. Darüber hinaus bot die Künstlerin per Zeitungsinserat der Bevölkerung an, das Zelt ebenfalls in Anspruch zu nehmen. Teppiche, Sitzgelegenheiten und ein kleines Getränkeangebot laden zum Verweilen ein. Tatsächlich fand Samsonow bereits einmal eine Yogagruppe hier vor: „Ist das nicht toll?“ An diesem Tag wartet schon Karl Koran auf die Künstlerin. Sie begrüßen einander herzlich, wie alte Bekannte. In wenigen Tagen muss das Zelt abgebaut werden. Ausführlich erklärt Koran, ein Jäger, wie Schnee auf die Außenmauern drücken und diese zerstören könnte. Bereits jetzt hat der Wind das Zelt ein wenig verschoben. Samsonow hört aufmerksam zu – sie weiß die Expertise anderer zu schätzen, vor allem auch von Menschen anderer Disziplinen. Und schwärmt dann von ihnen, etwa von Ines Fritz, einer Assistenzprofessorin am Institut für Umweltbiotechnologie der BOKU. Bei den Gesprächen in der Jurte treffen Wissenschaft und Praxis aufeinander. „Hier sieht man, dass die Menschen angepasstes Wissen haben, ‚situated knowledge‘. Das Wissen über Humus, das Ines Fritz hat, unterscheidet sich von jenem der Bauern hier. Und das wahrscheinlich wiederum von dem der Bauern in Tirol oder Kärnten.“ Der Begriff „Situated Knowledge“, „situiertes Wissen“, wurde 1988 von der feministischen Wissenschaftlerin Donna Haraway geprägt. Er fasst Wissen als etwas, das weder neutral noch universell sein kann. 

„du! Geistlein!“

Je später es wird an diesem Vormittag, desto mehr verfestigt sich der Eindruck: Samsonow geht es um das große Ganze, die Gesellschaft, den Kosmos, unser Verhältnis zur Erde. Etwa, wenn sie über das Matriarchat spricht – für sie nicht bloß ein Lebensentwurf in abgelegenen Regionen, sondern ein gesellschaftliches Modell, das die Welt zum Besseren wenden würde. Der Begriff Matriarchat wecke freilich falsche Vorstellungen: „Die Leute denken: Im Patriarchat terrorisiert uns der Papa, und im Matriarchat halt die Mama – das wollen wir nicht, davon haben wir genug.“ Dabei sei die matrizentrische Gesellschaft ein probates Modell, weil sie aus Geschlechterdifferenzen keine Hierarchien ableite. Die Mutter sei dabei nicht „die Superwoman, sondern ein Konzept. Auf dieser Ebene kann ein Kanon mütterlicher Werte definiert werden: Prestige entsteht durch Distribution und nicht durch Akkumulation wie in unserer Gesellschaft. Das Patriarchat ist eine Herrschafts-, das Matriarchat eine Care-Ideologie.“Einst nahm man an, dass im Paläolithikum Schwache und Kranke zurückgelassen oder getötet wurden, erzählt die Künstlerin. „Aber es gibt Gräber, in denen Skelette von physisch handicapped people liegen.“ Ganz könne die Erzählung vom Survival of the Fittest also nicht stimmen. „Die Gesellschaft ist immer so gut, wie sie für ihr schwächstes Glied sorgen kann. Im Matriarchat gäbe es Begriffe wie Marginalisierung nicht. Denn die ganz Schwachen, die jetzt am Rand sind, wären in der Mitte.“ Aus diesem Grund sei auch die Paarung zwischen Ökologie und Feminismus „unglaublich tauglich“.

Die Mutter ist nicht die Superwoman.

Im Göttinnenland, am Toten Mann, zeigt Samsonow dann noch die Orte, an denen sie im Sommer 2021 ein Göttinnenfest veranstaltete. Diese sind auch die Locations einer Videoperformance. Darin trägt sie eine Krone aus Drähten und bunten Elementen sowie ein weißes Kleid, von dem färbige Streifen flattern. Ein buntes Wesen, das durch die Natur wandert, vorbei an Weinstöcken und uralten Bäumen.Samsonow war mit der 2021 verstorbenen Dichterin Friederike Mayröcker gut befreundet. Diese stellte ihrem 2018 erschienenen Buch „Pathos und Schwalbe“ eine Widmung voran: „du! Geistlein! E. S.! durch die Wälder!“ Mit „E. S.“ ist Samsonow gemeint: das Geistlein, das durch die Wälder streift. Und mit ihren Fundstücken eindrückliche philosophisch-künstlerische Gebäude errichtet. ● ○