Luna Al-Mousli
Julius Hirtzberger
Luna Al-Mousli

Al-Mousli

Die Doppel-kosmopolitin 


Wie Gras durch Beton: So setzten sich die Frauen in der Familie von Luna Al-Mousli durch. Die syrisch-österreichische Schriftstellerin, Grafikdesignerin und Illustratorin kennt die patriarchalischen Strukturen zweier Kulturkreise. Nun richtet sie das Augenmerk auf jene, die das System am Laufen halten.

Luna Al-Mousli trägt einen goldenen Anhänger mit einer arabischen Inschrift um den Hals. Sie lautet: „Es war einmal, es war keinmal, bis es einmal war“. Mit dieser formelhaften Phrase, erzählt sie, beginnen arabische Märchen, sehr ähnlich dem „Es war einmal …“ deutschsprachiger Volksmärchen und doch ein wenig anders. Und schon ist man mitten im österreichisch-arabischen Lebenskosmos der 31-jährigen Autorin, Grafikdesignerin und Illustratorin. Für Luna Al-Mousli bedeutet der Doppelkosmos ihres Lebens keine Zerrissenheit zwischen zwei Kulturräumen, sondern, wie sie sagt, ein zweifaches Zugehörigkeitsgefühl. 1990 wurde Luna Al-Mousli in Melk geboren. Ihre ersten 14 Lebensjahre verbrachte die Tochter syrischer Eltern in Damaskus. Als Teenager kam sie zurück nach Österreich. Seither lebt, schreibt, zeichnet und engagiert sie sich in Wien. Das Damaskus ihrer Kindheit und frühen Jugend ist in zehn Bürgerkriegsjahren untergegangen, viele ihrer Verwandten sind verstreut in alle Winde – „von Kanada bis Saudi-Arabien und Ägypten“. Es waren die Frauen ihrer arabischen Großfamilie, die für sie immer die größere Rolle spielten: „Sie machten aus den Situationen, in die sie hineingeboren wurden, das Beste und gaben ihre Stärke an die nächste Generation weiter.“ Nicht jede, sagt Luna Al-Mousli, könne ausbrechen, „was man ja von Frauen immer fordert.“ Sie findet ein anschauliches Bild: „Stell dir vor, du hast einen betonierten Boden, und trotzdem schafft es das Gras durchzukommen. So sind die Frauen in unserer Familie. Sie haben sich durchgesetzt.“ 

Melancholisch und scharfäugig

Feminismus, sagt Luna Al-Mousli, bedeute für sie vor allem, „dass ich mich bemühe, mir selbst keine Grenzen zu setzen und den Mut zu haben, Muster aufzubrechen“. Im Kleinen wie im Gesellschaftlichen. Als Frau und Kreative mit migrantischem Hintergrund kennt sie die patriarchalen Strukturen zweier Kulturkreise. „Das Bild der freien feministischen Frau ist vom Westen geschrieben.“ Doch was sie hier beobachtet, gefällt ihr nicht: „Österreich ist ein extrem reiches Land. Wir haben viel, wir sind klein und fein und könnten Veränderungen rasch ausprobieren. Und trotzdem werden Frauenberufe immer noch schlechter, Hausarbeit gar nicht bezahlt. Auch hochgebildete Männer haben wenig Interesse daran, etwas von ihren Privilegien aufzugeben.“ Der Westen sehe sich immer als Vorreiter, zeige mit dem Finger auf andere und schöpfe dabei nicht einmal sein eigenes Veränderungspotenzial aus. „Das ist fast noch schlimmer“, kritisiert sie. 

Träne und Lächeln

„Es war einmal, es war keinmal, bis es einmal war“: Luna Al-Mousli trägt die in Gold geprägte Formel nicht nur als Halskette. Sie hat sie auch ihren beiden Büchern über ihre syrischen Kindheitsjahre, die sie selbst grafisch gestaltet hat, als Motto vorangestellt. Das erste mit dem Titel „Eine Träne, ein Lächeln“ erzählt in einer Abfolge kurzer Prosafragmente auf Deutsch und Arabisch von ihrem erinnerten syrischen Kinderalltag, melancholisch, scharfäugig und humorvoll. Es ist ein Buch bevölkert von einem – in kurzen Sätzen zu reichem Leben erweckten – Personal aus Verwandten, Nachbarschaft sowie Freundinnen und Freunden, bildreich in seinen kurzen, szenischen Schilderungen von Schultagen, gemeinsamem Familienkochen, Straßenleben oder islamischen Festen. Ein wunderbares Buch, voller Leben, hellsichtig und erinnerungsprall. Ihr zweites Buch „Als Oma, Gott und Britney sich im Wohnzimmer trafen oder Der Islam und ich“ stellt die Rolle der Religion in ihrem kindlichen Denken und Beobachten ins Zentrum. 

Würden wir Migrant*innen alle aufhören zuarbeiten, dann würde das System zusammenbrechen.

Systemheldinnen

„Es war einmal, es war keinmal, bis es einmal war“: Anfangs, erzählt Luna Al-Mousli, verwendete sie die arabische Märchen-Formel, „weil ich das Gefühl hatte, dass ich eine arabische Geschichte erzähle“. Mittlerweile habe sich deren Bedeutung für sie verändert. „Meine Erinnerungen sind märchenhaft geworden, weil das Damaskus meiner Kindheit nicht mehr existiert.“ Schlussendlich, erzählt sie, habe der letzte Teil der Formel „… bis es einmal war“ begonnen, immer größeren Raum in ihrem Denken einzunehmen. „Anfangs klingen viele Träume wie Märchen.“ Aber geträumt müsse werden, glaubt Luna Al-Mousli. Wenn man aufhöre zu träumen, höre man auf sich zu entwickeln. Sie träumt etwa den Traum von einer 20-Stunden-Woche für alle oder von besseren Arbeitsbedingungen und mehr Wertschätzung für die, „die im System unten sind“ und doch unverzichtbar, weil sie mit all den meist schlecht bezahlten, anstrengenden Tätigkeiten die Gesellschaft unbemerkt am Laufen halten.Zu zwei Dritteln sind diese Berufe in Frauenhand. Zu Pandemieanfang wurden sie beklatscht. Geändert hat sich seither wenig. Darum publizierte Luna Al-Mousli kürzlich ihr Buch „Klatschen reicht nicht. Systemheld*innen im Porträt“. Heimhelferinnen und Telefonseelsorgerinnen, AMS-Serviceline-Mitarbeiter oder Lagerarbeiter und zahlreiche mehr, auf die es „tatsächlich ankommt, wenn es eng wird“, stellt sie darin mit ihrem Arbeitsalltag, ihren Nöten, Problem und Wünschen vor. Viele von ihnen haben einen migrantischen Hintergrund wie Luna Al-Mousli. Vor Kurzem sagte sie: „Würden wir Migrant*innen alle aufhören zu arbeiten, dann würde das System zusammenbrechen. Vielleicht müssen wir das mal machen, damit alle einsehen, wie wichtig wir sind.“ ● ○