Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser!


Es ist heute kaum vorstellbar, mit welchen Einschränkungen Frauen einst auch in Österreich kämpfen mussten.

Es ist heute kaum vorstellbar, mit welchen Einschränkungen Frauen einst auch in Österreich kämpfen mussten. Vielen war damals nicht bewusst, wie stark sie diskriminiert wurden. Auch bei der gebürtigen Badenerin Marianne Hainisch dauerte es eine Weile, bis sie die Fesseln spürte, die ihr als Frau angelegt waren. „Ich verbrachte eine schlaflose Nacht, mein ganzes Wesen war in Aufruhr, denn es war mir die unzweckmäßige Erziehung und die Benachteiligung des Frauengeschlechts mit einem Male ganz klar geworden. So konnte es nicht bleiben.“ Das notierte sie, damals Anfang 30, im Jahr 1870. So wurde sie zu einer zentralen Figur der österreichischen Frauenbewegung. Vor allem die mangelnden Bildungsmöglichkeiten für Mädchen und die Einschränkungen bei der Erwerbstätigkeit von Frauen bekämpfte sie, ebenso setzte sie sich für das Wahlrecht ein, das in Österreich bekanntlich bis 1918 Männern vorbehalten war, und sogar eine Frauenpartei gründete Hainisch. Das Landestheater Niederösterreich befasst sich nun mit der Pionierin für Frauenrechte (ab Seite 20). Doch wie weit ist es heute her mit der Gleichstellung von Frauen und Männern? Der Stand der Dinge lässt sich ebenso einfach wie ernüchternd mit zwei Worten beschreiben: „noch“ und „immer“. Denn „noch immer“ existiert ein eklatanter Gender-Pay-Gap, „noch immer“ sind Frauen weitaus stärker für Care-Arbeit zuständig, und „noch immer“ bleibt Gewalt gegen Frauen ein erschreckend aktuelles Thema. Nachdem die Pandemie der vergangenen zwei Jahre traditionelle Rollenaufteilungen verstärkte, widmen wir dieses Heft dem Feminismus. Das Special gilt diesmal dem facettenreichen Projekt „The Dissident Goddesses’ Network“, in dem eine ganze Reihe engagierter Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen feministische, ökologische und kulturhistorische Themen umkreisen. In morgen haben wir übrigens das generische Maskulinum – also die Sprache, die Frauen „mitmeint“ – weitgehend abgeschafft. Stattdessen verwenden wir Paarformen oder Partizipativkonstruktionen. Ausnahmen sind literarische Texte, Leserbriefe und Interviews: Hier ist unseren Autorinnen und Autoren und all jenen, mit denen wir Gespräche führen, die Ausdrucksweise selbst überlassen. Den sprachlichen Aspekt in gegenwärtigen feministischen Diskursen konnten wir in dieser Ausgabe nicht unberücksichtigt lassen. Mehr dazu lesen Sie in unserer Rubrik „Standpunkte“ ab Seite 48.Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre unseres aktuellen Hefts! ● ○

Herzlichst

Ihre Nina Schedlmayer